Unter Fabio Capello hat die russische Nationalmannschaft sich erheblich verändert. Foto: ITAR-TASS.
Die Bekanntgabe der Aufstellung für die ersten Pflichtspiele der russischen Fußball-Nationalmannschaft sorgte in Russland und England unter Beobachtern für einiges Erstaunen. Es fehlten fast alle jene Spieler, die in der englischen Premier-League unter Vertrag stehen: Arschawin, Pogrebnjak, Schirkow, Pawljutschenko. Sie alle hatte Capello ausgemustert. Die „Unantastbaren" waren verschwunden. „Wer wenig Engagement für seinen Club zeigt, kann nicht mit einer Nominierung für die Nationalelf rechnen", kommentierte Don Fabios seine Entscheidung. Er war bereits mehrere Jahre als Nationaltrainer in England tätig und kannte daher die Eigenheiten der russischen Legionäre.
Der Effekt ließ nicht lange auf sich warten: Arschawins Bauch wurde flacher, Pogrebnjaks Frechheit verschwand und auch Schirkow und Pawljutschenko wurden besser. Nebenbei wurde klar, dass die Angst des ehemaligen Nationaltrainers Dick Advocaat vor Veränderungen unbegründet war: Die Verjüngung hatte der Mannschaft nur gutgetan.
Mit harter Hand und eiserner Disziplin
Es ist mehr als ein leeres Gerücht, dass Capello als Trainer mit harter Hand und eiserner Strenge agiert. Die russische Nationalelf gewöhnte
sich schon bald an die neuen Regeln. Das Team ist bei allen Mahlzeiten vollzählig, frühzeitig den Tisch verlassen ist ein Tabu. Auch darf keiner der Spieler einem Journalisten eine Absage erteilen, wenn er für diesen Tag zum Interview eingeteilt wurde. Plötzlich machte sogar Igor Denissow den Mund auf! Bevor er seine neue Funktion als Kapitän übernahm, hatte Denissow genau zwei Interviews gegeben, zwischen denen er sich für fast zehn Jahre in Schweigen hüllte.
Unter Capellos strengem und wachsamem Blick haben sich die russischen Nationalspieler zu Musterknaben in Sachen Pünktlichkeit verwandelt. Nur ein einziges Mal kam es zu einer Verspätung, als der Mannschaftsbus in Tel-Aviv im Stau stecken blieb und das Training vor dem Match gegen Israel 15 Minuten später begann. Auf dem Spielfeld zahlte sich die Disziplin aus. Trotz eines komfortablen Vorsprungs, der in einem 4:0 endete, setzte sich die Verteidigung niemals zur Ruhe.
Capello nimmt Einfluss auf Prämien
Wie viel die Fußballer für ihren Einsatz in der Nationalmannschaft erhalten, ist in Russland ein Geheimnis. Das neue Prämiensystem wird
deshalb nicht veröffentlicht. Doch auch hier wurden einige Änderungen vorgenommen. Nach jedem Match erhalten die Spieler kleinere Prämien, der Hauptteil der Boni wird allerdings erst nach der WM-Qualifikation ausgezahlt. Das neue Prämiensystem soll ebenfalls auf Capellos Konto gehen. Dick Advocaat hatte sich immer geweigert, sich in die Verhandlungen zwischen Spielern und Fußballunion einzumischen. Unter Trainer Guus Hiddink und dem Präsidenten des russischen Fußballverbandes Witali Mutko hätte selbst nach einem erfolgreichen Match keiner der Spieler die Unionsspitze noch zu doppelten oder dreifachen Prämien überreden können.
Alle wollen in den Trainerstab
Die russischen Top-Trainer wetteifern um die Aufnahme in Capellos Trainerstab. Momentan hat Don Fabio nur einen russischen Helfer: Sergej Owtschinnikow leitet das Training der Torhüter. Alle anderen Positionen sind derzeit noch offen. Capellos Dolmetscher ist sonst für den Trainer von Zenit St. Petersburg Luciano Spaletti im Einsatz. Der ehemalige Mannschaftsarzt der Nationalelf ist zu Andschi Machatschkala gewechselt. Auch die übrigen Mediziner und Masseure haben in den russischen Top-Clubs neue jobs angenommen.
Besonders hart umkämpft ist die Position des russischen Co-Trainers. Die ursprünglichen Top-Kandidaten Andrej Talalajew, Igor Kolywanow und Igor Schalimow fielen nacheinander raus. Momentan werden die Trainingseinheiten auf dem Spielfeld von Christian Panucci geleitet. Der ist allerdings in Capellos Stab eigentlich für die Beobachtung der Konkurrenz zuständig.
Taktik wird umgestellt
Aus dem Versuch Fabio Capellos, das taktische Erbe von Dick Advocaat zu pflegen, ist nichts geworden. In den Spielen gegen Nordirland und
Israel wurde aus der altbekannten «4-3-3»-Taktik eine «4-5-1». Mitunter teilte sich die Mannschaft auch im System «4-4-2» auf. Capellos wichtigste Neuerungen: Alan Dsagojew steht nicht mehr im Mittelfeld, sondern agiert als zweiter Stürmer. Es scheint, als wäre keine der Positionen auf dem Spielfeld mehr sicher. Nicht einmal die der Stürmer. Die Nachwuchshoffnungen Kokorin und Kombarow gehören jetzt zur Stammelf.
Auch ändert Capello oft die Positionen. Ist Bystrow verletzt, wird kurzerhand Samedow, der eigentlich im rechten Mittelfeld agiert, eingesetzt. Hat Anjukov einen Aussetzer, springt Jeschtschenko in der Defensive ein. Und so scheint die wichtigste Erkenntnis unter Don Fabio zu sein: Alle 23 Spieler der Nationalelf, und nicht nur die 13 oder 14 Veteranen, sind vollwertig und wichtig.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Zeitung "Moskowskije Nowosti".
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