Lennon lebt!

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Heute vor 50 Jahren wurde die erste Beatles-Single Love Me Do veröffentlicht. Die Losung „Lennon lebt!” ist in der ehemaligen UdSSR unverändert populär.

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„Lennon hat gelebt, Lennon lebt, Lennon wird leben!" Jedes sowjetische Schulkind kannte die kommunistische Losung, die mit der Ähnlichkeit der Namen „Lenin" und „Lennon" spielte. John Lennon wurde im Dezember 1980 von einem Fanatiker erschossen. Sein Tod erschütterte die sowjetischen Fans nicht weniger als jene im Westen. Die Neuigkeit, die man von westlichen Radiosendern aufschnappte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Großstädten des Landes.

Zahlreiche Studenten versammelten sich damals vor dem Hauptgebäude der Moskauer Universität. Der britische Daily Mirror bezeugte, dass sich Hunderte Fans zu der spontanen Gedenkfeier einfanden. Über den Köpfen der Studenten wehte die amerikanische Flagge, deren Sterne jedoch mit Farbe übertüncht worden waren. „Amerika vermochte das Leben Lennons nicht zu schützen", interpretierte einer der Teilnehmer das Fehlen der Sterne.

In seiner Enzyklopädie Namedni (Unlängst) über die Sowjet-Epoche schreibt der bekannte russische Journalist Leonid Parfjonow: „In der Sowjetunion ist der Beatles-Kult nicht weniger stark ausgeprägt als in der restlichen Welt." Und der Rock-Musiker und Beatles-Fan Alexej Rybin schreibt in einem seiner Bücher: „Aus Elvis' Rock 'n' Roll und den Balladen der Beatles haben wir mehr gelernt als aus allen Werken Lenins, die uns in der 9. und 10. Klasse und während des Studiums vorgesetzt wurden."

Bis heute streiten sich Musikkritiker und Historiker darüber, wie die Beatles den Eisernen Vorhang durchdringen konnten. Einig ist man sich jedoch über das Datum der Ersterwähnung der Gruppe in der offiziellen sowjetischen Presse. Im Jahr 1964 veröffentlichte die sowjetische Jugendzeitung Komsomolskaja Prawda einen Artikel des Londoner Korrespondenten Boris Gurnow über John Lennon und die zu diesem Zeitpunkt bereits international bekannte Gruppe The Beatles.

Gurnows Idee, sich mit Lennon persönlich zu treffen, wurde von den Chefredakteuren der Zeitung nicht gerade euphorisch aufgenommen. „Für die sowjetische Presse war der ganze Hype damals lediglich eine bourgeoise Arabeske der Kunst", erinnert er sich später. „Ich wollte versuchen zu analysieren, warum die Jugendlichen so sehr von den Beatles begeistert waren. Für mich war das Ganze eine Art Freudscher Komplex. Die Beatles-Anhänger befanden sich sozusagen noch in der Phase der pubertären Geschlechtsreife und die Energie der jungen Menschen wollte sich ihren Weg nach außen bahnen."

Möglicherweise lag Gurnow damit gar nicht so falsch. Aus Angst, dass diese „Energie" sich auch im Osten ihren Weg nach außen suchen könnte, untersuchte die sowjetische Zensur jeden westlichen Hauch aufs Genauste auf dessen gesellschaftliche Wirkung. Doch die Anhänger der Beatles klaubten jedes Körnchen an Information über ihre Lieblingsgruppe zusammen, vor allem aus den spärlichen westlichen Presseerzeugnissen. Aber auch die vergleichsweise liberaleren Zeitungen und Zeitschriften aus den Ostblockländern wie zum Beispiel die populäre DDR-Jugendzeitung Junge Welt berichteten zuweilen über die Popgruppe aus Liverpool.

 

„Back in the U.S.S.R."

Auch wenn Informationen über die Beatles nur schwer ihren Weg nach Russland fanden, gelang ihren Liedern nichtsdestotrotz ab und an der Einzug in sowjetische Musikanthologien. Die wurden übrigens von der Schallplattenfirma Melodija herausgebracht, dem einzigen Label für Unterhaltungsmusik in der UdSSR. Der erste offiziell in der UdSSR veröffentlichte Song der Beatles war der Hit Girl, der 1967 im Rahmen einer Musikanthologie erschien. 1972 folgte Let It Be, ebenfalls als Teil einer Anthologie.

Insgesamt wurden mehr als zwanzig Songs der Gruppe in der UdSSR veröffentlicht, wobei man sich um die Schutzrechte praktisch keine Gedanken machte. Übrigens sorgte das russische Plattencover des Songs A Hard Day's Night unter den Musikliebhabern und Beatles-Kennern für einen ziemlichen Lacher. Zugegeben: Die Übersetzung Der Abend eines schweren Tages klang tatsächlich eher nach einer Schlagzeile aus dem sowjetischen Staatsfernsehen.

Im Jahr 1988 machte Paul McCartney seinen Anhängern in der UdSSR ein grandioses Geschenk. Für die sowjetischen Fans nahm er das Album Back in the U.S.S.R. mit Titeln der Beatles auf. Die Scheibe erschien mit einer Auflage von 500 000 Stück, was das sowjetische Pendant zum Guinness-Buch der Rekorde Parie dazu veranlasste, McCartney als auflagenstärksten ausländischen Künstler zu ehren.

Bereits kurz nach seinem Erscheinen wurde das Album unter den sowjetischen Musikliebhabern zu einem der wertvollsten Sammlerstücke. Bei den einheimischen Schwarzmarkthändlern wurde es für Preise von bis zu einhundert Rubel gehandelt, im Ausland erreichte die ausschließlich in der UdSSR erschienene Platte Erlöse von bis zu zweihundert Dollar.

„Durch die Herausgabe dieser Schallplatte, die speziell und ausschließlich für die UdSSR produziert wurde, möchte ich den sowjetischen Menschen die Hand des Friedens und der Freundschaft reichen", hieß es auf dem Cover.

In der UdSSR ging man ungeachtet dessen mit den Beatles nicht gerade sanft um. Die Feuilletons in der sowjetischen Presse verwechselten den Bandnamen Beatles mit dem englischen Wort „Beetles", was übersetzt „Käfer" bedeutet. Sogar der ehrwürdige sowjetische Komponist Nikita Bogoslowski ließ kein gutes Haar an der Popgruppe. „Ich gehe jede Wette ein, dass ihr bestenfalls noch anderthalb Jahre an der Spitze seid. Dann werden andere junge Männer mit noch bescheuerteren Frisuren und noch wilderen Stimmen kommen und alles wird vorbei sein", schrieb er in einer seiner zahlreichen Kritiken über die Beatles.

„Man ging davon aus, dass die Stilrichtung der Beatles nicht zur herrschenden Ideologie passte", erinnerte sich Präsident Putin bei einem Treffen mit Paul McCartney im Kreml, als dieser 2003 zum ersten Mal in Russland auftrat.

 

Ersatz-Beatles in Leningrad

Es scheint, als wäre es erst gestern gewesen, als die Beatles von den sowjetischen Führern verpönt wurden. Man fürchtete sich vor dem „zersetzenden Einfluss" der vier langhaarigen Musiker und achtete deshalb umso mehr auf die Haarlänge der halblegalen sowjetischen Gruppen. Mittlerweile gibt in Russland die Generation den Ton an, die mit der Musik der Beatles aufgewachsen ist. Auch der Chef der Präsidentenverwaltung Sergej Iwanow bekannte sich 2003 zu seiner Liebe zu der Gruppe und kam zu Paul McCartneys Konzert auf dem Roten Platz.

Ungeachtet der Kurzsichtigkeit und Skepsis der sowjetischen Führung wurde ein angeblicher Auftritt der Beatles in der UdSSR zur Legende. Bis heute hält sich der Mythos, die Band habe bei einem Zwischenstopp auf einer Reise nach Japan ein geschlossenes Konzert exklusiv für die sowjetischen Regierungsbeamten gegeben. Dafür existieren jedoch keinerlei dokumentarische Belege. Und so kamen Musikexperten im Nachhinein zu dem Schluss, dass wohl eher von einer Musikgruppe die Rede war, die den Stil der Beatles zu imitieren versuchte. Zum Beispiel von der georgischen Band Blitz, die recht erfolgreich in einem großen Leningrader Konzertsaal auftrat.

„Das war doch nur Ersatzkunst, werden Sie jetzt sagen. Aber wir sind schließlich auch mit Ersatzwurst groß geworden, haben auf Ersatzgitarren gespielt, eine Ersatzgeschichte gelernt und in den Läden mit Ersatzgeld Schallplatten mit Ersatzmusik gekauft. Währenddessen wurde im Fernsehen unser Ersatzstaatsführer gezeigt... und Ersatz-Beatles", schrieb Alexej Rybin, der das Konzert der Beatles-Nachahmer aus Georgien besuchte und sich gern daran zurückerinnert. Die Georgier hatten hart für ihren Auftritt geprobt und trugen berühmte Titel wie Yesterday und A Hard Day's Night in sehr gutem Englisch vor.

Doch die Beatles hatten mit ihren Texten in der Sowjetunion noch etwas anderes erreicht: Statt die drögen Texte über den Heldenkampf der Kommunisten auswendig zu büffeln, arbeiteten viele aufgeweckte sowjetischen Schüler lieber intensiv an ihren Englischkenntnissen, um die Liedtexte der Popgruppe zu verstehen.

So auch der spätere Wirtschaftsfachmann und Politiker Grigori Jawlinski: „Als ich Ende der Achtzigerjahre die Möglichkeit hatte, ins Ausland zu fahren, musste ich praktisch keine Kommunikationshürden überwinden. Später habe ich begriffen, dass meine Generation über einen fundamentalen Grundwortschatz, ja über eine gemeinsame Sprache verfügt."

Jawlinski ist überzeugt: Die gemeinsamen Jahrzehnte mit den Beatles haben ihre Spuren hinterlassen.

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