Ein Märchen nachbilden
Kolomenskoje. Foto: Lori Fotobank
In Reiseschriftsteller beschrieb 1914 in Moskau „zwei voneinander getrennte Welten": die Anwesen, wie „ein Winkel des Paradieses, in dem alle Schönheit und Eleganz herrschen ... und hinter deren Grenzen Russland – kalt, grau und ungeordnet". Das mag Russland im Ganzen nicht gerecht werden, doch jene historischen Landgüter sind nach wie vor idyllische Winkel der Stadt, umgeben von Parks und Wäldern, Seen und Obstgärten.
Nach der Revolution verstaatlichten die Kommunisten 1917 alle großen Besitzungen, und viele wurden beschädigt oder zerstört. Doch zum Glück erhielten einige von ihnen „Museumsstatus" und wurden erhalten.
Ein Märchen nachbilden
Der Vater Peters des Großen, Zar Alexej, ließ Mitte des 17. Jahrhunderts im Süden der Stadt zwischen den Uferschluchten einen riesigen Märchenpalast bauen: Kolomenskoje. Einst wurde er als achtes Weltwunder gepriesen, später niedergerissen. Doch der ehemalige Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow ließ eine gigantische Nachbildung errichten. Auf der anderen Seite des Parks gibt es ein Museum für Holzarchitektur: Dort sind unter anderem eine Holzkirche mit drei Kuppeln, Türme und Tore zu sehen.
Zar Wassilij III. gab 1532 in Kolomenskoje die hoch aufragende Christi-Himmelfahrts-Kirche in Auftrag. Sie steht auf einem Felsen über dem Fluss und wurde zur Feier der Geburt seines Sohnes, Iwans des Schrecklichen, errichtet. Pilger suchen die nahe gelegenen, verborgenen Täler auf, um Votivkleidung an die Bäume zu hängen, die neben heiligen Quellen und Felsen stehen; und Touristen machen hier Fahrten im Boot oder Dreispänner. Im Park gibt es Stallungen, Gärten, Teiche und das Holzhaus, in dem Peter der Große lebte, während er den Bau der russischen Flotte überwachte.
Die Insel Kathedrale
Die Insel-Kathedrale
Ismailowo. Foto: Lori Fotobank
Peters Begeisterung für Schiffe begann in einer anderen Residenz seines Vaters, auf einer künstlichen Insel in Ismailowo, im Osten der Stadt. Der ursprüngliche Holzpalast wurde zerstört, doch seine Kathedrale mit ihren fünf Kuppeln ist noch ebenso erhalten wie die eleganten Tore mit den Pfauenauge-Kacheln und einem schönen Brückenturm aus roten Ziegelsteinen. Hier trainierte der jugendliche Peter seine Truppen und lernte in einem kleinen Boot, das er in einer Scheune fand, das Segeln. Eine Seefahrtsstatue erinnert an Peters erstes Schiff, das als „Großvater der russischen Marine" bekannt ist.
Die Insel mit den Überresten des zaristischen Anwesens befindet sich in der Nähe von Moskaus größtem Kunsthandwerkermarkt. Dort werden Matrjoschka-Puppen, Pelzhüte, Patchwork-Decken und antikes Silber verkauft. Der Markt bietet eine eigene Kreml-Nachbildung (Festung) mit einer bunten Kopie von Palast und Boot sowie ein Wodka-Museum.
Unvollendete gotische Verrücktheiten
Unvollendete gotische Verrücktheiten
Der Schloss in Tsaritsyno. Foto: Corbis / Foto SA
Unter den erhaltenen Zaren-Palästen Moskaus befinden sich auch die Ruinen des gotischen Schlosses in Zarizyno. Katharina die Große entdeckte das Anwesen 1775 bei einem Spaziergang und war begeistert von den Seen inmitten bewaldeter Hügel. Das Gebiet gehörte einem alten Prinzen, der – wie sich Katharina in einem Brief beschwerte – „kein Interesse an Wasser, Wäldern oder majestätischer Landschaft" hatte, sondern sein Leben mit Kartenspielen verbrachte. Schließlich zwangen Spielschulden ihn dazu, Katharina das Land zu verkaufen. So begannen sofort die Arbeiten in der nun Zarizyno (Dorf der Zarin) genannten Landschaft. Doch den beiden berühmtesten Architekten der Zeit gelang es nicht, die Zarin zu überzeugen, so dass die Paläste noch unvollendet waren, als sie 21 Jahre später starb.
Vor einigen Jahren beschloss Luschkow, dass diese fantasievollen, verrückten Ruinen wieder aufgebaut werden sollten. Ein kontroverses Restaurierungsprogramm hat zu musikalischen Brunnen, großartigen Museen und vergoldeten Ballsälen geführt.
Moskaus Versailles
Moskaus Versailles
Das Anweisen Kuskowo. Foto: Lori Fotobank.
Sankt Petersburg mag im 18. und 19. Jahrhundert für einen Großteil der Zeit die Hauptstadt gewesen sein, doch aristokratische Familien bauten ihre großen Herrenhäuser dennoch in Moskau. Peter Scheremetjew, der zur Zeit Katharinas der Großen der reichsten Familie angehörte, baute Mitte des 18. Jahrhunderts Kuskowo. Das Anwesen mit seiner beeindruckenden, von Sphingen flankierten Treppe, die zu imposanten Räumen führt, welche mit flämischen Teppichen, tiefroter Seide, Bergkristallleuchtern und Spiegeln mit schweren Goldrahmen geschmückt sind, wird manchmal als das Moskauer Versailles bezeichnet.
In den Gärten gibt es zahlreiche Statuen und Sommerhäuser – einschließlich eines holländischen Giebelhauses mit Delfter Keramik –, ein Schweizer Chalet, eine italienische Villa und eine Höhle, die mit glitzerndem Sand und Muscheln verziert ist. In der Orangerie ist ein Keramikmuseum untergebracht.
Eines von Moskaus romantischsten Liebesverhältnissen begann in dieser herrlichen Umgebung. Graf Nikolai Scheremetjew verliebte sich in eine seiner Leibeigenen und heiratete sie heimlich. Es handelte sich um die Opernsängerin Praskowja Kowaljowa, die ihm den Spitznamen „Perle" gab. Nikolai errichtete das prächtige Anwesen Ostankino am anderen Ende der Stadt und zog 1795 zusammen mit Praskowja dort ein. Das Theater, in dem sie Primadonna war, veranstaltet an Sommerabenden Konzerte und Opern unter seiner spektakulär bemalten Decke.
Kulturelle Lieblingsplätze
Kulturelle Lieblingsplätze
Lanschaftpark Kuskowo. Foto: Lori Fotobank.
Ein anderes Anwesen, in dem die musikalischen Traditionen noch gepflegt werden, ist der Prinz Jusupow-Palast in Archangelskoje, direkt westlich von Moskau. Das Theater wurde von Osip Bowe errichtet, dem Konstrukteur des jüngst renovierten Bolschoi-Theaters. Alljährlich findet hier im Juni das Usadba Jazz-Festival statt, und klassische Konzerte stehen im Sommer rund um das neoklassizistische Mausoleum und die Kirche aus dem 17. Jahrhundert auf dem Programm. Zu den Attraktionen des Parks gehören Baumtunnel und prächtige Rasenflächen, die zu einem See voller Frösche führen, sowie großartige Blicke von der Terrasse über das alte Flusstal.
Eine weitere aristokratische Stätte, die sich perfekt für einen Spaziergang eignet, ist der Landschaftspark in Kusminki. Besucher können am Wasser entlang durch Wälder streifen, Brücken überqueren, an Kirchen und Statuen sich aufbäumender Pferde vorübergehen. Die Nebengebäude des ursprünglichen Palastes beherbergen ein Museum über das Leben auf einem solchen Landgut. Der Weg, der zu von Greifen bewachten Toren führt, ist bekannt für seine Tulpen, die hier im Frühling blühen.
Die Gegend steckt voller bezaubernder Überraschungen – wie zum Beispiel ein hölzernes Dorf, das Väterchen Frost (der russischen Version des Weihnachtsmanns) in Moskau als Zuhause dient, und Sammlungen von Oldtimern. Eine weitere architektonische Perle steht an den Ufern der Seen im Kusminki Park: ein gelbes Bauwerk mit Säulen, das als Durasow Herrenhaus bekannt ist und heute als Museum genutzt wird. Von der runden Halle in der Mitte gehen vier Flügel ab, die mit Säulengängen verbunden sind und so das umschlossene Santa Anna-Kreuz darstellen. Nikolai Durasow, ein exzentrischer Adeliger, gab dieses Bauwerk 1801 in Auftrag, um seiner Berufung zum Orden der Heiligen Anna zu gedenken. Es war ein Veranstaltungsort für Bälle, Bankette und Konzerte.
Besonders beliebt war diese Region im 19. Jahrhundert bei Datscha-Besitzern. Fjodor Dostojewski beispielsweise kam 1866 hierher. Der Bericht seiner Nichte über ihn zu jener Zeit steht im Widerspruch zu seinem Ruf als unermüdlicher und düsterer Schriftsteller. Sie beschreibt, wie er an Wortspielen und Amateur-Theateraufführungen teilnahm, und erklärt, er sei „der Urheber aller möglicher Streiche und Vergnügungen" gewesen. Heute finden die Besucher in den Moskauer Parks und Palästen der Adeligen und Zaren vieles, was die Stimmung hebt.
Weitere Informationen finden Sie unter en.travel2moscow.com
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!