Bei Prilepin ist die Revolution zum Element eines Pop-Songs geworden. Foto: Pressebild.
Sankya ist ein junger Rebell. Die radikale Partei, der er beitritt, will die Regierung stürzen. Ihre Methoden: mal zu einer Demo zusammenkommen, mal den Präsidenten mit faulem Gemüse bewerfen.
Doch der Geheimdienst initiiert eine Hetzjagd auf die Mitglieder und macht selbst vor Folter und Mord nicht halt. Zu guter Letzt entfacht die
Zakhar Prilepin: „Sankya". Aus dem Russischen von Erich Klein. Matthes & Seitz 2012. 362 Seiten
Partei einen dilettantischen Aufstand, der zum Scheitern verurteilt ist. Der Roman endet mit den Worten: „Nichts wird zu Ende gehen, alles wird weiterhin so sein, nur so." Zakhar Prilepin ist kein Revolutionstheoretiker, kein neuer Leo Trotzki. Er verzichtet auf das eigentliche Sahnehäubchen einer jeden Revolutionsbewegung – auf hitzige Debatten, in denen der Opponent mit glänzenden Argumenten auseinandergenommen wird. Das ist nichts für seinen Sankya. Dieser gibt in Dialogen mit politischen Gegnern nur unbedeutende Phrasen von sich. Doch er und die anderen Mitglieder der Partei sind lebendig, der Rest Russlands besteht aus leblosen Zombies.
Prilepin legt auch keinen Wert auf intellektuellen Glanz, auf ausgeklügelte Konzepte für raffinierte Aktionen. Die Aktionen, an denen Sankya teilnimmt, sind einfach: Was ist schon dabei, sich mit Wodka zuzudröhnen und ein McDonald's in Brand zu setzen? Damit reduziert Prilepin seinen Romanhelden bis aufs Äußerste, lässt ihn nackt dastehen, ohne den Schutz einer intellektuellen Hülle.
Während Sankya in Regionalzügen durchs Land reist, sich von Suppen ernährt und in Dörfer einkehrt, sehen wir Russland durch seine Augen
und müssen feststellen: Das Land ist krank. Und es ist Zeit zu handeln. Sankya polemisiert nicht. Er weiß es einfach: „Seitdem er erwachsener geworden war, war alles klar geworden. Es gibt einen Gott. Ohne Vater ist es schlecht. Die Mutter ist gut und teuer. Es gibt nur eine Heimat." Natürlich hat diese Erkenntnis zur Folge, dass der Romanheld sich im Laufe der Handlung kein Stück verändert. Das ist kein Held von Tolstoi oder Dostojewski, auch keiner von Gorki. Und doch verdeutlicht Prilepin durch das Abmeißeln von Überflüssigem das Wesentliche.
Prilepin, dem immer wieder Extremismus unterstellt wird, ist nüchtern betrachtet nicht extremistischer als Lady Gaga. Auf ihren Konzerten erstürmen Menschen mit Maschinengewehren und Fahnen einen hohen Turm. Ähnlich wie in der Schlussszene von „Sankya" ein Verwaltungsgebäude gestürmt wird. Die Revolution ist zum Element eines Pop-Songs geworden, deswegen kann man ihre ästhetische Seite nicht mehr ganz ernst nehmen.
Prilepin kümmert sich nicht um diese Ästhetik. Er untergräbt sie bewusst. Und doch ist das Ästhetische präsent, denn seine Romanhelden sind jung und schön, sie machen Revolution und haben Sex – in einem unschönen, heruntergekommenen Land. Beneidenswert, wenn man ein bisschen nachdenkt. Wir sind neidisch auch deswegen, weil Sankya von Gegenständen umgeben ist, die auf ihren Kern reduziert sind.
Im Buch tauchen keine Marken und kaum präzise Bezeichnungen auf. Isst Sankya eine Suppe, dann isst er nicht etwa Borschtsch oder Kürbissuppe. Isst er Fleisch, dann ist es Fleisch und kein Rind. Die Botschaft: Das Leben ist einfach, und man sollte es nur für große Taten nutzen. Diese Botschaft haben wir seit mindestens 50 Jahren nicht mehr aus Russland gehört.
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Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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