Ostseepipeline Nord Stream: Gasstreit und kein Ende

Der zweite Strang der Ostseepipeline Nord Stream ist jetzt im Betrieb. Foto: ITAR-TASS.

Der zweite Strang der Ostseepipeline Nord Stream ist jetzt im Betrieb. Foto: ITAR-TASS.

Das wichtigste energiepolitische Projekt des Kremls ist vollendet: Der russische Energiekonzern Gazprom nimmt den zweiten Strang der Pipeline Nord Stream in Betrieb. Die Ostseepipeline sollte ursprünglich die Abhängigkeit Moskaus vom Transit durch die Ukraine und Belarus verringern und die Position Gazproms in der Europäischen Union stärken. Doch es kam anders: Der Anteil Russlands am Gasmarkt der EU sinkt und statt mit seinen Nachbarn ist Moskau nun mit ganz Europa im Zwist.

Am Montag wurde in Anwesenheit von Präsident Wladimir Putin der zweite Strang der Ostseepipeline Nord Stream feierlich eröffnet. Es ist das wichtigste energiepolitische Projekt des Kremls in den letzten zwölf Jahren. Die Ostesee-Pipeline hat eine Länge von 1224 Kilometern, die Kosten belaufen sich nach offiziellen Angaben auf knapp 15 Milliarden Euro – 6 Milliarden Euro für den überirdischen und weitere 8,8 Milliarden Euro für den Unterwasserteil der Rohrleitung. Der russische Energiekonzern und Betreiber der Pipeline Gazprom hat einen Anteil von 51 % an den Aktien der Nord Stream AG. Die deutschen E.ON Ruhrgas und Wintershall besitzen 15,5 %, die holländische Gasunie und die französische GDF Suez jeweils 9 % der Aktien.

Der Kampf Gazproms gegen die Ukraine und Belarus

 1. Januar 2004.

Minsk weigert sich, das Jointventure Beltransgas zu gründen und 50 anstatt 40 US-$ für 1.000 m³ Gas zu zahlen. Daraufhin stellt Gazprom die Gaslieferungen nach Belarus ein. Am 18. Februar unterbricht Gazprom für fast 24 Stunden den Gastransit nach Europa. Am nächsten Tag legen die Seiten auf Drängen der EU den Streit bei und einigen sich auf einen Kompromiss: Der Preis soll nun 46,68 US-$ betragen.

1. Januar 2006.
Gazprom liefert kein Gas mehr in die Ukraine, da diese sich weigert einen Vertrag mit neuen Preisen (230 anstatt 50 US-$ für 1.000 m³) abzuschließen. Kiew zapft daraufhin Gas aus der Transitleitung nach Europa. Am 2. Januar speist Gasprom wieder das volle Liefervolumen ein, und am 4. Januar unterzeichnen die Seiten einen neuen Vertrag über die Lieferung eines Gemischs aus teurem russischen und billigem mittelasiatischen Gas in die Ukraine. Preis: 95 US-$.

31. Dezember 2008. 

Russland und Ukraine können sich wieder einmal nicht über die Gaslieferungen einigen. Gazproms beabsichtigt, für Kiew den Preis bis auf das europäische Niveau von 450 US-$ pro 1.000 m³ anzuheben. Am 1. Januar 2009 stellt Russland die Gaslieferungen an die Ukraine ein und stoppt am 7. Januar den Transit nach Europa. Am 19. Januar einigen sich die Ministerpräsidenten Wladimir Putin und Julia Timoschenko auf einen Preis von 450 US-$ für 1.000 m³ mit 20 % Rabatt für das Jahr 2009. 2010 erklärt Moskau sich einverstanden, Kiew Gas mit einem Rabatt von 30 % zu liefern, unter der Bedingung, dass die Schwarzmeerflotte der Russischen Föderation bis 2042 in Sewastopol stationiert bleiben darf. 2011 dient dieser Vertrag als Vorwand, Julia Timoschenko strafrechtlich zu verfolgen.

21. Juni 2010.

Gazprom schränkt wegen ausstehenden 187 Millionen US-$ die Gaslieferungen nach Belarus ein. Als Antwort schickt Minsk Russland eine Rechnung über 260 Millionen US-$ für den Gastransit zu einer neuen Durchleitungsgebühr und reduziert den Transit nach Litauen. Am 24. Juni überweist Belarus Russland 187 Millionen US-$, Gazprom zahlt im Gegenzug 228 Millionen US-$ und die Lieferung wird wieder aufgenommen.

2. Februar 2012.

Nach Beschwerden europäischer Abnehmer über Lieferkürzung während der Frostperiode bezichtigt Gazprom die Ukraine der unerlaubten Entnahme von Gas aus der Transitleitung. Kiew erklärt seinerseits, dass die Lieferung von Seiten Russlands verringert worden sei. Dem gehen anderthalb Jahre andauernde ergebnislose Verhandlungen der beiden Seiten voraus, wobei die Ukraine eine Senkung des Gaspreises fordert und Russland auf der Kontrolle über das Gastransportsystem der Ukraine besteht. Der Gastransit durch das Territorium der Ukraine geht um 23 % zurück. Einen Teil des Transits leitet Russland auf die im September 2011 in Betrieb genommene Pipeline Nord Stream und das System von Beltransgas weiter, an dem Gasprom bis zum November 2011 seine Anteile für fünf Milliarden US-$ auf 100 % aufgestockt hat.

Jahrelang hat die russische Regierung auf diesen Tag hingearbeitet. Die Idee, die Exportstrecken des in Westsibirien geförderten russischen Gases nach Europa zu diversifizieren, kam Gazprom bereits Anfang der 90er Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, als die Exportpipelines plötzlich unter die Kontrolle der unabhängig gewordenen Republiken Belarus und der Ukraine gerieten.

Mit Wladimir Putin an der Spitze versuchte die russische Regierung die verlorene Kontrolle über sämtliche Trassen zurück zu gewinnen. Moskau nahm mit Minsk Verhandlungen über den Ankauf eines Kontrollpaketes an Beltransgas und mit Kiew über die Gründung eines Konsortiums aus Gazprom und Naftogas auf der Basis des ukrainischen Gastransportsystems (GTS) auf. Doch Ende 2003 beschloss der belarussische Präsident Lukaschenko, die Einkünfte nicht länger mit Beltransgas teilen zu wollen. Es kam zum ersten Gaskrieg zwischen den beiden Nachbarstaaten. 2004 begann in der Ukraine die Orangene Revolution – nach Ansicht der russischen Regierung ein Versuch der USA, den Einfluss Moskaus auf den postsowjetischen Raum zu verringern.

Im selben Jahr wurde der endgültige Beschluss gefasst, eine Gas-Pipeline unter Umgehung der vorhandenen Trassen zu bauen. Bereits 2001 hatte Gazprom ein Memorandum zum Bau einer Unterseepipeline durch das Baltikum mit dem finnischen Unternehmen Fortum unterzeichnet. Im September 2005 beschlossen Gazprom, E.ON Ruhrgas und BASF die Errichtung einer Pipeline durch die Ostsee. Den Aufsichtsratsvorsitz der Nord Stream AG sollte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder übernehmen.

Es folgten quälende Jahre der Abstimmung zwischen jenen Ländern, die ein Interesse an dem Projekt hatten. Schweden, Litauen, Lettland, Estland und Polen sprachen sich entschieden gegen das Projekt Nord Stream aus — die Argumente reichten von ökologischen bis hin zu geopolitischen Problemen. Nichtsdestotrotz wurde 2010 mit dem Verlegen der Rohre begonnen. Und ungeachtet der Finanzkrise, ungeachtet der auf ein Mehrfaches gestiegenen Projektkosten, ging im November 2011 der erste Strang der Pipeline in Betrieb.

Durch den ersten Strang können jährlich 27,5 Milliarden Kubikmeter Gas befördert werden, der neu in Betrieb genommene zweite Strang verfügt über die gleiche Kapazität. Somit können insgesamt bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Deutschland geliefert werden – das ist etwa ein Drittel des aktuellen Exportvolumens nach Europa.

„Nord Stream ist ein Projekt zur Absicherung der Energiesicherheit Russlands und ein Meilenstein für die Entwicklung des Gasexports", meint Waleri Nesterow von der Investitionsbank Troika Dialog. „Damit wird praktisch die völlige Unabhängigkeit von den Transitländern gewährleistet. Die Pipeline ermöglicht Gazprom mehr Aktionsfreiheit und lässt den Konzern zu einem stärkeren Marktakteur werden."

Bei der Nord Stream AG ist man von der großen Zukunft des Projektes überzeugt. Nach Schätzungen des Unternehmens wird die Nachfrage Europas nach Importgas bis zum Jahre 2030 auf 180 Milliarden Kubikmeter anwachsen. Die Hälfte davon errechnet sich aus dem steigenden Verbrauch, die andere Hälfte kommt durch die nachlassenden Fördermengen aus der Nordsee zustande. Hinzu kommen die Pläne der EU zur Verringerung des Treibhausgasausstoßes – und Erdgas ist nun einmal der ökologisch sauberste fossile Brennstoff.

Die Nachfrage nach russischem Gas in Europa sinkt


Doch das Unternehmen könnte mit seinen Berechnungen falsch liegen. Seit 2009 sinkt in Europa die Nachfrage nach russischem Gas und mit ihr der Anteil Gazproms auf dem europäischen Markt. Dieser für den russischen Monopolisten und den Staatshaushalt der Russischen Föderation negative Trend ist vor allem mit der sogenannten Schieferrevolution auf dem Weltmarkt für Gas zu erklären, die Moskau lange als „gut organisierten PR-Trick" bezeichnete.

Der Boom der Förderung des billigen, in Flözkörpern lagernden Schiefergases setzte zuerst in den USA ein. Auch dort musste bis dato Gas importiert werden, weshalb es an der Küste riesige Terminals zur Aufnahme von Flüssigerdgas (LNG) aus Australien und dem Nahen Osten gab. Doch 2009 übernahm die USA mit einer Menge von 620 Milliarden Kubikmetern erstmals die weltweite Führung bei der Gasförderung. Amerika setzte sich vor Russland, wo 583 Milliarden Kubikmeter aus dem Erdboden geholt wurden. Unlängst berichtete die Regierung der USA von einer genaueren Bewertung der Gasreserven: Statt auf 37 Billionen werden diese nun auf bis zu 52 Billionen Kubikmeter geschätzt.

Foto: RIA Novosti.


Der Weltmarkt für Gas wurde in eine Euphorie versetzt, denn in vielen Regionen weltweit gibt es riesige Schieferreserven. Auch in Osteuropa, wo Erdgas bisher fast vollständig von Gazprom bezogen wird. Doch die

erste Aufregung hat sich bereits wieder gelegt, denn wie sich herausstellte, ist das Hydraulic Fracturing-Verfahren, kurz Fracing, schädlich für die Umwelt. Letzten Endes erwies sich die Förderung von Schiefergas als ein Ausweg für die dünnbesiedelten Regionen der USA, nicht aber für das dicht bevölkerte Europa. Nichtsdestotrotz hatte die Schieferrevolution einen spürbaren Einfluss auf den Gasmarkt der Europäischen Union. Denn das ursprünglich für die USA gedachte Flüssiggas aus dem Nahen Osten wird nun nach Europa geleitet. Das billige LNG aus Katar, dessen Anteil in Europa kontinuierlich steigt, führte zu einem Preisverfall auf dem Großhandelsmarkt. Der Gaspreis an der Börse unterscheidet sich dadurch spürbar von dem, für den Gazprom den Rohstoff im Rahmen langfristiger Verträge an seine Kunden verkauft, laut denen der Gaspreis an den Erdölpreis gekoppelt ist.

Gazprom im Zwist mit der EU


Die Leichtigkeit, mit der das arabische Gas in Europa das russische verdrängt, ist vor allem durch Gazprom selbst verschuldet. Nachdem im Winter 2009 wegen des Konfliktes zwischen Moskau und Kiew an einige Länder der EU kein Gas geliefert wurde, beschloss Brüssel eine Verringerung der Abhängigkeit von Russland. In Europa wurden riesige Terminals für die Aufnahme von LNG sowie Rohrleitungen zwischen den Ländern Zentral- und Osteuropas gebaut. Im Falle eines neuen Gaskonfliktes können nun die Länder mit alternativen Gasquellen aushelfen. Gazprom musste durch die plötzliche Konjunkturänderung auf dem europäischen Markt bereits erste Verluste verzeichnen. Die Abnehmer in der Europäischen Union versuchen die laut Abkommen geringstmöglichen Mengen zu kaufen.

Seit dem vergangenen Jahr führt die Europäische Kommission einen regelrechten Krieg gegen Gazprom. Zuerst wurden in den europäischen

Büroräumen des Unternehmens in einer beispiellosen Aktion Unterlagen beschlagnahmt. Und im August 2012 startete Brüssel dann eine großangelegte Antimonopol-Untersuchung. Laut Informationen der Zeitschrift Wlast sollte Russland mit der Aktion dazu gebracht werden, die Wünsche der Europäischen Union zu berücksichtigen und von der Kopplung des Gaspreises an die Erdölpreise abzurücken. Außerdem besteht die Europäischen Union darauf, dass Gazprom die Bedingungen des 3. Energiepakets erfüllt und die nach Europa führenden Pipelines an einen unabhängigen Betreiber abgibt.

Doch die russische Regierung leistet Widerstand. Im September unterzeichnete Putin einen Erlass, der den Staatsbetrieben die Übergabe von Unterlagen an ausländischen Regulierungsbehörden ohne Genehmigung der russischen Regierung untersagt. Auf dem Gipfeltreffen des Asien-Pazifik-Wirtschafts-Kooperationsrates erklärte sich Putin dazu bereit, die russischen fossilen Brennstoffe nach Asien zu liefern. Doch diese Drohung wird mittlerweile kaum noch ernst genommen, denn für einen großangelegten Gasexport nach Asien verfügt Russland nicht über die nötige Infrastruktur.

Somit hat Russland nach sieben Jahren des Kampfes um einen größeren Anteil am europäischen Markt das genaue Gegenteil erreicht. Moskau konnte zwar den Gaskrieg mit den benachbarten Transitländern beenden, wurde aber in einen Konflikt mit den Abnehmern hineingezogen. Die Chancen, hier einen Sieg zu erzielen, stehen um ein Vielfaches schlechter.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Zeitschrift Kommersant Wlast. 

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