Außenminister Lawrow: Im Europa des 21. Jahrhunderts sollten Visaprobleme endgültig Geschichte sein. Foto: Alamy/Photas.
„Ich möchte ungern auf Einzelheiten eingehen, doch wir haben das Gefühl, dass die wichtigsten Gründe auf der Seite unserer Partner aus der EU nicht technischer und auch nicht administrativer Art sind. Nach uns vorliegenden Informationen ist der Hauptgrund dafür ein politischer", teilte Lawrow am 8. Oktober in einer Rede vor Mitgliedern der Association of European Businesses in Moskau mit.
Eine der Hauptursachen für die Verzögerung ist seiner Meinung nach das Solidaritätsprinzip in der EU. Dadurch erschiene es „politisch nicht vertretbar, Russland einen visumsfreien Reiseverkehr zu gestatten, bevor ein solcher für die Länder eingeführt wurde, mit denen die EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft kooperiert."
„Wenn dem so ist, dann ist das ein äußerst politisierter Ansatz, der nicht berücksichtigt, was tatsächlich in Russland zur Sicherstellung eines visumsfreien Reiseverkehrs unternommen wurde. Ein Ansatz, der ausschließlich durch politische Gesichtspunkte vordiktiert wird", führte der Diplomat weiter aus.
Das Thema des visumsfreien Reiseverkehrs stellt für die Russische Föderation und die EU eines der wichtigsten Themen in der beidseitigen Beziehung dar. Moskau geht davon aus, dass die Abschaffung der Visapflicht neue Horizonte für die multilaterale Kooperation eröffnen wird.
„Im Europa des 21. Jahrhunderts sollten Visaprobleme, die das Agieren von Unternehmern auf internationaler Ebene, das wirtschaftliche Wachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze behindern, endgültig
Geschichte sein“, betonte Lawrow in seiner Rede. „Dieses Ziel können wir - davon sind wir zutiefst überzeugt - in der nahen Zukunft erreichen. Die Grundlage dafür ist eine Vereinbarung zwischen Moskau und Brüssel, in der die für den Übergang zum visafreien Reiseverkehr benötigten gemeinsamen Schritte aufgeführt sind. Es liegt bereits ein Entwurf für ein Abkommen über die weitere Liberalisierung des Visaverkehrs vor. Darin ist unter anderem die Erteilung von Mehrfachvisa mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren für Unternehmer und Vertreter von Unternehmerorganisationen vorgesehen“, führte Lawrow weiter aus.
Streitpunkt Dienstpässe
Nach Ansicht des Ministers gibt es auf dem Weg zur Unterzeichnung dieses Abkommens momentan ein einziges Hindernis: nämlich die Frage nach einer Bestimmung, durch die auch Inhaber biometrischer Dienstpässe vom visafreien Reiseverkehr profitieren würden. Eine ähnliche Bestimmung ist im Vertrag zwischen der EU und der Ukraine vorgesehen.
Nach Informationen der Zeitung Kommersant hätten die europäischen Beamten Zweifel, „dass in der Russischen Föderation Dienstausweise nur an Personen ausgegeben werden, denen diese auch tatsächlich zustehen." Moskau wies diese Bedenken kategorisch zurück. Der Zeitung zufolge erklärte sich Russland jedoch in der vergangenen Woche trotz allem zu Zugeständnissen bereit. So hätte Moskau bislang darauf bestanden, dass die Visapflicht für alle Inhaber solcher Pässe entfallen müsse. Doch nun erklärte man sich damit einverstanden, die häufigsten Kategorien – nämlich die Pässe von Angehörigen des Militärs und der Verwaltungen diplomatischer Vertretungen – von der Regelung auszuschließen.
Zurzeit werden dienstliche Reisepässe neben den bereits aufgelisteten Berufsgruppen auch an Mitarbeiter von Vertretungen der Russischen Föderation bei internationalen Organisationen, von staatlichen Unternehmen und der Zentralbank, von den verwaltungstechnischen Diensten der Präsidialverwaltung, des Regierungsapparats und der Staatlichen Duma ausgegeben. Auch einige andere Beschäftigte staatlicher Organe sowie deren Familienmitglieder können einen biometrischen Dienstausweis erhalten. Derzeit haben etwa 7 500 Russen einen solchen Ausweis.
Lawrow kündigte an, dass er das Thema Visafreiheit am 14. Oktober bei seinem Treffen mit den EU-Außenministern in Luxemburg erneut ansprechen werde. „Ich hoffe, dass die Vernunft trotz allem siegt und wir dieses wichtige Abkommen über die künftige Liberalisierung des Visaverkehrs als Zwischenschritt zu einer Einführung des visumsfreien Reiseverkehrs noch vor dem 1. November unterzeichnen können", betonte Lawrow.
Geschäftswelt soll Diskussion vorantreiben
Der russische Außenminister wies außerdem darauf hin, dass vor allem die Geschäftswelt von einer Vereinfachung der Visabestimmungen profitieren würde. Und diese verfüge über die Möglichkeit, direkten Einfluss auf die Politiker ihrer Länder zu nehmen. Nach Lawrows Ansicht könnte sie auf diese Weise ihre Regierungen und Politiker dazu veranlassen, sich von den tatsächlichen Gegebenheiten in der Wirtschaft und nicht von der Politik leiten zu lassen.
„Ich glaube, die Vertreter der Geschäftswelt könnten die Diskussion mit den Regierungen vorantreiben. Vor allem in Bezug auf das Thema, wie wir alle die Beziehungen zwischen Russland und der EU in 5, 10 oder 20 Jahren sehen möchten", appellierte Lawrow in seiner Ansprache an die europäischen Unternehmer.
Der Diplomat betonte, dass für Moskau die Entwicklung der Beziehungen
zur EU nach wie vor höchste Priorität habe. „Die Europäische Union ist unser wichtigster Wirtschaftspartner, auf den mehr als die Hälfte des russischen Außenhandels entfällt. Im vergangenen Jahr haben wir beim Handelsumsatz das Vorkrisenniveau in Höhe von fast 400 Mrd. US-Dollar erreicht. Etwa 80 % der ausländischen Investitionen in die russische Wirtschaft stammen aus EU-Ländern, und bis zu 40 % der Gold- und Devisenreserven unseres Landes sind in Euro denominiert", erklärte Lawrow.
Nach Angaben des Ministers könnten beide Seiten auf einzigartige Art und Weise voneinander profitieren. Beispielsweise durch die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften, durch Rohstoffe und finanzielle Ressourcen, Territorien, Bildung sowie qualifiziertes Personal. „Die Zusammenführung dieser Vorteile verspricht sowohl für die EU-Länder als auch für Russland Erfolg in den heute weltweit stark umkämpften Märkten", fasste der Diplomat abschließend zusammen.
Lawrow brachte zudem seine Überzeugung zum Ausdruck, dass der Eintritt Russlands in die Welthandelsorganisation die Voraussetzung dafür geschaffen habe, die Zusammenarbeit mit der EU in den Bereichen Handel und Wirtschaft auf ein qualitativ neues Niveau zu heben.
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