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Buchmessen in Russland
Zu Beginn der 1990er Jahre entwickelte sich der Buchsektor in Russland zunächst stürmisch. Mit den wirtschaftlichen Problemen gingen dann jedoch auch die Umsatzzahlen der Branche zurück. In den letzten zwei bis drei Jahren trat abermals ein Rückgang ein, obwohl die Zahl der registrierten Verlagshäuser nicht abnahm. Gegenwärtig gibt es in Russland 5868 Verlage, von denen fast ein Drittel nicht mehr als zwölf Titel jährlich herausbringt. Im letzten Jahr lagen wurden 612,5 Millionen Bücher verkauft, was einen Rückgang um 6,3 Prozent gegenüber 2010 bedeutet. (Quelle: Bericht „Der Buchmarkt Russlands" der Föderalen Agentur für Presse und Medien)
Nach der Statistik des Jahres 2011 ist der am häufigsten gedruckte ausländische Autor in Russland Alexandre Dumas mit 1,3 Millionen Exemplaren. Platz 2 belegt Agatha Christie mit 1,0 Millionen Exemplaren, gefolgt von der bekannten englischen Schriftstellerin Barbara Cartland mit 0,6 Millionen Exemplaren. (Quelle: Bericht „Der Buchmarkt Russlands“ der Föderalen Agentur für Presse und Medien)
Lediglich 552 Bücher erschienen in einer Auflage von mehr als 100 000 Exemplaren. Die höchsten Auflagen und die größte Popularität verzeichneten die Kriminalromane von Darja Donzowa, Julia Schilowa, Tatjana Ustinowa und Boris Akunin. Diese Bücher sind in jedem der 4 400 Buchläden Russlands, in den Buchabteilungen der Supermärkte, den Bücherkiosken auf Bahnhöfen, Flughäfen oder auf der Straße zu finden. Für diejenigen, die sich nicht für Krimis, Fantasy und Liebesromane begeistern können, gestaltet sich die Suche weitaus aufwändiger. Die Buchhandelsnetze in Russland nehmen nur ungern kleine Auflagen ab. In den Millionenstädten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Bücher per Internet zu bestellen, aber selbst in Moskau findet der Buchliebhaber das Gewünschte nicht immer.
Für Verlage, die Literatur in geringer Auflagenhöhe herausbringen, stellte der Vertrieb über den gesamten postsowjetischen Zeitraum hinweg das wichtigste Problem dar. Ein kleiner Verlag hat kein großes Werbebudget und muss deshalb informelle Wege für den Absatz seiner Produktion suchen.
Nicht umsonst findet man in jedem derartigen Verlag einen Mitarbeiter, der am laufenden Band Bibliotheken und Schulen anruft in der Hoffnung, sie zu Ankäufen zu animieren, oder Ministerien und Behörden abklappert, um staatliche Unterstützung einzuwerben.
Buchmessen, deren Zahl von Jahr zu Jahr wächst, bieten den Verlegern die Möglichkeit, die gesamte Bandbreite ihrer Neuerscheinungen zu präsentieren und mit dem Direktverkauf von Büchern Geld zu verdienen. Ausnahmslos alle Buchmessen in Russland räumen den vertretenen Verlagen das Recht ein, Bücher unmittelbar am Stand zu verkaufen.
Zu diesen Messen kommen die Besucher mit vollen Geldbörsen und riesigen Taschen, denn die Preise sind niedriger als im Laden. Die bedeutendsten Buchmessen werden in der Hauptstadt ausgerichtet, allerdings steigen in den letzten Jahren immer mehr Regionen Russlands in das Messegeschäft ein.
Die Moskauer Internationale Buchmesse
Die Moskauer Internationale Buchmesse (MIBF)
Foto: ITAR-TASS.
Die Geschichte der russischen Buchmessen begann 1977, auf dem Höhepunkt der Stagnationsjahre unter Parteichef Leonid Breshnew. Damals wurde ein Pavillon der Ausstellung mit den Errungenschaften der Volkswirtschaft – dem größten Ausstellungskomplex der Sowjetunion – mit
Ehrengast:Frankreich
Schwerpunktaussteller: Armenien
Gesamtfläche: 36 000 qm
Teilnehmerländer: 45
Vertretene Unternehmen: 1541
Das Programm umfasste mehr als 500 Veranstaltungen.
Präsentiert wurden über 200 000 neue Bücher in Dutzenden Sprachen der Welt.
An den sechs Messetagen zählte die Buchmesse insgesamt mehr als 200 000 Besucher.
Büchern bestückt, wobei Bücher seinerzeit ebenso rar waren wie Fleisch, französische Mode oder Möbel. Unter der strengen Aufsicht des Standpersonals konnten die Besucher Bücher in Augenschein nehmen oder sogar darin blättern, die es nirgendwo in den Läden zu kaufen gab. Bereits die erste Moskauer Buchmesse wurde als international deklariert, um der Welt zu beweisen, dass die sozialistische Buchindustrie floriert und die UdSSR das führende Leseland der Welt ist. In der Tat erreichten die Auflagen sowjetischer Verlage beeindruckende Höhen, 100 000 oder gar 500 000 Exemplare galten als normal. Hauptsächlich erschienen Werke der russischen Klassiker sowie Bücher von Gegenwartsautoren, die sich gegenüber dem Sowjetstaat loyal verhielten. Die ausländische Literatur war ebenfalls durch Klassiker, darüber hinaus aber auch durch kommunistische Schriftsteller und Freunde der Sowjetunion vertreten.
Mit dem Machtantritt Michail Gorbatschows setzte ein regelrechter Bücherboom ein. In den Verlagsprogrammen tauchten bis dato unbekannte Namen wie Umberto Eco, Gabriel Garcia Marquéz, William Faulkner oder Günter Grass auf. Es entstanden neue Verlage ohne Zensur.
Als den Verlegern 1993 gestattet wurde, ihre Bücher nicht nur auszustellen, sondern auch direkt zu verkaufen, stürzten sich die Besucherscharen auf die Neuerscheinungen und fegten förmlich die Messestände leer.
1995 ging die Moskauer Internationale Buchmesse zu einem jährlichen Turnus über, seit 1998 bringt sie dem Veranstalter – der Generaldirektion für die Ausrichtung internationaler Buchmessen, einem von der Regierung der Russischen Föderation ins Leben gerufenen staatlichen Unternehmen – sogar Gewinn. Mit der Zeit wurden die Reklame-Plakate für die MIBF abwechslungsreicher, auf dem Messegelände entstanden Flächen für Diskussionen und Foren.
Buchmesse non/fiction
Buchmesse non/fiction
Foto: ITAR-TASS.
Die Nachfrage bestimmt das Angebot. 1999 öffnete in der russischen Hauptstadt eine neue Buchmesse für intellektuelle Literatur – die International Fair for High-quality fiction and non-fiction – ihre Pforten. Im Unterschied zu der jährlich im September stattfindenden Internationalen Buchmesse Moskau wird die non/fiction Ende November bis Anfang Dezember im Zentralhaus des Künstlers in der Moskauer Innenstadt abgehalten.
Wie der Direktor des ausrichtenden Unternehmens „Expo-Park", Wassili Bytschkow, erklärt, wurde die Messe konzipiert als „Territorium der unabhängigen Kunst und des alternativen intellektuellen Denkens". Auf der non/fiction sind fast keine Repräsentanten der Massenliteratur anzutreffen, die Teilnehmerzahl liegt bei 200 bis 250 Verlagen. Dafür bildet die Messe für feinsinnige Kenner und Liebhaber hochwertiger Literatur ein Highlight, das man nicht so schnell vergisst.
Hier begegnet man nicht nur Prosa-Autoren und Lyrikern, sondern auch Politikern, Bloggern, Schauspielern, Persönlichkeiten, welche die
2011 präsentierten 250 Verlage, darunter 40 ausländische Verlagshäu-ser, ihre Bücher auf der 13. Moskauer non/fiction, die 35 000 Besucher anlockte.
öffentliche Meinung prägen. Die Diskussionsflächen sind stets gut gefüllt, denn bei den Lesungen und Präsentationen kommen aktuelle, den Nerv der Zeit treffende Themen zur Sprache. Das Messeprogramm ist vielgestaltig und umfasst Rundtischgespräche, Seminare, Wettbewerbe, Filmvor-führungen und Ausstellungen von Buchillustrationen. Für Kinder gibt es ein eigenes Programm. Auf der non/fiction-Messe werden gleich mehrere Literaturpreise verliehen.
In diesem Jahr findet die non/fiction Nr. 14 vom 28. November bis zum 2. Dezember statt.
Krasnojarsker Messe der Buchkultur (KRJaKK)
Krasnojarsker Messe der Buchkultur (KRJaKK)
Die zu den jüngsten Messeprojekten Russland zählende Krasnojarsker Messe der Buchkultur gibt es erst seit fünf Jahren. Sie wird vom Michail-Prochorow-Fonds zusammen mit der Regierung der Region Krasnojarsk sowie der Krasnojarsker Stadtverwaltung getragen.
Ihr Hauptziel besteht darin, in einer der bedeutendsten russischen Regionen ein Zentrum für für die Buchkultur zu schaffen. Sibirien, der Ural und der Ferne Osten kommen hier auf kultureller Ebene zusammen. Die Programmpolitik der Messe richtet sich strikt an den wichtigsten Funktionen des Buches in der Gesellschaft aus: das Buch als Ware, das Buch als Kunst und das Buch als soziales Institut.
Im Rahmen der Messe im Internationalen Ausstellungs- und Geschäftszentrum „Sibir" finden mehr als 100 Veranstaltungen statt. Zu den Höhepunkten zählt die Bekanntgabe der Ergebnisse des Literaturwettbewerbs „NOS" (Neue Sprache und Literatur), der gleichfalls vom Michail-Prochorow-Fonds ausgeschrieben wird.
In diesem Zusammenhang verdient eine weitere Initiative unbedingte Erwähnung und Nachahmung: Der Michail-Prochorow-Fonds kauft jährlich nach der Messe bei den ausstellenden Verlagen Bücher für die Bibliotheken der Region an, 2011 standen dafür 12 Millionen Rubel (300 000 Euro) zur Verfügung. Die regionalen Bibliotheken kommen so in den Genuss der besten Neuerscheinungen.
In den letzten Jahren entstanden in zahlreichen Regionen Russlands Buchmessen, die stets vom Lesepublikum gut angenommen werden. Großer Beliebtheit erfreuen sich beispielsweise der St. Petersburger Buchsalon und die Buchmesse in Nishni Nowgorod. Den regionalen Verlagen, darunter vor allem den Universitätsverlagen, bieten diese Fo-ren die Möglichkeit, Arbeiten vor Ort tätiger Wissenschaftler nahezubringen.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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