Atomenergie und Kernkraft - Fluch oder Segen?

Die Frage, ob neue AKWs in Europa gebaut werden sollen, wird immer wieder gestellt, denn eine richtige Alternative zu den Atommeilern existiert vorerst nicht. Foto: Getty Images / Fotobank.

Die Frage, ob neue AKWs in Europa gebaut werden sollen, wird immer wieder gestellt, denn eine richtige Alternative zu den Atommeilern existiert vorerst nicht. Foto: Getty Images / Fotobank.

Nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima fragen sich viele Staaten unter dem Druck der besorgten Öffentlichkeit: Soll die Atomkraft noch weiterentwickelt werden? Die Antwort fällt in den einzelnen Ländern unterschiedlich aus.

Die Bundesrepublik will bis 2022 den Atomausstieg vollziehen. Die britische Regierung hingegen antwortete positiv – schließlich gebe es gegenwärtig keine richtige Alternative zur Atomkraft. In den vergangenen Monaten kam es in vielen Ländern erneut zu einer Kernenergie-Debatte. Eines der jüngsten Ereignisse auf diesem Gebiet, das die öffentliche Stimmung mitprägt, ist die Streitfrage zwischen Russland und Bulgarien um den Bau des Atomkraftwerks Belene.

Der Bau des Atommeilers auf bulgarischem Boden hatte schon begonnen, als die bulgarische Regierung beschloss, von dem Projekt abzurücken. Nun will die russische Atomagentur Rosatom von Sofia eine Milliarde Euro für die bereits gelieferte Ausrüstung vor Gericht einfordern.

Die Bulgaren legen eines der modernsten AKW-Pojekte auf Eis, das den EUR-Zertifikat des Europäischen Lenkungsausschusses für Kernkraftwerkbetreiber erhielt. Das AKW sollte über passive und ein aktive Sicherheitssysteme verfügen sowie mit einer „Kernschmelz-Falle" ausgestattet werden. Außerdem wurden nach der Fukushima-Katastrophe für das bulgarische AKW Stresstests entsprechend den Normen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) ausgearbeitet, die der Meiler erfolgreich absolvierte.

Das wichtigste Gegenargumen der bulgarischen Regierung war die inanzielle Knappheit im Staatshaushalt. Doch diese Begründung erscheint

nicht sehr überzeugend, da Rosatom bereit war, eigenes Kapital in Höhe von 70 bis 100 Prozent in das Projekt zu inverstieren, und diese Kosten anschließend durch Stromlieferungen nach der Inbetriebnahme zu begleichen.Selbstverständlich ist der Bau von AKWs auf bulgarischem Boden die Sache von Sofia. Doch darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass mit der Abkehr von diesem Projekt ein wichtiges Element im System der ökologischen Sicherheit verschwindet, das nicht nur die EU, sondern die ganze Welt betrifft. Bis 2020 will man in der EU den Treibgasausstoß um 20 Prozent senken.

Kernkraftwerke sind als Energieerzeuger dieser Aufgabe gewachsen, denn einen CO2-Ausstoß gibt es bei einem AKW nicht. Dennoch haben die meisten EU-Staaten nach den Ereignissen in Fukushima ihre nationalen Atomprogramme auf Eis gelegt. Dieser Prozess ist nicht schmerzfrei verlaufen. Die Frage, ob neue AKWs in Europa gebaut werden sollen, wird immer wieder gestellt. Denn eine richtige Alternative zu den Atommeilern existiert vorerst nicht.

Das Erhöhen der Anteile aus alternativen Energiequellen an der Gesamtenergieerzeugung bleibt nach wie vor ein Traum der Fachleute. Ein Umstieg auf die Energiegewinnung aus Kohle oder Erdgas würde die globalen Anstrengungen gegen den globalen Klimawandel ad absurdum führen.

Dessen katastrophalen Auswirkungen in Form eines anormalen Temperaturanstiegs und Dürren ist in vielen Ländern der Erde bereits heute zu beobachten. Und solange es keine neue hocheffiziente Energiequellen gibt, wird man von der Atomenergie als ökologisch saubere Energie kaum loskommen. Das dürfte auch in Bulgarien klar geworden sein. Völlig unerwartet stellte sich Ex-Ministerpräsident Simeon II. auf die Seite der Atomkraftbefürworter, und diesem Mann kann man wirklich keine Russland-Sympathien nachsagen.

Seiner Meinung nach sei es unvernünftig, das Belene-Projekt abzuwickeln, da sich der Kreis der Nachbarländer, die neue Kernblöcke errichten, schließt: Rumänien baute die ersten beiden Blöcke des AKW Cernavoda fertig und erhielt von der EU grünes Licht für den Bau von Block 3 und 4, die 2017 in Betrieb gehen sollen. Die Türkei baut ebenso einen Atommeiler mit vier Blöcken, der unter anderem auch Elektroenergie für den Export in die Nachbarstaaten produzieren soll. Ferner würden durch eine Entscheidung dagegen viele Arbeitsplätze wegfallen. Deshalb haben in Bulgarien bereits mehr als 700 000 Menschen eine Petition zum Referendum unterzeichnet, auf dem über den Bau des AKW Belene demokratisch abgestimmt werden könnte.

Wird dagegen gestimmt, wird Bulgarien, nach dem das einzige Kernkraftwerk Kosloduj vom Netz geht, möglicherweise in einen Energiedefizit geraten. Die Atomkraftgegner in der EU hätten dafür wieder Gesprächsstoff.

Der Autor ist Ressortleiter Umwelt und Energie bei der Presseagentur RIA Novosti.

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