Die elekronishe Lesegeräte sind in Russland sehr populär geworden. Foto: ITAR-TASS.
Ein Passagier in der Moskauer Metro, vertieft in die Lektüre eines dicken Buchs: Das ist die perfekte Bebilderung des Mythos von Russland als dem (einst) „lesefreundlichsten Land der Welt".
Nun treten an die Stelle des gedruckten Buchs auch in Russland elektronische Lesegeräte. Für die einen macht das die rollende Lektürestunde im buchstäblichen Sinn leichter. Die anderen fürchten den Niedergang der Lesekultur, ihr Aufgehen in den Bildschirmwelten von Fernsehen und Computer.
Nach einer Analyse der Mediengruppe RBC vom Juli 2012 hat sich der Umsatz von elektronischen Büchern in Russland seit 2008 um mehr als das Tausendfache gesteigert. Die Entwicklung vollzieht sich allerdings auf einem niedrigen Niveau: Vergleichbare Steigerungsraten vorausgesetzt, würde die digital zugängliche Literatur im Jahr 2015 gerade einmal fünf Prozent des Markts ausmachen.
Zudem würde nur jedes zehnte elektronische Buch käuflich erworben – der Rest illegal heruntergeladen. Auf dem legalen Markt für E-Books sind verschiedene Akteure wie www.litres.ru oder www.imobilco.ru aktiv. Der Onlinebuchhändler litres.ru ist mit rund 280 000 Titeln und einem Marktanteil von über 50 Prozent nach eigenen Angaben der größte Anbieter und hat sich programmatisch dem Kampf gegen die digitale Piraterie verschrieben.
Die kommerziellen Anbieter von elektronischen Inhalten beklagen mithin eine schlechte Kaufmentalität. Die russischen Nutzer seien an die
Gratiskultur des Internets gewöhnt und nur ungern bereit, für E-Books zu bezahlen. Dass es auch vermittelnde Positionen gibt, zeigt das Beispiel des russischen Erfolgsautors Dmitry Glukhovsky, der mit seinem dystopischen Science-Fiction-Thriller „Metro 2033" einen Bestseller gelandet hat. Der Autor verdankt seinen literarischen Aufstieg dem Internet, wo er seine ersten Bücher im Selbstverlag veröffentlichte. Glukhovsky vertritt bis heute eine ungewöhnliche Publikationspolitik: Sämtliche seiner Werke stehen im Web frei zur Verfügung. Sein Argument: So könnten sich die Leser von der Qualität seiner Bücher überzeugen und dann entscheiden, ob sie diese auch käuflich erwerben wollen.
Das radikale Modell von Glukhovsky mag nicht für alle Autoren oder Literaturgattungen Vorbild sein. Es zeigt jedoch, dass die schwarz-weiß-malerische Gegenüberstellung von gedrucktem und digitalem Buch, von guten Käufern und skrupellosen Downloadern nicht so statisch sein muss und die Entwicklung innovativer kommerzieller Modelle und Vermarktungsstrategien gefragt ist. Die russische Metro bleibt in jedem Fall ein guter Ort für die Literatur – als Thema und als Ort der Lektüre.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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