Obwohl ökologisch gesehen nicht ganz einwandfrei, sind die Plastetüten in Russland immer noch der Renner. Foto: ITAR-TASS.
Was allein in Moskau täglich herum geschleppt und transportiert wird! In der Metro versperren einem dicke Rucksäcke die Sicht oder die beliebten Einkaufswägelchen lassen einen straucheln, zerreißen Strumpfhosen und Nerven, denn sie sind im dichten Getümmel der Rush Hour nicht zu sehen. Jetzt im Herbst trecken die autolosen Datschniki, so heißen hier die Datschenanbeter und Besitzer, die Ernte auf ihrem Rücken nach Hause in die Stadt. Und später werden dann die eingeweckten Gaben der Datscha, die das Familienbudget ordentlich entlastet, auf die Familie in der ganzen Stadt verteilt und tauchen wieder in der Metro auf. Ein richtiger Kreislauf ist das!
Die so genannten Türkensamsonites, die großen federleichten karierten Taschen sind für Kleinunternehmer und Straßenhändler unentbehrlich.
Und auch sie tauchen mit schöner Regelmäßigkeit in der Metro auf. Da aber ihre Besitzer meist nicht Russen, sondern Zugereiste sind, müssen sie beim Entern der U-Bahn die gierigen Polizisten überwinden, die garantiert ihre polizeiliche Anmeldung sehen wollen und auch zu gern ein Auge auf die Ware werfen möchten. Vielleicht kann man ja was brauchen davon, nicht wahr? Alles unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung, könnten ja Bomben drin sein.
Obwohl ökologisch gesehen nicht ganz einwandfrei, sind die Plastetüten hier immer noch der Renner. Zu Sowjetzeiten heiß begehrt, wurden sie dann zu Beginn der hungrigen 90er als Ware verkauft. Hineinzutun hatten die wenigsten etwas, Lebensmittel waren rationiert und es gab wieder Marken. Aber die schönen bunten Tüten waren offensichtlich für die Russen sehr reizvoll. Sie gehören bis heute zur Standardausrüstung vor allem der Frauen, die zu ihrer modischen Tasche immer noch eine Tüte mit zur Arbeit nehmen. Ob da die Pausenmahlzeit oder die Wechselschuhe oder eine frische Bluse für das abendliche Rendezvous drin sind, bleibt ihr Geheimnis.
Für diese Zwecke nimmt man nicht irgendeine Tüte, wie zum Beispiel aus der Discounterkette „Pjatjorotschka", was soviel wie 5 Rubel heißt und auf Niedrigpreise hinweist. Nein, da werden exotische Tüten bevorzugt, zum Beispiel aus dem Duty Free in Sidney oder Rejkjavik oder aus Edelboutiquen. Diese Tüten hält man dann dezent so, dass sie alle bestaunen können.
Andere wiederum nutzen die praktischen Einkaufstüten, bis sie
unansehnlich werden und auseinander fallen. Manche waschen sie sogar, andere sammeln sie, legen sie ordentlich zusammen und verstauen sie in einer ebensolchen Einkaufstüte. Bei Regen stülpen sich Erfindungsreiche das Ding über den Kopf. Die Tüten sind nahezu Universalgenies. Leider fliegen und liegen sie überall herum, in Parks, im Wald, in den Innenhöfen – überall da, wo sich das Volk zu einem Imbiß mit Umtrunk trifft oder eben einfach nur so. Sogar in der Taiga, in der Nähe von Gold- und Diamantenminen, sind sie zu finden.
Zu Sowjetzeiten, als Defizite das Einkaufen zur Qual machten, konnte man nie wissen, wann es wo etwas gab. Um gewappnet zu sein, hatte man stets ein Netz dabei, das im Volksmund „Awoska" hieß, was man vielleicht mit „Für alle Fälle-Beutel" oder „Vielleicht-Netz oder Tasche übersetzen könnte. Das Awoska war immer dabei, genau wie in der DDR die selbst genähten Stoffbeutel zur Alltagsausrüstung gehörten, denn auch da war der Einkauf von Zufällen geprägt. Wegen dieser Beutel wurden die Ossis im Westen verlacht und Beutelratten genannt, aber ein paar Jahre später feierte der wieder benutzbare Stoffbeutel ökologische Auferstehung.
Es beeindruckt mich immer wieder, wenn ich sehe, wie 20 oder 30 Eier in einer dünnen Plastetüte sicher und unbeschadet nach Hause getragen werden. Um das Geld für die Eierpappe auf dem Markt zu sparen, besinnt man sich auf alte Gewohnheiten. Für Eier gibt es noch eine geniale Überlieferung aus Sowjetzeiten, ein in sich zusammen klappbares Drahtnetz, was wenig Platz wegnimmt und die Eier zuverlässig schützt.
Die ökologische Notwendigkeit, der Plastetütenmanie ein Ende zu setzen, hat sich hierzulande noch nicht durchgesetzt. Sie sind ja so schön bunt! Bunt sind auch die Taschen der Damen, die hier viel einfallsreicher und modischer daher kommen als in Germanien. Mut zur Mode ist hier bei der holden Weiblichkeit massenhaft vorhanden. Als große Damentaschen urplötzlich in Mode kamen, schleppten sie sie alle. Oft waren sie fast leer, aber modisch. Und finden konnte man darin auch nichts.
Die Männer dagegen lassen es ruhiger angehen, tragen alle möglichen zerknautschten Taschen über den Schultern oder halten eine Herrengelenktasche in der Hand. Das ist so mit das Übelste, was sich ein Mann antun kann. Vor ein paar Jahren trug Otto Normaverbraucher billige Cases, wie diese Kunstleder-und Aluminiumköfferchen hochtrabend hießen, mit sich herum. Diesen Ungetümen fielen die Strumpfhosen der Damen zum Opfer, denn sie hatten scharfe Kanten. Natürlich tragen die Herren im feinen Zwirn zu ihren teuren Schuhen auch italienische Designertaschen, das ist ja überall auf der Welt so.
Auch spezielle Taschen für Laptops werden freizügig und universal genutzt. Jeder nimmt das, was ihm am bequemsten ist. So schleppt sich halt jeder auf seine Weise durch den Alltag.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!