Mit der Kenntnis der russischen Literatur ist es in Deutschland nicht so besonders weit her. Man weiß gerade noch: Tolstoi hat dicke Bücher geschrieben, in denen Leute mit schwierigen Namen vorkommen. Und man weiß auch, dass russische Bücher immer furchtbar deprimierend sind.
Nicht so bei Woinowitsch. Der Nestbeschmutzer war ein Meister, die realen Absurditäten des sowjetischen Alltags ins Groteske zu übersteigern. Seine Geschichten sind wilde Fantasie, aber sie sind wahr.
Da ist ein notorischer Antisemit, der sich seine Unterhose mit Bleifolie ausstopft, weil er glaubt, dass Juden ihre russischen Mitbürger mit
Strahlen impotent machen. Ein Dorfaktivist brennt Schnaps aus Exkrementen. Eine Heldin der sozialistischen Arbeit treibt sich auf Parteiversammlungen herum und liegt ansonsten auf der faulen Haut. Auch wenn deutsche Leser nicht alle Details einordnen können, das Anliegen ist klar. Opportunismus, Bürokratie, ideologische Verbohrtheit – man muss nicht in der UdSSR aufgewachsen sein, um zu verstehen, was Woinowitsch da der Lächerlichkeit preisgibt. Sein „Iwan Tschonkin", ein Schelmenroman aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, war meine erste Berührung mit der Sowjetunion, und ich habe daraus mehr gelernt als von manchen Ostexperten. Sein Werk „Moskau 2042" wurde zwar in den 1980er-Jahren geschrieben, aber man kann darin Züge des heutigen Russlands erkennen: Die Kirche ist wiedererstarkt, um den Führer „Genialissimus" wird ein Personenkult betrieben, das Land exportiert Gas, gewonnen aus Fäkalien.
Wladimir Woinowitsch ist immer noch der witzigste Dissident. Und ein guter Einstieg in die russische Literatur.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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