Korruption ist offenbar eines der Hauptprobleme in Russland. Auf dem Bild: Ein Verkehrspolizist überprüft den Führerschein des Fahrers. Foto: ITAR-TASS.
Anfang Oktober 2012 ging Bribr, eine neue iPhone/iPad-App an den Start. Sie gestattet Benutzern, Informationen über die Zahlung von Bestechungsgeldern anonym abzusetzen. Die Entwickler unterstreichen den unpolitischen Charakter: Ihr Ziel sei der Kampf gegen die Alltagsbestechlichkeit und nicht die Enthüllung großer Korruptionsfälle.
Und so funktioniert Bribr: Der Nutzer lädt die Applikation auf sein iPhone und berichtet anonym, dass er zum Beispiel durch Zahlung eines bestimmten Betrages um eine Strafe für das Fahren im angetrunkenen Zustand herumgekommen ist. Er gibt die Höhe des Betrages an und kreuzt eine bestimmt Kategorie für seinen Fall an. In diesem Fall die Polizei. Auch der Ort der Schmiergeldzahlung kann angegeben werden. Ansonsten bleibt alles anonym.
Bribr ist nicht die einzige Crowdsourcing-Seite im Web, die Bestechlichkeit und Korruption thematisiert. Es gab kurzzeitig eine russische Adresse vzyatka.crowdmap.com, der aber nach zwei Monaten die Puste ausging. Gerade einmal 20 Fälle wurden registriert, dafür hatten sie einen Umfang von 200 Mio. Rubel, also fünf Millionen Euro. In Indien gibt es die Crowdsourcing-Initiative ipaidabribe schon sei Sommer 2010, um Machtmissbrauch und Bestechlichkeit aufzudecken sowie den "Marktpreis der Korruption" zu ermitteln. Auch in Kenia entstand eine ähnliche Seite von Anti-Korruptions-Aktivisten nach dem indischen Vorbild. Selbst in Kolumbien besteht ein internetbasierter "Monitor de Corrupción".
Auf der Internetseite Bribr.org zeigt eine Statistik die bisher „aufgedeckten" Bakschisch-Zahlungen: Seit dem 24. September wurden 1,67 Millionen Rubel, umgerechnet ca. 40.000 Euro an Schmiergeldern auf der Internetseite verewigt. Einen Großteil der Benutzeroberfläche nimmt eine Karte ein, auf der die entsprechenden „Übergabestellen" verzeichnet sind. "Crowdmapping" heißt der englische Fachausdruck für solche Veranstaltungen, bei denen anonyme Betroffene bestimmte Orte markieren können.
"Die Korruption ist mittlerweile eines der Hauptprobleme in Russland," schildert Projektgründerin Jewgenija Kujda ihre Sichtweise. "Aber interessanterweise richtet sich die Wut der Leute nur gegen hohe Beamte; sich selbst sparen sie aus." Denn leider ist Bestechlichkeit seit Jahr und Tag Bestandteil des russischen Alltags. Ein Blick auf Bribr zeigt, dass nicht etwa Bestechlichkeit im Amt - zum Beispiel beim Einwohnermeldeamt oder bei Gericht - die Liste der häufigsten Fälle anführt, sondern fast ein Drittel der Versuche kommt Lehreinrichtungen "zugute", wenn versucht wird, Examen positiv zu beeinflussen. Auf dem zweiten Platz des Rankings landen die Versuche, Kinder in Kindergärten unterzubringen. Da ist einem nichts zu teuer. Schnell schiebt man zur Meinungsbildung mal einen Schein über den Tisch.
Doch wie bei allen Crowdmappings ist Vorsicht geboten. Denn die Meldungen geben keinesfalls eine statistisch saubere Erhebung wieder. In ihrem Manifest macht das Bribr-Team darauf aufmerksam, dass es die Authentizität der Meldungen nicht garantieren könne, rechne aber mit dem Verantwortungsbewusstsein der Nutzer. Alle eingehenden Berichte würden moderiert — absurde Meldungen herausgefiltert, Spams gesperrt. "Wir gehen nicht von einer hundertprozentigen Ehrlichkeit aus. Wir wollen die Menschen informieren und auf spielerische Art erreichen, dass sich unser Verantwortungsbewusstsein steigert", erklärt Kujda.
Die Macher von Bribr lassen sich von der hehren Absicht tragen, die gesellschaftliche Aversion gegen die Vorteilsnahme im Alltag auch außerhalb des Internets zu verstärken. Sie haben beispielsweise Banknoten mit einem Nominalwert von null Rubeln entworfen, die man von der Internetseite herunterladen, ausschneiden und zur "Bestechung" von Verkehrspolizisten einsetzen könnte.
Demnächst ist auch eine Version für Nokia- und Android-Betriebssysteme geplant. Für den Austausch der Ergebnisse, die Unterstützung des Bribr-Projektes und weitere gemeinsame Projekte sucht das Team die Zusammenarbeit mit der russischen Vertretung des Internationalen Zentrums für Antikorruptionsforschung sowie Transparency International.
Die Expertengemeinschaft und namhafte Antikorruptionsaktivisten schätzen die Zukunft von Bribr jedoch zurückhaltend ein. „Das Projekt ist zwar interessant, aber doch sehr spezifisch. Und es richtet sich nur an einen sehr kleinen Kreis, die das teure iPhone besitzen", geht Iwan Begtin, Direktor der gemeinnützigen Organisation Informazionnaja
kultura, auf Distanz. „Bribr hat vor allem zwei Fragen zu klären: Erstens: Wie können gefälschte Mitteilungen entdeckt und herausgefiltert werden? Zweitens: Wie werden immer mehr Menschen animiert, Bestehungsversuche und Amtsmissbrauch auf diese Art und Weise anzuzeigen?" Auch Rospil, das Antikorruptionsprojekt des oppositionellen Bloggers Alexej Nawalny, hat Fragen an Bribr: „Die Schöpfer lehnen es aus irgendeinem Grunde ab, große Schmiergeldzahlungen zu berücksichtigen, von denen bereits eine einzige die Statistik mit einem Schlage verändern würde. Das verfälscht doch die wirkliche Problematik. Die großangelegte russische Wirtschaftskorruption kann sich hinter den kleinen, alltäglichen Bestechereien ausruhen", ärgert sich der Rospil-Jurist Andrej Mischenko.
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