Konflikte zwischen radikalislamistisch gesinnten Zuwanderern und der russischen Bevölkerung sind häufiger geworden. Auf dem Bild: Die Moskauer Muslime feiern das Fest Urasa Bairam. Foto: RIA Novosti.
Als kürzlich im Moskauer Stadtbezirk Mitino die Baugenehmigung für eine Moschee und ein muslimisches Begegnungszentrum erteilt wurde, gingen Anwohner zu Hunderten auf die Straße. Sie wollten keine „Häufung von Fremden" in ihrem Wohngebiet, hieß ein Argument. Die Pläne wurden wieder fallen gelassen.
So geschieht es seit Jahren, und das nicht nur in der Hauptstadt. Im traditionellen Vielvölkerstaat Russland gärt es. Der Islam ist zwar seit Jahrhunderten integraler Bestandteil des russischen Lebens, das Miteinander bleibt aber schwierig.
Tataren, Baschkiren und Kalmücken
Eine genaue Statistik gibt es nicht, aber an die 20 Millionen Menschen sind in Russland muslimischen Glaubens, etwa ein Siebtel der Gesamtbevölkerung. Traditionell stark ist der Islam in den kaukasischen Teilrepubliken und in den Gebieten zwischen der Wolga und dem Ural – bei Tataren, Baschkiren und Kalmücken. Unter Letztgenannten gibt es wiederum sehr viele Buddhisten.
Seit dem Ende der Sowjetunion kommen Millionen von Gastarbeitern aus dem Kaukasus und den ehemaligen mittelasiatischen Sowjetrepubliken, die vor der dortigen Armut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit fliehen. Viele davon schuften als Billigst-Arbeitskräfte auf Baustellen, die Zahl der Illegalen unter ihnen liegt im Dunkeln.
Wachsender Unmut
Unter der russischen Bevölkerung wächst der Unmut über die Flut an Fremden in ihren Städten. Viele Menschen beklagen den mangelnden Integrationswillen der Zugereisten. „Die kommen mit ihren eigenen Sitten
hierher und missachten unsere Regeln", lautet das gängigste Argument. Erst unlängst machte die Meldung über eine Hochzeitsfahrt mit einer Autokolonne aus Luxuslimousinen durch Moskau Schlagzeilen, bei der Dagestaner auf offener Straße Freudenschüsse abgegeben hatten. Die Empörung war groß – in Russland ist diese Art zu „feiern" nun einmal nicht üblich. Auf Unverständnis bis Entsetzen stößt das Hammelschlachten an hohen islamischen Festtagen auf offener Straße. Wenn an solchen Tagen tausende Muslime die Straßen um die Moskauer Hauptmoschee verstopfen, kocht die Volkswut hoch.
Immer wieder kommt zu ernsten Konflikten zwischen Kaukasiern und russischer Bevölkerung. Der Pogrom im karelischen Kondopoga gegen die als „Kaukasier-Mafia" empfundene tschetschenische Diaspora im September 2006 sorgte für weltweites Aufsehen, ist aber kein Einzelfall. Fast täglich gibt es irgendwo in dem Riesenland gewaltsame Auseinandersetzungen.
Der Tod eines Fußballfans, der von einem Kaukasier erstochen worden war, den die Polizei zunächst einfach laufen ließ, entlud sich im November 2010 in eine nationalistische Massenkundgebung in der Moskauer Innenstadt am Roten Platz, bei der sich Demonstranten und Polizisten eine Straßenschlacht lieferten.
Neue islamistische Gefahr aus Tadschikistan
Eine ganz andere Gefahr droht derweil durch radikalislamistisch gesinnte Zuwanderer aus Mittelasien, die sich besonders gern in Tatarstan niederlassen. Diese traditionell muslimische Teilrepublik jenseits der Wolga bemüht sich seit Jahrzehnten um den Dialog und tritt ganz bewusst für einen gemäßigten Islam ein.
Die aus Tadschikistan kommenden Einwanderer lassen sich in Großfamilienverbänden in Dörfern und Städten nieder und agitieren ortsansässige Tataren und Russen für ihren radikalen Glauben. In der tatarischen Hauptstadt Kasan sind erst vor Kurzem Anschläge auf den Mufti und seinen Stellvertreter verübt worden. Diese Attentate gehen eindeutig auf das Konto von Islamisten gehen. Attentate dieser Art sind gezielte Versuche, den gemäßigten Islam zu diskreditieren.
Multikulti überlebenswichtig für Russland
Das Miteinander verschiedener Kulturen ist für Russland eine Lebensnotwendigkeit, denn alles andere würde an die Grundfesten des Staates rühren. Der Kreml setzt denn auch bewusst auf den Dialog. Präsident Wladimir Putin betont immer wieder, Russland müsse ein Vielvölkerstaat bleiben. Radikalen Nationalismus verurteilt er eine ebenso wie radikalen Islamismus.
Separatistischen Bewegungen wie z. B. in Tschetschenien, erteilt der Kreml eine klare Abfuhr. Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche und der regionalen muslimischen Verwaltungen betonen stets ihren Willen zur Kooperation und sind auch in ständigem Kontakt miteinander.
In den Schulen gibt es spezielle Programme zum Erlernen von Toleranz, auf kommunaler Ebene werden Begegnungen von Ortsansässigen mit den verschiedenen islamischen Diasporen gefördert. Das internationale Programm „Dialog der Zivilisationen" widmet einen großen Teil seiner Projekte dem besseren Verständnis zwischen den beiden größten Konfessionen Russlands.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Russland Aktuell.
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