Ostausschuss wird 60: Zurück oder nach vorne?

Foto: AFP/ East News.

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Letzten Donnerstag feierte der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft sein 60-jähriges Bestehen. Nach dem Krieg gegründet, entwickelte er sich zur größten und einflussreichsten Vereinigung für die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands mit den östlichen Ländern. Dem Verhältnis zu Russland kam stets eine besonders wichtige Rolle zu. Zum 60. Jubiläum ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft wurde im Jahr 1952 gegründet, drei Jahre vor der Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und der BRD. Sicherlich spielt hierbei die besondere Situation Deutschlands nach dem Krieg eine Rolle: Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Gesellschaft erlaubten die Siegermächte Deutschland die wirtschaftliche Expansion - und zwar vor allem in Richtung Osten, da man auf den westlichen Märkten von einer Konkurrenz durch den gerade erst besiegten Feind nicht sehr begeistert war.

Die aktive wirtschaftliche Annäherung zwischen UdSSR und BRD begann schließlich in den Sechzigerjahren und gipfelte in einem strategischen Übereinkommen zum Bau einer Erdgaspipeline nach Westeuropa, in erster Linie zur Versorgung des deutschen Marktes.

Den Wirtschaftsinteressen folgten politische Veränderungen: Kanzler Willy Brandts Ostpolitik machte Bonn Ende der Sechzigerjahre zu einem wichtigen Partner Moskaus in Europa. Diese Situation hat sich auch in der postsowjetischen Ära praktisch nicht geändert – Deutschland hat sich mehr als einmal als der verlässlichste Partner Russlands erwiesen.

Gerade jetzt, wo Europa schwere Zeiten durchmacht, spielen für die deutsche Wirtschaft die Beziehungen zu Russland wieder eine wichtige Rolle. Dazu passt, dass bei der Festveranstaltung des 60-jährigen Bestehens des Ostausschusses im Berliner Hotel Adlon auch Kanzlerin Angela Merkel anwesend war. Doch über den russisch-deutschen Beziehungen brauen sich wieder einmal dunkle Wolken zusammen.

Der Fall Schockenhoff: Deutsch-russische Beziehungen getrübt


Grund dafür ist Andreas Schockenhoff, aktiver konservativer Politiker und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag sowie Bevollmächtigter für Kontakte zu Russland. Ein von ihm bereits im Sommer vorbereiteter Vortrag mit kritischen Bemerkungen zu Russlands Innen- und Außenpolitik verprellte zuerst das deutsche Auswärtige Amt, das darauf bestand, einige Formulierungen zu entschärfen. Und danach erhielt Schockenhoff eine Abfuhr vom Außenministerium der Russischen Föderation, das sich faktisch weigerte, überhaupt noch mit ihm zusammenzuarbeiten.

 

In Regierung und Partei wird die Position Schockenhoffs dabei mitnichten von allen geteilt - viele nehmen an, dass momentan nicht der beste Zeitpunkt sei, es sich mit Russland zu verderben, sei es wegen Pussy Riot oder anderer autoritärer Erscheinungen im Lande.

 

Das Kanzleramt besteht nun darauf, dass Andreas Schockenhoff auch weiterhin seinen Pflichten nachkommt, da es nicht Moskau obliege zu

entscheiden, welcher deutsche Politiker oder Beamte welche Aufgabe zu erledigen habe. Der anstehende deutsch-russische „Petersburger Dialog“ unter dem Vorsitz von Merkel und Putin wird wohl, wenn überhaupt, in recht freudloser Atmosphäre stattfinden. Der Vortrag Schockenhoffs, zumal in der durch das Auswärtige Amt entschärften Version, hätte wohl noch vor anderthalb Jahren kaum eine solche Aufmerksamkeit hervorgerufen. Russland hätte sich über dessen Voreingenommenheit beschwert und mehr nicht. Heutzutage jedoch, wo ein schärferer Wind weht, reagiert die russische Regierung auf solche Erscheinungen äußerst dünnhäutig und droht jedes Mal mit einer vollständigen Einstellung der Zusammenarbeit. 

Russland zeigt sein neues Selbstbewusstsein


Die Message ist folgende: Russland ist nunmehr ein starker und selbstbewusster Staat. Jegliches Erbe der Epoche, als das Land aufgrund

seiner Schwäche zur Abhängigkeit gezwungen war, ist zu verdrängen. Genau betrachtet strebt Russland ähnliche Beziehungen an, wie es sie zwischen der UdSSR und dem Westen während des Kalten Krieges schon einmal gegeben hat, wenn auch auf höherem Niveau und in modernerer Form. Das deutsche Beispiel ist dafür am anschaulichsten. Die geschäftlichen und politischen Kontakte entwickelten sich in den Siebzigerjahren sehr erfolgreich, aber niemandem kam es in den Sinn, einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Beziehungen und dem sowjetischen Staats- und Gesellschaftssystem zu sehen. Es verstand sich damals von selbst, dass die Sowjetunion vollkommen anders aufgebaut war und es sinnlos war, darüber zu diskutieren.

Das Modell, das Putin gerne wiederbeleben möchte, basiert auf der Annahme, dass in Russland andere Ideale und Werte herrschen. Der Westen müsse dieses Anderssein anerkennen und dürfe es nicht zum Thema für Diskussionen machen. Andererseits stellt Russland aber auch einen untrennbaren Teil der Weltwirtschaft dar und ist dazu bereit, den Weg der Integration weiter zu gehen.

Es ist kein Zufall, dass Moskau sich mit dem WTO-Beitritt den internationalen wirtschaftlichen Strukturen annähert. Dies steht im Zusammenhang mit den sich verschlechternden Beziehungen zwischen Russland und den im humanitären Bereich tätigen Regierungsorganisationen OSZE und Europäischer Rat.

Wladimir Putin glaubt, dass nackte wirtschaftliche Interessen alle ideologischen Motive überwiegen. Deshalb zieht er es vor, sich mit Geschäftsleuten zu treffen, mit denen er praktische Dinge diskutieren kann, und nicht so sehr mit seinen Politiker-Kollegen, die ihn ganz offensichtlich ermüden. Der russische Präsident nimmt an, dass sich eine Politik der Härte - wie schon zu Sowjetzeiten - unterm Strich bewährt.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Gazeta.ru 

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