Literaturmarkt: Russische Literatur im Aufwind

Auf der Podiumsdiskussion von Russland HEUTE auf der Frankfurter Buchmesse unterhielten sich die Autoren Dmitri Gluchowski und Michail Schischkin mit der Verlegerin Irina Prochorowa und der Übersetzerin Dorothea Trottenberg über die Vermittlung russischer Literatur im Ausland.

Podiumsdiskussion am Russland HEUTE-Stand über russische Literatur in Deutschland. Die Fotos sind von den Organisatoren des russischen Stands auf der Frankfurter Buchmesse zugewiesen.


Der russische Stand in Halle 5 auf der Frankfurter Buchmesse stand am 13. Oktober ganz im Zeichen der Podiumsdiskussion „Russland erlesen". Diese ging der Frage über die Wahrnehmung der russischsprachigen Literatur im Ausland nach. Thomas Wiedling von der Literaturagentur Nibbe & Wiedling Literary Agency moderierte die Veranstaltung mit den Fragen „was halten wir für einen richtigen russischen Autor? Ist es nach wie vor das Bild von Leo Tolstoi mit grauem Vollbart? Muss russische Literatur sein wie Doktor Schiwago? Wie erklärt man sich den Erfolg von Wladimir Kaminer in Deutschland? Wie sieht der Weg zum Erfolg aus?"

Wir haben die interessantesten Statements der Beteiligten gesammelt.

Michail Schischkin, Autor von „Briefsteller" und „Venushaar":


„Ich freue mich immer für Autoren, die schnell zum großen Erfolg kommen. Bei mir war das nicht der Fall. Die Absagen waren immer sehr positiv: Ihr Roman ist zu anspruchsvoll für unsere Leser. Ich fühle mich natürlich geschmeichelt, aber die Frage konnte ich nicht für mich beantworten: Warum hält ein Verlag seine Leser für dümmer, als sie sind?

Als ein Verlag in Deutschland durch die Vermittlung meines Agenten

schließlich den Mut hatte, den Roman zu veröffentlichen, stellte sich der Erfolg auch ein. Als russischer Autor bist du mit dem Klischee aufgewachsen, dass der russische Autor im Ausland an Nostalgie, also an der Sehnsucht nach der Heimat, stirbt. Er muss dann in Paris sitzen und am Wodka zugrunde gehen. Das ist aber eine Propagandaidee der Diktatoren des 20. Jahrhunderts, die den Aderlass ins Ausland verhindern wollten. Es ist an der Zeit, dass die russischen Autoren auf die Bühne der Gegenwarts-Weltliteratur zurückkehren. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingen wird, denn das 21. Jahrhundert erlaubt es Autoren auch, eine Zeitlang oder immer im Ausland zu leben und trotzdem Russen zu bleiben."

Dmitri Gluchowski, bekannt insbesondere für seinen „Metro 2033"-Zyklus


„Ich glaube, dass Herr Schischkin mehr dem klassischen Bild des intelligenten russischen Schriftstellers entspricht als ich. Auch die von ihm gewonnenen Preise sprechen für seine Bedeutung. Meine Geschichte ist

mit seiner nicht wirklich zu vergleichen. Meine Bücher werden in einem ganz anderen Marktsegment veröffentlicht. Ich werde als Autor von Unterhaltungsliteratur wahrgenommen, und ich habe den Eindruck, dass ein Redakteur in Literaturzeitschriften seinen Job riskiert, wenn er über Unterhaltungsliteratur schreibt. Mit meiner Nationalität hat das nichts zu tun, eher mit dem Genre, mit dem ich bekannt geworden bin. Dabei ist Fantasy, der inzwischen auch die Zukunftsliteratur eingeordnet wird, nicht einmal mein Lieblingsgenre. Wenn es um Qualität geht, habe ich mich an drei Namen orientiert: Strugatzki, Bradbury und Lem. Interessanterweise werden diese nicht als typisch russische Klischee-Autoren wahrgenommen."

Irina Prochorowa, Mitgründerin der Michail Prochorow-Stiftung und Verlegerin des „New Literary Observer"-Verlags:


„Lange Zeit wurden Bücher ausgesucht, die den Klischees entsprachen. Andere Bücher wurden im Ausland mit der Begründung abgelehnt, sie

seien nicht russisch genug. In den letzten Jahren habe ich jedoch ein gestiegenes Interesse an nicht-traditioneller russischer Literatur beobachten können. Dass Schischkins Bücher inzwischen kurz nach ihrem Erscheinen in Russland auch in Deutschland veröffentlicht werden, ist ein Beleg dafür. Auch dass nun Bücher von Warlam Schalamow 30 Jahre nach seinem Tod ins Deutsche übersetzt werden, deutet darauf hin. Und ein Phänomen wie Wladimir Kaminer, der das Russischsein insbesondere aus der Perspektive im Ausland betrachtet, spricht ebenfalls für das gestiegene Interesse."

Die Übersetzerin Dorothea Trottenberg, hatte am Vortag auf der Buchmesse den renommierten Paul-Celan-Preis für ihr Gesamtwerk

erhalten. Als „Erstleserin" in Vertretung eines zukünftigen Lesepublikums sieht sie auch die Übersetzungsqualität als entscheidend. Sie zitiert einen Kollegen: »Bei einer guten Übersetzung ist es so wie mit einem gut geputzten Fensterglas: man nimmt das Glas gar nicht mehr wahr. Ich möchte das Buch als Leserin ja nicht als Übersetzung wahrnehmen. Andererseits möchte ich, dass regionsspezifische Dinge erhalten bleiben. Warum sollte man Namen übersetzen? Es ist auch wichtig, nach Möglichkeit mit den Autoren direkt in Kontakt zu stehen und zusammenzuarbeiten. Es gibt Autoren, die in ihrer Erstübersetzung nicht zum Erfolg gefunden haben; erst eine zweite Übersetzung hat dann den Erfolg gebracht."

Thomas Wiedling fasste die Diskussion zusammen und sah vielversprechende Zeichen für eine Wandlung im Markt: Es gibt viel Neues zu entdecken und daran haben die Autoren sowie engagierte Übersetzer und Verleger, die in und mit der russischen Sprache arbeiteten, entscheidenden Anteil.

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