Würdevoll sterben in Russland

Das Recht, würdevoll zu sterben: Heute gibt es in Russland staatliche und private Einrichtungen, die auf die Bedürfnisse sterbender Patienten ausgerichtet sind. Foto: PhotoXPress.

Das Recht, würdevoll zu sterben: Heute gibt es in Russland staatliche und private Einrichtungen, die auf die Bedürfnisse sterbender Patienten ausgerichtet sind. Foto: PhotoXPress.

Für viele russische Ärzte hat die Lebensqualität von sterbenden Patienten noch immer nicht die höchste Priorität. Betroffene Angehörige verlangen nun den Ausbau von Hospizen.

„Meine Mutter starb in den 1990ern an Krebs", erzählt Olga Malinowa, eine pensionierte Lehrerin, der Zeitung Moskowskie Nowosti. „Im Krankenhaus wurde brutal mit ihr umgegangen. Daher holten wir sie zum Sterben nach Hause. Sie hatte starke Schmerzen, doch Medikamente dagegen zu bekommen, war wegen der Bürokratie nur sehr schwer möglich. Es war für uns alle eine Tragödie."

Nachdem Olga Malinowa den qualvollen Tod ihrer Mutter miterleben musste, war sie damit konfrontiert, dass es ihrem Vater ähnlich ergehen könnte – auch er litt an Krebs: „Wir haben seinen Zustand mit den Ärzten besprochen und ich habe mir Geld geliehen, um besser für ihn sorgen zu können", sagt die pensionierte Lehrerin.

Wenige Monate nach der schrecklichen Diagnose wurde ihr Vater jedoch tot in der Familien-Datscha aufgefunden. „Sein Tod wurde als natürlich deklariert, aber ich glaube, dass es deswegen dazu kam, weil er meine Mutter in Qualen hat sterben sehen, depressiv wurde und daher beschloss, so schnell wie möglich los zu lassen", vertraut Malinowa der Zeitung an. Malinowa ist der Meinung, dass zu viele Russen den Tod als etwas Furchtbares ansehen. „Dabei ist der Tod ein natürlicher Bestandteil des Lebens. Wenn man das einmal verinnerlicht hat, dann beginnt man zu verstehen, dass es wichtig ist, in Würde zu sterben."

Russland denkt um


Russlands erstes modernes Hospiz entstand 1990 in St. Petersburg. 1994 wurde erstmals eines in Moskau gegründet. Heute gibt es in der Hauptstadt sowohl staatliche als auch private Einrichtungen, die auf die Bedürfnisse sterbender Patienten ausgerichtet sind.

„Es ist für todkranke Patienten besser, wenn sie zuhause sterben und nicht in speziellen Einrichtungen. Daher sieht die Hospizpflege vor, dass man Schmerzmittel zur palliativen Behandlung in den eigenen vier Wänden bekommt", so Sergej Sokolow, ein Facharzt für Anästhesiologie in einem Krankenhaus in der Region Wladimir, gegenüber der Moskowskie Nowosti.

Laut Sokolow hängt die schlechte Pflege von sterbenden Menschen damit zusammen, dass Angehörige oft kein Mitgefühl zeigen. „Menschen, die im Sterben liegen, werden sogar auf dem Land gut versorgt. Doch das größere Problem liegt darin, dass Angehörige oft selbst kein Interesse an ihren sterbenden Verwandten zeigen", so der Anästhesist.

Für Sokolow fördern Großstädte die Entfremdung von Familienangehörigen. „Für Familien im Nordkaukasus ist es völlig

ausgeschlossen, ein Familienmitglied, das im Sterben liegt, alleine zu lassen", meint er. „In Moskau denkt man in dieser Hinsicht anders – zum Glück repräsentiert Moskau nicht ganz Russland." Sokolow ist der Auffassung, dass die täglichen Horrorartikel über Patienten, die ohne Schmerzmittel sterben – wie es bei der Dichterin Ada Jakuschewa der Fall war, die aufgrund von bürokratischen Auflagen erst einen Tag vor ihrem Tod schmerzstillende Medikamente erhielt – auf einen Fachkräftemangel zurückzuführen sind. „In Russland fehlt es an Ärzten und Krankenschwestern. Viele in diesem Beruf halten es auch nicht für notwendig sich anzustrengen, denn es wird niemand kommen und sie ersetzen."

Moskaus erstes Hospiz


Seit 1994 werden im ersten Moskauer Hospiz, das offiziell als „Perwij Moskowskij Hospis" bezeichnet wird, sterbenskranke Menschen betreut. Auch ihren Angehörigen wird dort die dringend benötigte Unterstützung geboten. Es ist ein freundlicher Ort, wo eine warme Atmosphäre herrscht, wo das Personal die Besucher noch herzlich grüßt und ihnen dabei in die Augen sieht, was in Moskaus medizinischen Einrichtungen eine Seltenheit ist.

Njuta Federmesser, die Tochter der Hospiz-Gründerin Vera Millionschtschikowa und Leiterin des Hospiz-Fonds „Vera", der russische Hospize unterstützt, ist der Meinung, dass das „Perwij Moskowskij Hospis" ein wunderbares Beispiel für ein würdevolles Hospiz ist. Gleichzeitig ist dieser Pflegebereich in Russland bis heute noch unterentwickelt.

Eines der Hauptprobleme im russischen Hospizsystem ist die starre Bürokratie, welche die Ausgabe von Schmerzmedikamenten regelt, die vor allem in der Behandlung von Krebspatienten im vierten Stadium benötigt werden. Der Hospiz-Fonds „Vera" arbeitet in diesem Bereich mit der Legislative zusammen, um den Zugang zu Medikamenten zu erleichtern – der Weg bisher war allerdings lang und steinig, gibt Federmesser zu.

Ein würdevoller Tod ist aber nicht nur eine Sache von Medikamenten – es geht auch darum, wie gut man darauf vorbereitet und wie sehr man sich seiner Vergänglichkeit bewusst ist. „In Moskau dreht sich alles nur um Konsum und die schönen Seiten des Lebens", meint Federmesser. „Wenn die eigene Mutter im Alter von 87 Jahren jedoch im Sterben liegt, ist es egal wie viel Geld man hat, denn man wird unweigerlich mit der Ignoranz und Angst des medizinischen Personals konfrontiert werden."

Die Zusammenarbeit mit Moskauer Ärzten hat Federmesser davon überzeugt, dass es doch ein „Licht am Ende des Tunnels" gibt. „Es gibt gute Krankenhausleiter, die das Niveau von Spitälern anheben. Moskau ist somit zu einer Stadt geworden, in der man nicht nur in Würde sterben kann, sondern auch eine würdevolle und gute Behandlung bekommt.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei The Moscow News. 

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