Romney oder Obama: Wer ist schlimmer für Russland?

Bild: Niyaz Karim.

Bild: Niyaz Karim.

Mitt Romneys Entgleisung, Russland sei der geopolitische Feind Nr. 1, schreckte in Russland niemanden so richtig ab. Alles Amerikanische scheint die Russen nicht mehr so recht zu interessieren. Und so scheint es auch egal, wer denn nun der nächste amerikanische Präsident wird.

Bevorzugen die Russen Romney oder Obama? Tatsächlich ist es ihnen eher gleichgültig, wer neuer US-Präsident wird, denn die Faszination für alles Amerikanische hat in Russland längst abgenommen.

Oder vielleicht sollte ich das gar nicht erwähnen? Wenn es um Russlands Beziehungen zu Großbritannien oder den Vereinigten Staaten geht, wird die russische öffentliche Meinung durch die westlichen Medien häufig als unreif bezeichnet. Zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus werden wir noch als Kinder behandelt, die in einer Problemfamilie aufwachsen. Die Ernüchterung der Russen im Hinblick auf die USA wird gewöhnlich den giftigen Einflüssen des staatlichen Fernsehens oder den schmutzigen Propaganda-Tricks Putins zugeschrieben. Das einzige Heilmittel, das normalerweise für diese Art „Kinderkrankheit" vorgeschlagen wird, ist eine verstärkte Bereitstellung von westlichen Medien. Dabei gibt es die bereits in großer Zahl.

Das wachsende Durchdringen des russischen Marktes mit Produkten der westlichen Medienkonzerne ist am Beispiel der Vedomosti  zu erkennen, die in Zusammenarbeit mit dem Wall Street Journal und der Financial Times herausgegeben wird und de facto ein russischer Klon dieser Zeitungen ist. Doch auch im Internet, Radio und sogar im Fernsehen gibt es zahlreiche westliche Medienprodukte – aber im Westen scheint man davon auszugehen, dass es gar nicht zu viel Westpropaganda geben kann und nicht wenig genug Putin-Propaganda.

Die Wahrheit ist: Während der letzten zwanzig Jahre ist den USA, Großbritannien und anderen Mitgliedern der Europäischen Union das gelungen, was noch Ende der Achtzigerjahre, auf dem Höhepunkt der Popularität des Westens in Russland, undenkbar gewesen wäre: Sie haben es geschafft, die russische Volksmeinung zu verlieren.

Westliche Politiker können gefährlich dumm sein


Große Anstrengungen waren nötig, um solch ein Ergebnis zu erreichen. Die Erweiterung der NATO, die Bombardierung Jugoslawiens und mehrere Kriege im Nahen Osten hätten wahrscheinlich nicht ganz ausgereicht, diese Aufgabe zu erfüllen. Das Fass zum Überlaufen gebracht hat Gouverneur Romneys Charakterisierung Russlands als „unseren geopolitischen Feind Nummer Eins". Das war die Spitze dessen, was Russland in den zwei letzten Jahrzehnten einstecken musste. Es kam sogar den hartnäckigsten russischen Liberalen so vor, dass einige westliche Politiker manchmal nicht nur heuchlerisch, sondern ganz einfach dumm sein können. Gefährlich dumm.

Russland, das gewiss keine Hochburg der Demokratie oder des Wirtschaftswohlstands ist, stellt mit Sicherheit keine Bedrohung für die Vereinigten Staaten dar. Es ist auch keine Gefahr für seine Nachbarn. Die ständigen Sprüche des ehemaligen georgischen Staatsführers Michail Saakaschwilis über die „aggressive" Politik des Kremls sollten schon alleine aufgrund ihrer provokativen Art Zweifel aufkommen lassen. Die Nachbarn der Sowjetunion sprachen in den Vierziger- und Fünfzigerjahren selten über den aggressiven Charakter des sowjetischen Diktators Stalin, da sie Angst hatten, diesen zu provozieren und möglicherweise sein nächstes Opfer zu werden. Potenzielle Angreifer werden in der Regel beruhigt und nur selten provoziert.

Dies sind Dinge, die leicht zu erkennen sind. Als also Obama während der letzten Debatte zu Romney sagte: „Die Achtzigerjahre – lassen Sie uns daran erinnern, um zur Außenpolitik von damals zurückzukehren", drückte er tatsächlich die Gefühle einer großen Zahl Russen aus. Viele Russen, wie auch viele Amerikaner, stellen sich die Frage: Ist der Unterschied zwischen Romney und Obama nicht nur rhetorisch? Tatsächlich verspricht Romney so manches, was Obama bereits - mit mehr Engagement – in Angriff genommen hat. Mehr Eliminierungen von Terrorverdächtigen mithilfe von Drohnen, umfassendere Sanktionen gegen den Iran, mehr Unbeugsamkeit gegenüber Russland ...

Sowjetische Führer kamen mit Republikanern besser zurecht als mit Demokraten


Tatsächlich führte diese notorische republikanische „Unbeugsamkeit" gegenüber Moskau ab und an zu recht freundlichen persönlichen Beziehungen zwischen den sowjetischen Führern und ihren amerikanischen Kollegen. „Die sowjetischen Führer genossen manchmal die Anwesenheit von Republikanern im Weißen Haus, da die derbe Rhetorik der Grand Old Party als eine willkommene Rechtfertigung für eine kompromisslosere Ideologie und großzügigere Wiederaufrüstungsprogramme in der Sowjetunion diente", erinnert sich Dimitry de Koshko, ein französischer Schriftsteller und Fachmann auf dem Gebiet der Außenpolitik.

Anstatt seine Sorge über Herrn Romneys absonderliche Behauptung vom „geopolitischen Feind Nummer Eins" zu zeigen, bedankte Putin sich umgehend bei „Mitt" für diese Äußerung, da sie es dem russischen Präsidenten erlaube, seinen Leuten zu demonstrieren, dass der sich schnell entwickelnde amerikanischer Raketenabwehrschirm in Europa leicht in „falsche Hände" fallen könne. In dieser Situation hat Putin kein moralisches Urteil abgegeben, sondern benahm sich wie ein kaltblütiger politischer Spieler, der einen falschen Zug seines Feinds ausnutzt.

Tatsächlich könnte das die Lösung eines seit langer Zeit bestehenden Rätsels sein, das da lautet: Warum waren die Kandidaten der Demokraten bei Russlands einfachen Leuten populärer (Kennedy und Roosevelt waren die einzigen durchweg positiv besetzten Figuren – selbst für die ultrakritischen sowjetischen Medien), während die sowjetischen Führer besser mit den republikanischen Falken zurechtkamen?

Die Antwort auf diese Frage liegt nicht etwa in Russlands militärischer Schwäche oder Stärke. Unter Stalin war Amerikas militärische Überlegenheit über Russland viel offensichtlicher, aber sie führte in den Nachkriegsjahren nicht zum Frieden. Die Antwort hängt wie gewöhnlich von der Sichtweise ab. Kandidaten wie Romney lassen die Russen in Moskau und Syrier in Damaskus sich als Gefangene fühlen. Und jeder Gefangene träumt von einer persönlichen Festung.

Putin gehört nicht zu diesem Menschenschlag – Russlands jüngster Deal

mit BP zeigt, wie weit er von dieser Isolationspolitik entfernt ist. Aber Romneys Mundwerk ist ein sehr bequemes Instrument: Mit ihm lassen sich Reformen in einer belagerten Festung einfrieren und auftauen, wann immer man dies mag. Kann ein pragmatischer Staatsmann wie Putin sich irgendetwas Besseres wünschen? Und verdienen die Menschen in den Vereinigten Staaten nicht jemanden, der sachkundiger und nicht ganz so arrogant ist, wie die einzige Alternative für den eher doppelzüngigen Herrn Obama?

Dmitrij Babitsch ist politischer Analyst beim Radiosender Stimme Russlands.

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