Bild: Sergej Jolkin.
Anatoli Serdjukows unerwartete Entlassung von seinem Posten als Verteidigungsminister am 6. November zeigt uns, wie wichtig Personalpolitik im heutigen Russland noch immer ist. Angeblich wurde Serdjukow wegen Veruntreuungsvorwürfen entlassen, die im Zusammenhang mit der Rüstungs-Holdingsgesellschaft Oboronserwis stehen. Aber andere Minister haben sich wesentlich mehr vorzuwerfen, und noch bis vor kurzem schien es, dass Serdjukow die volle Unterstützung von Präsident Wladimir Putin genießt. Daran muss sich etwas geändert haben.
Es lag nicht daran, dass der Führungsstab Serdjukow verachtete. Dort wurde seit Jahren gemurrt, und je übler sie dort schimpften, desto mehr galt dies als Beweis dafür, dass er seinen Job wirklich gut macht. Eine Reform ist schließlich schmerzhaft.
Stattdessen wurde sein Handlungsspielraum durch persönliche Beziehungen und Gerüchte um eine Affäre eingeschränkt. Sein Schwiegervater Viktor Subkow, Ex-Ministerpräsident, Aufsichtsratsvorsitzender bei Gazprom und enger Verbündeter von Putin, forderte seine Absetzung. Serdjukow war ein zuverlässiger Handlanger, aber Subkow ist eine einflussreiche Figur, die zum inneren Kreis Putins zählt.
Putin entschied sich für Subkow – und der Minister musste gehen. Die Geschichte zeigt, dass ein mächtiger persönlicher Freund des Präsidenten wesentlich mehr Einfluss als ein fähiger Minister oder sogar der komplette Führungsstab der Armee hat.
Militärreform
Die Geschichte markiert einen grundlegenden Scheideweg für die Militärreform. Serdjukow hatte diesen Entwicklungsprozess gerade erst in
Angriff genommen und die praktischen Auswirkungen vieler seiner konkreten Maßnahmen sind noch vollkommen offen. Die Armee ist nun nicht mehr länger in Divisionen wie zu Zeiten der Sowjetarmee strukturiert, sondern in kleinere Brigaden und Bataillone mit taktischen Einheiten, die flexibler sein sollen. Einschnitte gab es auch bei dem aufgeblähten Offizierskorps. Es gibt immer noch viele Probleme. Doch Serdjukow verdient Anerkennung dafür, dass er begonnen hat, das russische Militär aus seiner sowjetischen Vergangenheit herauszuziehen.
Als Nächstes soll die Qualität der Soldaten und vor allem der Unteroffiziere und der niedrigen Offiziersränge sowie die Ausrüstung verbessert werden. Denn gegenwärtig ist ein Großteil der Ausrüstung der Armee überteuert, veraltet und entspricht dem, was der Verteidigungsindustrie und nicht etwa dem Militär genehm ist.
Das bedeutet eine beachtliche Reihe Herausforderungen für Serdjukows Nachfolger Sergei Schoigu, den ehemaligen Zivilschutzminister, der seit sechs Monaten Gouverneur des Moskauer Gebiets ist. Putin betrachtet Schoigu eindeutig als jemanden, der zupacken kann, als jemanden, auf den er sich verlassen kann.
In seiner achtzehnjährigen Amtszeit als Minister schuf Schoigu aus einem unstrukturierten Haufen nahezu unbrauchbarer Feuerwehrmänner, Zivilschutztruppen und anderen Rettungskräfte eine schlagkräftige Struktur.
Zukunft mit Schoigu
Er hat das Potential dazu, ein noch erfolgreicherer Verteidigungsminister zu werden. Obwohl er im Rang eines Generals steht, ist er doch ein Ingenieur und Verwaltungsleiter und genauso wenig ein Armeemensch wie Serdjukow. Aber er weiß, wie man mit den „Silowiki", den „starken Männern" des Sicherheitsapparats, umgeht. Er weiß auch, wie man konservative und schlecht funktionierende Strukturen modernisiert.
Die folgende Stufe der Reform bedarf einer Sichtweise über den Rahmen des Ministeriums hinaus und muss sich der Verteidigungsindustrie annehmen und das Militärbudget beschneiden, auch wenn das eine Auseinandersetzung mit den Generälen verlangt. Dies wird ein geschickteres politisches Fingerspitzengefühl verlangen als es Serdjukow hatte – aber auch die Bereitwilligkeit, sich gegen alte Interessen durchzusetzen.
Schoigu mag die Sachkenntnisse und das Rückgrat für diesen Kampf haben, aber wird er sich dafür entscheiden? Unter Putin, der immer distanzierter wirkt, beginnen Mitglieder der Elite das Undenkbare zu denken: Wer wird ihn letzten Endes beerben? Die möglichen Varianten erstrecken sich vom nationalistischen Impresario Dmitri Rogosin und dem Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin bis hin zum Putin-Stellvertreter und Problemlöser Dmitri Kosak. Schoigu steht auch auf dieser Liste. Er ist der populärste Minister in der Regierung, energisch und kompetent. Als zukünftiger Ministerpräsident, ja sogar als Präsident gibt er einen glaubwürdigen Kandidaten ab.
Bisher war Schoigu ein loyaler und pragmatischer Problemlöser – gerade das, was das Verteidigungsministerium benötigt. Aber wenn wirklich dieser Ehrgeiz in ihm steckt – und bisher hat noch niemand solche Gedanken geäußert – dann könnte er diese Reform vorantreiben, um sein Modernisierungspotential unter Beweis zu stellen.
Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass es ihn dazu ermuntert, weniger aggressiv zu sein. Denn wird er am Ende als derjenige dastehen wollen, der die Rüstungsfabriken geschlossen hat und die Militärausrüstung im Ausland einkauft? Als derjenige, der die Gefechtsbereitschaft ruiniert hat, auch wenn die Lage im Nordkaukasus sich gerade wieder anspannt?
In vielerlei Hinsicht wird das Ergebnis der Militärreform ganz davon abhängen, inwieweit Schoigu bereit ist, dafür zu kämpfen.
Mark Galeotti ist Professor für Globale Angelegenheiten an der New Yorker Universität. Sein Blog „In Moskaus Schatten" kann hier gelesen werden.
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