Mehr als die Hälfte der Russen sind der Meinung, dass die Unternehmer ihr Vermögen auf halblegalem Weg angehäuft haben. Foto: Kommersant.
Als der Jeanshandel zu Wucherpreisen aufblühte und die ersten Genossenschaften gegründet wurden, verfestigte sich der abfällige Beiname „Spekulant" für russische Unternehmer. In dieser Bezeichnung spiegelte sich die Missachtung jenen gegenüber wider, die sich „auf Kosten anderer bereicherten".
Laut Angaben des „Centre for Political Technologies", waren bis 2000 52% der ersten Unternehmer bereits aus dem „Spiel" ausgeschieden (wobei 22% pleite gegangen sind, im Gefängnis saßen, oder sich vor den Mühlen der Justiz versteckten).
Jene Unternehmer, die bis 1998 noch bestehen blieben, schafften dies nicht zufällig. Doch die Einstellung ihnen gegenüber blieb die gleiche. Laut einer im Jahre 2005 vom All-Russischen Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung (WZIOM) durchgeführten Umfrage waren mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung, dass die Unternehmer ihr Vermögen auf halblegalem Weg angehäuft hatten.
Die Unternehmer, die ab 2010 ihre Firmen eröffneten, unterscheiden sich hingegen in drei wichtigen Merkmalen vom Rest: Konstruktivität, Sparsamkeit und eine gute Ausbildung. „Die Geschäftsmänner der 90-er Jahre hatten folgende Qualitäten: Sie besaßen keine Erfahrung in leitenden Positionen und waren zu schmutzigen Geschäften bereit", erklärt Wladimir Bolotow, der Generaldirektor der Handels- und Industriekammer Surgut.
Der Ritter im blauen „Bentley"
„Ich sehe mich nicht in einem himbeerfarbenen Sakko in einem Mercedes 600m sitzen", meint Konstantin Pali. Denn das Image der Geschäftsmänner der 90-er Jahre lehnt der 21-jährige Jungunternehmer
kategorisch ab. Und das aus einem einfachen Grund – er mag keine Autos der Marke Mercedes. Sein Auto, wie er bekräftigend angibt, würde ein „Bentley" sein. Doch nach wie vor fährt der junge Businessman aus Surgut eine „Dewjatka" der Marke Lada. Konstantin Pali eröffnete vor einem Jahr eine Firma, die auf die Erarbeitung von IT-Lösungen für Sicherheitssysteme spezialisiert ist. In einem Jahr hat die Firma fast eine Million verschlungen - und sogar noch mehr erarbeitet. „Das erste Jahr mit ‚Null' abzuschließen gelingt nicht jedem Jungunternehmer", betonte Konstantin.
Der 21-Jährige hat sich hohe Ziele gesteckt – er möchte es bis 35 in die Forbes-Liste schaffen. „Ich besitze alle Voraussetzungen dafür, außer Freunde in den Behörden und Geld", scherzt Konstantin. Mit „alles" meint er ein Team, Ehrgeiz, ein junges Alter, ein eigenständiges Denken und moralische Grundsätze, was die Leitung einer Firma anbelangt. Sein Ehrenkodex sieht nämlich so aus: mache keinen Gewinn durch Betrug, zahle pünktlich alle Gehälter, vertue es dir nicht mit deinen Partnern und überhole deine Konkurrenz nach den Regeln der Wall Street.
Grau ist doch am attraktivsten
„Geldwäsche nennt sich eine typische Methode, um schnelles, schmutziges Geld zu erwirtschaften", meint der Geschäftsmann Artjom Scharapow. „Auf solche Methoden greift jegliche Firma zurück, die ihre Auslastung „optimiert" und dabei die Steuern umgeht", erzählt Artjom. „Man bezahlt für eine Dienstleistung, z.B. das Wegräumen von Schnee, zehn Mio. und zurück bekommt man denselben Betrag in Bar - natürlich unter Abzug der Bezahlung für den Geldwäscher."
„Ein solches Geschäft als unwirksam zu erklären, ist sehr schwer", meint Elena Nalbandjan, Leiterin des Rechtsberatungszentrums „Analitik". „Wenn es jedoch gelingt einem Unternehmer rechtswidrige unternehmerische Handlungen und Steuerhinterziehung nachzuweisen, dann drohen diesem eine Strafe bis zu 300 000 Rubel (je nach Höhe der schwarz erwirtschafteten Summe), ein halbes Jahr Haft oder zwei Jahre Freiheitsentzug."
Ehrlichkeit ist eine Tugend
Das altbekannte Sprichwort, das besagt, dass sich Ehrlichkeit auszahlt, sollte heutzutage wohl besser so lauten: „Der Ehrliche kann beruhigt sein". „Angesichts der steigenden steuerlichen Belastung und der Verschärfung im Kampf gegen die Eintagsfliegen gilt für viele Unternehmer ein Modell: Lieber weniger Gewinn, doch ein sichereres Aktiva", meint Wladimir Bolotow zur neuen Tendenz.
Die befragten Experten betonen sogar, dass, ungeachtet aller Appelle
„das Unternehmertum nicht ins Zittern zu bringen", die Normen und Anforderungen an Unternehmen stetig steigen, und dass sich Geschäftsmänner, wenn sie all diese Auflagen erfüllen, nicht mehr mit dem Unternehmerwesen sondern mit Wohltätigkeit beschäftigen. „Der Staat wendet sich von den Unternehmern ab und widmet sich nun den Privilegierten und Pensionisten. Die Frage hierzu war einfach – Entweder wir erhöhen das Pensionsantrittsalter um zwei bis fünf Jahre oder wir erhöhen die Pensionssteuer auf beinahe das Dreifache."
Jungunternehmer in nur 110 Stunden
Russland ist bis heute kein Land der Unternehmer. Darüber haben sich auch Organisationen zur Förderung der Unternehmen in Jura Gedanken gemacht und haben, um das Ansehen des Berufes „Businessman" zu heben, sich dazu entschieden, ein neues Wahlfach einzuführen – Grundlagen der Unternehmensführung. Unterrichten werden wirkliche Unternehmer, die einen speziellen Vorbereitungskurs in Psychologie und Pädagogik abgeschlossen haben.
Im Zuge dieses Pilotkurses wird den Studierenden nicht nur erklärt, wie man wertvolle Kontakte knüpft. Sie bekommen auch ein Grundwissen in den Bereichen Marketing, Verkauf, Zeitmanagement und Human Resources vermittelt. Am Ende des Kurses müssen die Studierenden dann ein Praktikum absolvieren.
Wie Swetlana Borisowaja, die Leiterin der Consultingabteilung des Bezirksgründerzentrums, meinte, „ ...zieht sich das Thema Ehrlichkeit in der Unternehmensführung wie ein roter Faden durch alle Lehrveranstaltungen. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dieses Thema allerdings in jenem Kurs, wo es um die persönlichen Qualitäten von Unternehmern geht."
Dieser Beitrag erschien zuerst bei To4ka-Treff.
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