Bild: Alexej Jorsch.
Der „Arabische Frühling" hält an und erschüttert einen Staat nach dem anderen. Die Entmachtung der bisherigen autoritären Regime führte nicht zur Demokratisierung nach westlichem Verständnis, sondern zum Erstarken des politischen Islams.
Syrien ist hierbei eine Besonderheit. Nach anderthalb Jahren Bürgerkrieg stehen sich ethno-konfessionelle Gegner unversöhnlich gegenüber, die von ausländischen Akteuren unterstützt werden. Selbstverständlich verfolgen diese ihre ureigenen geostrategischen Interessen. Katar, die Türkei und Saudi-Arabien mischen sich mehr oder weniger direkt in den Krieg gegen das Assad-Regime ein. Moralisch, finanziell und mit Kriegsgerät werden sie von den westlichen Staaten um die USA und die EU unterstützt.
Die Allianz zwischen Katar, der Türkei, den USA und Frankreich äußerte sich unlängst bei der Neuordnung der „Vereinigten Opposition" in Doha. Sie unterstützen politisch die Truppen radikaler salafistischer
Organisationen. Auch international agierende Dschihadisten finden in Syrien gegenwärtig ihr Hauptbetätigungsfeld. Sollte die Assad-Regierung stürzen, wird das Land daher mit großer Wahrscheinlichkeit ethnisch, politisch und geografisch zerfallen. Kompromisse mit dem bestehenden Regime werden von seinen Gegnern grundsätzlich ausgeschlossen. Auf Waffenstillstand in Syrien zielende Initiativen werden sofort und reflexartig als böse Träume abgetan, erst recht, wenn sie von Russland kommen. Beim Staatsbesuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow auf der Arabischen Halbinsel machten die politischen Akteure deutlich, dass sie sich von Moskau keine offizielle Diskussion überstülpen lassen wollen.
Die Strategie Russlands und Chinas erweist sich als richtig, im UN-Sicherheitsrat eine auf Intervention nach libyschem Muster gerichtete Resolution zu blockieren. Dennoch kann dadurch weder die Einführung von Flugverbotszonen noch die Einrichtung territorialer, von Damaskus nicht kontrollierbarere Enklaven an der Grenze zur Türkei ausgeschlossen werden, wo eine revolutionäre Regierung als Alternative zu Assad gebildet werden soll. Auch eine Beteiligung von Sicherheitskräften westlicher Spezialeinheiten an Operationen gegen die syrische Armee unter Umgehung des UN-Sicherheitsrates wird dadurch nicht verhindert.
Erreicht der "Arabische Frühling" Mittelasien?
Die Renaissance des politischen Islams in den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens lässt Bestrebungen einer Expansion dieser ideologischen Strömungen jenseits der Grenzen erkennen. Denkbar ist ein „zentralasiatischer Frühling" in Usbekistan oder Kasachstan. Das könnte eine „demokratische Islamisierung" in der Wolgaregion und den an das Kaspische Meer angrenzenden russischen Territorien zur Folge haben.
Massenproteste, Provokationen und Konflikte zwischen Islamisten und lokalen Regierungsstrukturen in russischen Gebieten ließen sich schnell organisieren. Die Bewegungen, die sich populäre Forderungen nach Religionsfreiheit oder sozialer Gerechtigkeit auf die Fahnen schrieben, dürften auf die Unterstützung durch die „internationale Gemeinschaft" hoffen. Salafistische Zellen in Zentralasien und Russland könnten für die Umsetzung dieses Szenarios leicht eingesetzt werden. Denn ihre Finanzierung und Unterstützung würde aus den gleichen Machtzentren gesteuert wie der „Arabische Frühling".
Russland verfügt jedoch über ausreichende Möglichkeiten zur Eindämmung der islamistischen Bedrohung innerhalb seiner Staatsgrenzen. Wie die Lage im Nordkaukasus zeigt, wird jedoch für eine friedliche Beilegung der Konflikte keine der gegnerischen Parteien aus freien Stücken eintreten.
Verbündete hat Russland im arabischen Raum kaum noch. Einzig die Türkei ist an einem Dialog mit Russland interessiert, und das allein aus wirtschaftlichen Gründen. Diesen Dialog führt sie freilich unter den von ihr gesetzten Bedingungen und nach ihren Spielregeln. Sie übt dabei den Spagat zwischen dem Westen, den arabischen Ländern, China und Russland.
Die alten Golfmonarchien lassen eine zunehmende Feindseligkeit gegenüber Moskau erkennen. Die Rhetorik ihrer Medien erinnert heute an die Zeiten des Afghanistankrieges der 80er Jahre – mit dem Unterschied, dass sie vor der Sowjetunion Respekt hatten, Russland dagegen geradezu ignorieren.
Die Islamische Republik Iran ist ein besonderer Fall. Der Iran zeigt sich gegenüber Russland weder für die langjährige Unterstützung im UN-Sicherheitsrat noch für die Fertigstellung des vom Westen kritisierten
Kernkraftwerks Buschehr erkenntlich. Allerdings gibt es in Moskau eine iranische Lobby, die nach wie vor Rückendeckung gegen den Westen sucht. Der Iran fordert darüber hinaus – entgegen den Erwartungen der Befürworter einer iranisch-russischen Zusammenarbeit – eine Änderung der wirtschaftspolitischen Einflusssphären am Kaspischen Meer. Teheran probte sogar den Aufstand, als es vor dem Internationalen Schiedsgerichthof gegen Russland klagte, das nach dem Inkrafttreten internationaler Sanktionen gegen den Iran eine Lieferung von S-300 Flugabwehrsystemen aussetzen musste.
Auch Gazprom gerät auf dem europäischen Markt zunehmend durch die Araber unter Druck. Katar und Algier sollen Öl und Gas liefern, damit sich die EU von russischen Importen lösen kann. Doch die dem Iran auferlegten Sanktionen - nämlich Beschränkungen beim Export von Gas und Öl - stellen für Moskau kein Problem dar – ganz im Gegenteil.
Jewgenij Satanowskij ist der Präsident des Nahost-Instituts.
Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst bei VPK Daily.
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