Historische Dampflok „ERka" (Spitzname der ER 774-38). Foto: Oleg Serdetschnikow.
Neben den Gleisen am Pawelezer Bahnhof steht ein kleines Gebäude, das nur wegen einer Dampflok errichtet wurde – dem legendären Trauerzug von Wladimir Lenin. Die 1910 gebaute Lok U127 fuhr ursprünglich durch Zentralasien, doch nach der Revolution wurde sie nach Moskau gebracht.
Die Eisenbahner, die auf der Dampflok arbeiteten, erkrankten und starben alle an der Spanischen Grippe. Die Dampflok stand danach einige Zeit in einem Depot und diente Landstreichern als Unterschlupf. Doch auch diese erkrankten an dem Virus, woraufhin man die Dampflok „Schwarze Witwe" nannte.
Um jedoch den Aberglauben zu bekämpfen, wurde im Jahr 1923 die alte Dampflok repariert und Wladimir Lenin wurde der erste Lokführer. Doch nur ein Jahr später verstarb auch er und sein Sarg wurde mit der Lok U127 nach Moskau überstellt. Seit 1937 ist die Dampflok ein Museumsrelikt und steht im Museum der Moskauer Eisenbahn.
„Derzeit sind im Museum zirka 2 500 Exponate ausgestellt, die über Geschichte und Zukunft der Moskauer Eisenbahnstrecke erzählen",
erklärt Nadeschda Alexandrowa, die Direktorin des Museums der Moskauer Eisenbahn. Neben historischen Exponaten kann man im Museum auch Installationen, Modelle, interaktive Karten, Informationsstände und Filmmaterial aus den Archiven bestaunen. „Um die Dampflok zum Fahren zu bringen, muss man zwei Schaufeln Kohle pro Minute in den Kessel werfen", erklärt Leonid Krutschawow, der bereits seit einem Vierteljahrhundert bei der Eisenbahn tätig ist. Er ist Führer der Lok ER 774-38. Lokomotiven dieses Typs zogen nach dem Zweiten Weltkrieg Frachtzüge durch die Sowjetunion.
Wir beginnen eine Reise mit der „ERka" (Spitzname der ER 774-38) auf ihrer Route auf dem Moskauer Eisenbahnring am Pawelezer Bahnhof. Der Eisenbahnring wurde 1908 erbaut und führt durch das Zentrum Moskaus. Allerdings wissen nur wenige Moskauer, dass es ihn gibt. Die 54 km lange Eisenbahnstrecke ist der erste Eisenbahnring in Russland. Er umfasst 14 Stationen, sechs Brücken und verbindet acht Bahnhöfe und fünf Industriebezirke miteinander.
Die Dampflock donnert mit ihren Rädern an Lagern und Industriegebäuden vorbei. Vom Fenster aus erblickt man die halbverfallene Fabrik der Firma „Sil", die zu Sowjetzeiten Limousinen für die damaligen Parteichefs herstellte. Hinter den Garagen taucht der Bahnhof „Kanatschikowo" auf, der gerade einmal fünf Kilometer vom Kreml entfernt liegt. Im Hof des Bahnhofs befindet sich eine Gedenktafel an die Eisenbahner, die im Zweiten Weltkrieg gefallen sind. Sie transportierten damals Munition und Panzer aus dem Osten Russlands, wo sich die Rüstungsfabriken befanden, an die Front entlang des Rings.
Sanierung bis 2022
Die „ERka" fährt in einen etwa ein Kilometer langen Tunnel ein, an dessen Seiten sich Bahnsteige befinden. Sie gehören zum Bahnhof „Ploschtschad Gagarina" (Gagarin-Platz), der sich unter dem Leninski Prospekt befindet und 2001 begonnen wurde zu bauen. Dieser Bahnhof soll die Metro mit dem Eisenbahnring verbinden, damit dort endlich auch Passagierzüge fahren können. Bis 2022 soll der Ring fertig saniert werden und in neuem Glanz erstrahlen.
Eisenbahngeschichte im Freilichtmuseum
Die Dampflok nähert sich dem Rigaer Bahnhof. Wir sind an der letzten Haltestelle angelangt – dem Historischen Museum für Eisenbahntechnik. Das Depot befindet sich unter freiem Himmel, zwischen den Linien der Regional- und Fernverkehrszüge und beherbergt über 70 Exponate – von Waggons aus der Zeit Nikolaus II. bis hin zu modernen elektrischen Schnellzügen. Das älteste Modell heißt „OVechka" und ist eine Dampflok der Baureihe „OV" aus dem Jahre 1903. Mit einer solchen Lokomotive ist Leo Trotski, einer der Anführer der Oktoberrevolution, durch Russland gereist.
Außerdem kann man hier noch Dampflokomotiven der Marke „SO" bewundern. Diese haben früher dazu gedient, Güter in die trockenen Gebiete Asiens zu transportieren. Darüber hinaus gibt es die berühmte Lok „Felix Dserschinski" zu sehen, benannt nach dem gleichnamigen Volkskommissar, der das System der Konzentrationslager in der Sowjetunion entworfen hat. Die Lok FD entwarfen die Gefangenen der ersten „Scharaschkas" – geheime Konstruktionsbüros, in denen gefangene Wissenschaftler arbeiteten.
Im Museum steht noch ein weiteres Kultexponat: eine P36 aus den 1950ern. Diese Lok erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h und zog etwa den Schnellzug „Krasnaja strela" (Roter Pfeil). Heute muss jedoch der alte „General" - so wird die Lok genannt - zusehen, wie elektrische Schnellzüge des 21. Jahrhunderts jene Routen erkunden, die er einst selbst entdeckt hat.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!