Da muss man weit in die Vergangenheit zurückgehen. Reichlich 20 Jahre, in das Jahr 1989 beispielsweise, als die Sowjetunion dafür sorgte, dass die Deutschen aus Ost und West unblutig zueinanderfanden.
Oder 100 Jahre, in das Jahr 1922. Damals vereinbarten die Weimarer Republik und das revolutionäre Russland, zwei Außenseiter der Völkergemeinschaft, in Rapallo eine breite Zusammenarbeit. Oder knapp 200 Jahre, in das Jahr 1813, als russische Truppen, begeistert von deutschen Patrioten empfangen, Napoleon aus Deutschland vertrieben. Und Deutsche müssen wohl zugeben: Die besonders schwierigen deutsch-russischen Jahre – wie etwa das Jahr 1941 – gehen auf ihre Kappe.
Schwankungen gibt es immer in den Beziehungen zwischen Ländern. Auch das Verhältnis der Deutschen zu Frankreich ist nicht immer nur voller Sonnenschein. Aber es gibt einen Unterschied. Mit den westlichen Partnern streitet sich Deutschland um Geld und Einfluss, von der Landwirtschafts- bis zur Außenpolitik. Jede Seite möchte ihre Interessen durchsetzen.
Aber es würde einem deutschen Politiker wohl kaum einfallen, ein Sündenregister zusammenzustellen und es öffentlich zu verlesen, in dem
einen steht, was in Staat und Gesellschaft bei einem Nachbarn so alles schiefläuft. Das mag auch damit zusammenhängen, dass es beispielsweise in Frankreich etwas gesitteter zugeht als in der Russischen Föderation. Es liegt aber auch an der deutschen Grundhaltung gegenüber den verschiedenen Himmelsrichtungen. Sehen Deutsche nach Westen, sind sie froh, wenn sie nicht selbst eins auf den Deckel kriegen. Nicht so, wenn sie Richtung Osten blicken. Hier erheben westliche Staaten ohne Bedenken den Zeigefinger. Zu tatsächlich vorhandenen Problemen kommt noch ein Gefühl der moralischen Überlegenheit. Solange deutsche Politiker dieses nicht ablegen, werden auch die kommenden deutsch-russischen Jahre „schwierig" sein.
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