Separatismus: Der ewige Traum vom eigenen Staat

Nach dem Sieg der Partei Convergència i Unió  bei der Regionalwahl in Katalonien ist die Trennung Kataloniens von Spanien wieder ein Thema. Auf dem Bild: Ministerpräsident Kataloniens Artur Mas. Foto: AP.

Nach dem Sieg der Partei Convergència i Unió bei der Regionalwahl in Katalonien ist die Trennung Kataloniens von Spanien wieder ein Thema. Auf dem Bild: Ministerpräsident Kataloniens Artur Mas. Foto: AP.

Angesichts der zusammen rückenden Welt ist das Streben nach Selbstidentität in Europa und weltweit verständlich, meint der Experte Fjodor Lukjanow. Aber die Zunahme der separatistischen Stimmungen führt nicht unbedingt zur Entstehung neuer Staaten.

Der Separatismus ist weltweit wieder in aller Munde. Nach der Wiederwahl von Präsident Barack Obama haben Einwohner mehrerer Südstaaten Petitionen zur Abspaltung von den USA unterzeichnet. Vor allem im konservativen Texas wird Stimmung gegen die „sozialistische Politik" Obamas gemacht.

Bei der Regionalwahl in Katalonien hat die rechtszentristische Partei Convergència i Unió (Konvergenz und Union) die absolute Mehrheit verfehlt. Damit ist die Frage nach einem Unabhängigkeitsreferendum erneut vertragt worden. Wenn sich jedoch kleinere, nach Unabhängigkeit strebende Parteien zu einer Regierungskoalition formieren sollten, könnte die Trennung Kataloniens von Spanien wieder ein Thema werden. In der spanischen Verfassung sind zwar weder Unabhängigkeitsreferenden noch Abspaltungen vorgesehen, doch die Katalanen, die fast 20 Prozent der Wirtschaftleistung Spaniens erbringen, müssen ernst genommen werden.

Angesichts der Wirtschaftskrise wollen die reicheren Regionen nicht mehr die Last allein tragen und träumen von einer unabhängigen Zukunft. In Europa sind solche Stimmungen in Flandern (Belgien) und in Norditalien zu erkennen. Auch in Schottland sind die Separatisten auf dem Vormarsch, obwohl der Norden der Insel nicht gerade von Wohlstand gesegnet ist. Die Schotten wollen die winkenden Einnahmen aus der Ausbeutung von Vorkommen in der Nordsee für sich behalten.

Das Streben nach Unabhängigkeit ist auch den Russen und den Einwohnern der Post-Sowjet-Republiken noch in guter Erinnerung. Es leitete den Zerfall der Sowjetunion ein. Der entscheidende Faktor waren Ende der 1980er-Jahre viele Experten, die behauptet hatten, dass die Wirtschaft nur gedeihen könne, wenn Russland sich vom Rest abspalte. Auch in anderen Republiken wurde viel über die „parasitären Nachbarn" geschimpft. Im Ergebnis waren die Verluste jedoch größer. Nach dem Zerfall hat es 20 Jahre gedauert, um die Unabhängigkeit schätzen zu wissen. Erst jetzt werden Versuche unternommen, einige damals verloren gegangene Industrie-Cluster aus der Sowjetzeit wiederzubeleben.

Die Wirtschaft ist natürlich nicht der einzige und nicht der wichtigste Grund für die Zunahme der separatistischen Stimmungen. Das Streben nach Selbstbestimmung liegt in der Natur. Die Epoche der Kaiserreiche ging im 20. Jahrhundert zu Ende. Die Versuche, neue Imperien zu gründen, die auf freiwilliger Machtübergabe beruhten (wie die Europäische Union), stoßen jetzt auf Schwierigkeiten. Die Erfahrung vom Ende des 20. Jahrhunderts zeigt, dass unabhängig werdende Staaten nicht immer in die Erfolgsspur finden. Doch dies stellt sich meistens erst im Nachhinein heraus.

Es sind immer Politiker, die mit ihrer Separatismus-Politik die Gunst der Stunde nutzen wollen. In der neuesten Ausgabe des US-Magazins

„Foreign Affairs" analysiert Separatismus-Experte Charles King die aktuelle Situation in Schottland. Premier Alex Salmond geht es nicht um wirtschaftliche, sondern politische Gründe. Schottlands Nationale Partei, die am heutigen Donnerstag gegen die Labour Party, Tories und Liberaldemokraten antritt, will sich faktisch das Monopol auf die Macht sichern – entweder in einem unabhängigen Schottland oder mit weitreichenden Autonomierechten. Das Gleiche gilt auch für die Separatisten in Katalonien. Immer wenn Wahlen anstehen, müssen die Politiker einen Trumpf aus dem Hut zaubern.

Zudem betonte King, dass die lokalen Institutionen eine wichtige Rolle in der Unabhängigkeitsbewegung spielen (örtliches Parlament, Verwaltung, geographische Grenzen). Dadurch wird beispielsweise erklärt, dass die politisch und geographisch zweigeteilte Ukraine nicht zerfällt. Nach welchen Grenzlinien sollte sie auch zerfallen? Die meisten Länder spalteten sich nach administrativen und nicht nach ethnischen oder kulturellen Grenzen auf. Deshalb stehen die einheitlichen Vielvölkerstaaten auf einem festeren Fundament. Versuche, abtrünnige Regionen durch mehr Vollmachten ruhig zu stellen, verstärken eher den Wunsch nach Unabhängigkeit.

Auch der Versuch, einer Region ihres Autonomie-Status zu berauben, würde schwere Folgen nach sich ziehen. Beispielsweise begann die Jugoslawien-Tragödie, als Belgrad 1989 den Status der Region Kosovo herabstufte.

Die Zunahme der separatistischen Stimmungen in Europa führt nicht unbedingt zur Entstehung neuer Staaten. Bei wichtigen Abstimmungen neigen die westlichen Europäer zur Vernunft. Auch in den USA wird es zu keinen Abspaltungen kommen. In Russland ist das separatistische Virus wohl eliminiert worden, das zum Zerfall der Sowjetunion und beinahe zum Auseinanderfallen Russlands in den 1990er-Jahren führte. Doch die Erwartung, dass Nationalfragen im Zuge der Globalisierung verschwinden, hat sich nicht erfüllt. Angesichts der zusammen rückenden Welt ist das Streben nach Selbstidentität verständlich. Deswegen wird das Streben nach Abtrennung vom Bedarf nach etwas Größerem begleitet.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei RIA Novosti.

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