Der ewigen Klage, dass in Russland zu wenig investiert würde, zum Trotz hat der Kreml bereits mehrere erfolgreiche Reformen angestoßen. Foto: Reuters/Vostock-Photo
Doch bleibt das Land vielen kleinen und mittleren Unternehmen aus der Bundesrepublik suspekt, unverständlich und intransparent. Neben dem negativen Bild, das die deutschen Medien von Russland zeichnen, existieren auch berechtigte Vorbehalte.
„Man sagt, es gäbe kaum Reformen in Russland, aber das stimmt einfach nicht”, entrüstet sich Marcus Svedberg, Chefökonom von East Capital, dem größten unabhängigen Vermögensverwalter in Russland.
Tatsächlich lies die Regierung 22 Roadmaps entwickeln, die verschiedene Wirtschaftssektoren in die Zukunft führen sollen. Sie stammen von der Agentur für Strategische Initiativen (ASI), einem Thinktank, der 2011 auf Betreiben von Präsident Putin gegründet wurde. Die Roadmaps entstanden in Zusammenarbeit mit kleinen und mittleren Unternehmen und haben die Entbürokratisierung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Ziel.
„Obwohl viele Veränderungen nur langsam greifen, sind wir überzeugt, dass die Roadmaps zu einer deutlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investoren beitragen“, sagt Kingsmill Bond, Chefstratege der Citigroup Russland in Moskau.
Nikolai Petrow, Analyst bei der Carnegie-Endowment-Stiftung, spricht sogar von der „NEP Putins”, der Neuen Ökonomischen Politik - in Anlehnung an die von Lenin eingeführte NEP, durch die seinerzeit eine Liberalisierung der Landwirtschaft zu marktwirtschaftlichen Strukturen führte.
Der ewigen Klage, dass in Russland zu wenig investiert würde, zum Trotz hat der Kreml bereits mehrere erfolgreiche Reformen angestoßen. So wurde der Banksektor bereits 2004 umgestaltet, und die Privatisierung des Energiesektors spülte Mitte des letzten Jahrzehnts Milliarden von Dollars in die Kassen. Weitere Kapitalmarktreformen vom April 2008 werden sich Anfang des kommenden Jahres auszahlen, wenn sich der russische Wertpapiermarkt dem internationalen Finanzsystem öffnet.
Bei der Durchsetzung der ehrgeizigen Programme zur Umwandlung der
russischen Wirtschaft macht sich Pragmatismus breit. Nicht nur dem internationalen Anleger, sondern auch dem kleinen Geschäftsmann soll das Leben erleichtert werden. Im Februar diesen Jahres forderte Putin seine Regierung auf, die notwendigen Schritte zu unternehmen, damit Russland im "Doing Business"-Ranking" der Weltbank bis 2015 vom 120. auf den 50. Platz und danach bis 2018 auf den 20. Platz klettern kann. Als Präsident legte er selbst nach: Im Mai unterzeichnete er einen Erlass, der die Erteilung von Baugenehmigungen erleichtert. Das ist auch eines der wichtigen Kriterien im jährlichen Rating der Weltbank.
Im neuesten, im Oktober 2012 veröffentlichten "Doing Business" konnte Russland seine Platzierung bereits auf den 112. Platz verbessern, weil immer mehr Reformen greifen. Auf einigen Gebieten schneidet Russland sogar überraschend gut ab. Es liegt beispielsweise beim Kriterium "Vertragsdurchsetzung" auf dem elften Platz unter 185 befragten Ländern, in deutlichem Gegensatz zu seinem schlechten Leumund beim Stichwort Gesetzestreue.
2012 verbesserte sich auch die Steuerverwaltung vom 105. auf den 64. Platz und zog sogar an Amerika vorbei. Auch die bürokratischen Dokumentationspflichten wurden eingeschränkt, viele bürokratische Verfahren durch Online-Prozesse ersetzt. Ein Beispiel: Laut Steuerverwaltung der Russischen Föderation stieg die Zahl der über das Internet abgegebenen Steuererklärungen auf 75 Prozent verglichen mit nur zehn Prozent im Jahr 2000. Ein schöner Erfolg! Doch es gibt noch einige Kriterien, bei denen Russland noch nicht so gut wegkommt. Trotz der beschlossenen Reformen in der Bauindustrie dümpelt Russland bei diesem Kriterium weiterhin am Schluss der Tabelle, nämlich an 178. Stelle. Es muss sogar mit dem vorletzten Platz vorlieb nehmen, wenn es darum geht, eine Fabrik ans Stromnetz zu bringen (184.).
Auch der Zoll wird als nicht besonders effizient eingestuft (162.). Wirtschaftsminister Andrej Beloussow urteilte nach der Veröffentlichung des Rankings hart: „Der Zoll bleibt die Achillessehne für unsere gesamte Wirtschaftsentwicklung.” Aber er ist optimistisch, dass auch die Reformen für das Bauwesen, die Anschlussverfahren fürs Stromnetz und für die Zollverfahren greifen werden. Sie sollen 2013 in Angriff genommen werden. „Wir können eigentlich zufrieden sein. Die Roadmaps wurden im Grunde erst in der zweiten Hälfte dieses Jahres angestoßen”, resümiert Beloussow. „Wir rechnen erst im nächsten Jahr mit den deutlichen Auswirkungen.”
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