Trash zum Stolz-Sein: Sowjetdesign in der Moskauer Manege

Staubsauger, Uhren, Telefone: Alltägliche Gegenstände, wie sie Generationen von Russinnen und Russen tagein tagaus benutzten, haben die gewohnte häusliche Umgebung verlassen und sind in das neue Design-Museum in der Moskauer Manege schräg gegenüber vom Kreml umgezogen. Dort stehen sie für eine ganze Epoche Sowjetdesign.

Sowjetdesign-Ausstellung im Moskauer Manesch. Foto: Darja Donina, Russland HEUTE.

„Wow, genau so ein Spielzeugauto hatte ich auch!", verfallen in dem 500 Quadratmeter-Raum ältere Semester (ein Gutteil der BesucherInnen) reihenweise in Entzücken. „Und, Mensch, die Kamera!" Das Händeklatschen und Ach und Och nimmt vor dem von zackigen älteren Damen bewachten Soda-Automaten rasant zu und steigert sich bei den Leihgaben des Moskauer Retro-Automobil-Museums (ein Modell eines Moskwitsch-C1 und die offenkundige Sowjet-Kopie einer Vespa) zu beinahe andächtiger Nostalgie. Unterbrochen wird diese nur hie und da von schroffen „Nichts angreifen!"-Kommandos der strengen Museumswächterinnen. Nein, in das Auto darf man sich nicht hineinsetzen, selbst Fotos (nicht auf der Kühlerhaube!) kosten extra.

Und Finger weg vom Soda-Automaten! Aus diesen Kästen durften früher alle aus dem gleichen Glas trinken. Das kam so gut an, dass die Sprudel- Geräte heute mancherorts als Attraktion betrieben werden. Im Moskauer Design-Museum hingegen schaut man Kindheitserinnerungen mit den Augen an, nicht mit den Händen. Die Enttäuschung darüber steht den meisten ins Gesicht geschrieben – und den Ausstellungsmachern ins Gästebuch: „So ganz ohne interaktiven Zugang, schade." Bezugspunkte zum eigenen nicht-sowjetischen Erfahrungsschatz gibt es zudem zuhauf aus Film und Fernsehen. Das klassische Stehaufmännchen made in USSR z.B. hatte in Timur Bekmambetows Blockbuster „Wächter der Nacht" einen gruseligen Gastauftritt. Die ausgestellte Waschmaschine sieht wiederum R2-D2 aus Star Wars zum Verwechseln ähnlich – und der Fernseher „Junost' 406 D" aus dem Jahr 1987 ist Co-Heldin Eva aus dem Trickfilm „Wall-E" wie aus dem Gesicht geschnitten. Vor der Aufpasserin sind wieder alle gleich. Selbst eingefleischte Star-Wars-Fans, wie prestigeträchtig ihr Herkunftsland auch sein mag, dürfen der Waschmaschine nicht zu nahe kommen.

Laut Museumsdirektorin Alexandra Sankowa sollen die Exponate vor allem zeigen, dass es Design im Sozialismus tatsächlich gab, dass das sowjetische Design nicht mit Avantgarde und Konstruktivismus zu Ende war, sondern funktionelle Dinge hervorbrachte, die das Leben erleichtern. Die Ausstellungsmacher haben sich die Mühe gemacht, die Namen der Kunst-KonstrukteurInnen aus der Vergessenheit zu hieven und viele der noch lebenden Koryphäen interviewt. Die Gespräche laufen auf kleinen Bildschirmen, die zwischen ansprechenden Sowjet-Plakaten an den Museumswänden hängen.

 

Stehaufmännchen

Die einzelnen Themenbereiche wie Arbeit, Produktion, Kindheit, Freizeit, Hobby oder Mode sollen später zu eigenen Ausstellungsprojekten erweitert werden, die unter anderem in einem Autobus durch die Moskauer

Schlafstädte tingeln werden, so Sankowa. Auch im Ausland – die Museumsleiterin nennt Holland und die Schweiz – herrsche immenses Interesse an der Thematik.

Nach den vielen „Danke" in den Gästebucheinträgen zu schließen, hat besonders das Spielzeug es dem Publikum angetan. Kolja, 10: „Danke, jetzt weiß ich, welche Spielsachen Opa und Oma hatten." Anastasija, 67: „ Diese Dinge sind unsere Kindheit, die schönste Zeit im Leben. Danke!" Dazwischen mischt sich aber auch immer wieder Skepsis. „Danke für gar nichts. Die Ausstellung ist Schrott. In all den Jahren gibt es nichts, worauf wir stolz sein könnten", schreibt einer.

Welche Ikonen des Sowjet-Designs, von denen nicht wenige einfach von anderswo kopiert sind, als Futter für den Nationalstolz taugen, ist auf den ersten Blick wirklich schwer auszumachen – sie sind nämlich durchsichtig. Unscheinbar und bescheiden stehen die Highlights in einer Vitrine mit Verpackungsmaterial, daneben drei verschiedenfarbige Aluminiumfolien.

Die Prinzipien der sowjetischen technischen Projektierung seien ganz am Puls der heutigen westlichen Idee des Öko-Designs gewesen, so die Kuratorin der Ausstellung, Aljona Sokolnikowa. Sie hebt aus allen angesammelten Gegenständen just drei simple Glasflaschen hervor, die es aber in sich hatten: Die etikettenlose Flasche enthielt je nach Verschlussfarbe Milch, Kefir, oder ein anderes, süßes, russisches Milcherzeugnis. Leicht zu recyceln, funktional und ästhetisch ansprechend – Design in Höchstform. Darauf könnte Russland sich schon mächtig etwas einbilden, wäre die Kefir-Flasche nicht schon längst zum Museumsstück mutiert.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei RIA Novosti.

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