In der Sackgasse

 Präsident des Europäischen Rates Herman van Rompuy, Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin und Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso während des Russland-EU Gipfeltreffens in St.Petersburg. Foto: ITAR-TASS

Präsident des Europäischen Rates Herman van Rompuy, Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin und Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso während des Russland-EU Gipfeltreffens in St.Petersburg. Foto: ITAR-TASS

Der jüngste Russland-EU-Gipfel demonstriert, wie man miteinander reden, sich aber nicht verstehen kann. Energiepartnerschaft, Visafreiheit oder Nahostpolitik bleiben Stolpersteine der Beziehungen.

Die Beziehungen zwischen Russland und der EU erinnern immer stärker an eine zerrüttete Ehe kurz vor der Scheidung. Ein jeder der Partner fühlt sich unverstanden und gekränkt und quält den anderen weiter. Die Zuneigung ist weg, übrig geblieben ist nur noch das wirtschaftliche Interesse. Fjodor

Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, deutet Russlands Haltung: „Eigentlich ist Russland außergewöhnlich unabhängig, ein wichtiger Teil der Weltwirtschaft, wie Putin sagt. Aber während das Land noch in den 1990er Jahren und danach auf Europa zuging, distanziert es sich nun davon. Die Probleme, mit denen Europa heute zu kämpfen hat, muss sich Russland nicht aufbürden." Die Haltung der EU indes verdeutlicht Andreas Schockenhoff, der neue Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-russischen Beziehungen: „Russland ist schwach. In den letzten Jahren sind 1,5 Millionen junge Leute ausgereist. Und allein in diesem Jahr sind 100 Milliarden Dollar ins Ausland geschafft worden, weil das Kapital in Russland keine Perspektive sieht."

 

Energie lässt nach

Weil sowohl Russland als auch die EU glauben, dass der eine dem anderen überhaupt nicht das Wasser reichen kann, droht auch dem ehrgeizigen Projekt der Energiepartnerschaft das Aus. „Das dritte Energiepaket ist kontraproduktiv", kritisierte der russische Präsident Wladimir Putin im November beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Moskau. Denn die russischen Behörden machen sich um die Zukunft ihres wichtigsten Energiekonzerns Gazprom Sorgen. Das dritte Energiepaket der EU von 2009 sieht die gewaltsame Trennung zwischen Förderung und Lieferung vor. Damit werden alle Hoffnungen von Gazprom, in Europa Zugang zum Endverbraucher zu finden, durchkreuzt.

Noch im März 2012 wurde die Gasleitung Nord Stream unter Beteiligung von Gazprom, E.On Ruhrgas, Wintershall, GDF Suez und Gasunie erfolgreich in Betrieb genommen. Mit einer Transportkapazität von jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas stellt sie einen der wichtigsten Stützpfeiler für die Energiesicherheit Deutschlands dar.

Dennoch bleibt die Rolle der russischen Gaslieferungen nach Europa umstritten. Die wachsende Abhängigkeit von russischem Erdöl und Gas ruft immer wieder emotionale Reaktionen unter europäischen Politikern hervor, vor allem in Polen, Tschechien und anderen Ländern Osteuropas. Sie fühlen ihre Unabhängigkeit bedroht. Russland, das hingegen auf die segensreiche Wirkung wirtschaftlicher Zusammenarbeit setzt, kann diese Haltung nicht nachvollziehen. Es interpretiert die europäische Haltung als erniedrigendes Misstrauen, das langfristig die getätigten Investitionen gefährdet. Als Antwort auf die brüske Haltung der EU wendet sich Russland anderen Märkten zu - Nicht-EU-Ländern auf dem Balkan oder asiatischen Absatzmärkten.

 

Visafreiheit? Fehlanzeige!

Statt den Grenzverkehr zu liberalisieren, treibt die Konfrontation immer neue Blüten: Bis heute müssen geschäftlich und privat Reisende sowie Touristen zwischen der EU und Russland ein Visum vorweisen. Beide Seiten machen es einander so schwer wie möglich: Viele EU-Länder verlangen von russischen Bürgern den höchstpersönlichen Besuch in einem ihrer Konsulate, auch wenn die Antragsteller mehrere tausend Kilometer entfernt wohnen. Die russischen Einreisebehörden kontern, indem sie von EU-Bürgern Vermögensnachweise in Form von Steuerbescheiden, Kontoauszügen oder Besitzurkunden von Immobilien verlangen. Natürlich kann das kein deutscher Touristen nachvollziehen. Schließlich hat er keine Absicht, freiwillig und noch dazu illegal in Russland zu bleiben.

Noch im Frühjahr dieses Jahres erklärte Wladimir Grinin, russischer Botschafter in Deutschland, dass Russland bis zum November 2012

Voraussetzungen für den visafreien Verkehr schaffen würde. Doch die Euphorie verflog, als im Oktober die EU verkündete, es gäbe Komplikationen, weil die Anzahl der russischen Diplomaten- und Dienstpässe, für die der Visazwang im ersten Schritt entfallen sollte, viel zu groß sei. Die EU erklärte kurzerhand, die Abschaffung von Visa für die Inhaber derartiger Pässe sei zwar theoretisch möglich, aber nur, wenn deren Anzahl erheblich eingeschränkt würde.Russlands Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Das Außenministerium kündigte an, es wolle Flugzeugbesatzungen die Visafreiheit entziehen. Europäische Piloten und Stewardessen würden demnach die russischen Flughafengelände nicht mehr verlassen können. Die Visafreiheit zwischen den Ländern ist wieder in weite Ferne gerückt.

 

Konfliktherd Syrien

Auch in der Außenpolitik gegenüber Dritten gibt es Zoff zwischen Russland und der EU. Während Russland beispielsweise die legale Macht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad anerkennt und auf der Lösung des Konflikts ausschließlich durch Verhandlungen besteht, hat sich Europa auf die Seite der Opposition geschlagen und schreckt auch vor militärischen Interventionen nicht zurück. Die führenden EU-Länder äußeren wiederholt scharfe Kritik an den Aktionen des syrischen Präsidenten sowie an der

Haltung Russlands. Sie glauben in der russischen Haltung auch nur den offiziellen Machtanspruch des Kremls zu erkennen, nicht die Meinung des russischen Volkes, die durch die Opposition ausgedrückt wird. Deswegen nehmen sie auch jeden noch so kleinen Anlass begierig auf, um sich in den Medien über die anhaltende Anti-Putin-Stimmung in Russland auszulassen.

„Wir sollten Verhandlungen nicht nur mit dem Kreml führen. Die Kreml-Elite ist eine sehr isolierte Gruppe, die nur an ihre eigene Macht und an Geld denkt. Stattdessen müssen wir den Dialog mit der Zivilgesellschaft intensivieren", fordert Ingo Mannteufel, Leiter der Russischen Redaktion der Deutschen Welle.

Auf der anderen Seite muss er zugeben: „Wir Europäer haben das Vertrauen der Russen verspielt. In den vergangenen zwanzig Jahren gab es nicht einen einzigen Fall, in dem wir Verständnis für ihre Interessen aufgebracht hätten. Wir müssen wieder lernen, mit den Russen ins Gespräch zu kommen."

 

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Die beste Möglichkeit, die verfahrende Situation zu retten, bestünde darin, die Aktionen der jeweils anderen Seite gelassener hinzunehmen – einfach unter der Vermutung, dass der Partner nicht vorsätzlich schlechte Absichten hegt. Franz Thönnes, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, findet dafür klare Worte: „Wir müssen alles, was sich in der letzten Zeit zwischen Russland und der EU abgespielt hat, in aller Ruhe erörtern. Die hitzigen Diskussionen waren nur emotionale Schaumschlägereien. Ich hoffe auf eine Wiederbelebung vertrauensvoller Beziehungen." Er verweist auf eine solide Basis: "Zwei Millionen Russen lernen Deutsch, über 10.000 russische Studenten sind an deutschen Hochschulen eingeschrieben...

Im Gegenzug engagieren sich über 6.300 deutsche Unternehmen in Russland und investieren dort. Das zeigt: Wir können und müssen miteinander reden - auf gleicher Augenhöhe und ohne das Ganze aus dem Blick zu verlieren."

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