„To Russia with Love“

Das Deutsch-Russische Forum fördert jährlich kulturelle und soziale Projekte in Russland. Bewerbungen hierfür gehen aus ganz Russland ein. Russland HEUTE wollte wissen, was sich hinter dem überzeugendsten Projekt „To Russia with Love“ verbirgt.

Foto: Robert Neu.

„Anfang der 70er Jahre lernte ich über eine Zeitungsannonce Hans kennen. Hans war Arzt und wollte Menschen irgendwo in Äthiopien helfen. Ich arbeitete als Krankenpfleger und dachte daran, mir einen Job in Übersee zu suchen. So trafen wir uns und leben jetzt schon 40 Jahre zusammen". So beginnt die Fotostory der Berliner Manfred und Hans-Joachim. Diese Geschichte inspirierte die Ideengeberin des Projekts „To Russia with Love" Tatjana Marschanskich am meisten von allen. Im Rahmen ihres Projektes lernte die Journalistin vielen Paare kennen: „Die Männer legten zusammen mit den Nachbarn hinter dem Haus einen Garten an, sie eröffneten ein Zentrum für Mädchen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden waren oder sie arbeiteten mit schwer erziehbaren Kindern."

Eine Ausstellung, die das Leben der Paare bildlich dokumentiert, zeigt insgesamt 12 Bilder des deutschen Fotografen Robert Neu. Jedes Foto eines Paars ist mit einer Erzählung über ihre Beziehung unterlegt. „Wir wollten dem russischen Publikum veranschaulichen, dass Homosexuelle in Deutschland nicht nur Jungs aus der Partyszene sind, sondern normale Bürger, die sich um Mitmenschen kümmern, sei es als Ärzte oder Erzieher in Kindergärten", kommentiert Tatjana die Auswahl ihrer Portraits. Unterstützung für das Projekt erhielten sie beim Deutsch-Russischen Forum e.V.

Jährlich unterstützt das Infoportal des Deutsch-Russischen Forums „Hallo Deutschland" russische Absolventen deutscher Kultur- und Sprachprogramme mit einem Stipendium. Die geförderten Projekte sollen Brücken zwischen den beiden Ländern schlagen. Im Jahr 2012 gingen über 70 Anträge ein. Vier Initiativen schließlich bestanden das Auswahlverfahren: eine Präsentation von Kinderbüchern, ein Orgelkonzert, die Herausgabe einer Broschüre über erfolgreiche Geschäftsideen und die Ausstellung „Mit Liebe nach Russland". „Das letztgenannte Projekt ‚To Russia with Love' ist am ehesten geeignet, interessante und unterschiedliche Reaktionen zu provozieren. Genau das möchte das Forum erreichen – mit Projekten junger Menschen einen deutsch-russischen Dialog über aktuelle Themen anregen", erläutert Friedrich Anders, ein Mitarbeiter des Deutsch-Russischen Forums, der im Auswahlverfahren involviert war.

Den Projektantrag reichten Tatjana Marschanskich, Robert Neu und die Moskauer Schirmherrin der Fotoausstellung Olga Kuratschewa, übrigens die einzige Homosexuelle im Projektteam, im Sommer ein. Die arbeitsintensivste Phase der Vorbereitung fiel auf den Herbst. Während Olga Kuratschewa in Moskau nach Ausstellungsorten suchte, interviewten ihre Berliner Kollegen Schwulen- und Lesbenpaare in Deutschland.

Anfangs war es gar nicht so leicht, Paare zu finden, die sich portraitieren lassen wollten, aber dann nahm die Flut von Zuschriften gar kein Ende. „Wie hatten Aushänge in Bars angebracht, in Schaufenstern von Geschäften und Flugblätter auf einer Demonstration verteilt. Schlussendlich antworteten uns über 80 Paare. Im Scherz sagten einige, dass sie der professionellen Fotos wegen scharf darauf sind, sich an dem Projekt zu beteiligen. Tatsächlich aber sind alle Schwulen und Lesben, die mit uns Kontakt aufgenommen haben, sozial sehr integriert und engagiert und möchten an ihrem Beispiel den in Russland verbreiteten Mythos entkräften, Homosexualität sei das „Privileg eines perversen Show-Business", erinnert sich Tatjana.

Für das Interview und die Fotosession wählten die Journalisten beliebige Treffpunkte der Szene. Sie unterscheiden sich durch nichts von Lokalen, die gerne von Hetero-Paaren frequentiert werden. Sie trafen sich mit ihren Gesprächspartnern in Parks, wo Leute Fahrrad fahren, an Flughäfen, in Theatern, in irgendeinem Hinterhof oder in Bibliotheken. Die Projektkoordinatoren waren darauf eingestellt, den Paaren die Informationen praktisch aus der Nase ziehen zu müssen. Das Gegenteil aber war der Fall.

Die Gesprächspartner gewährten den Journalisten sehr freimütige Einblicke in ihr Privatleben. Die Geschichten gerieten daher lebendig und interessant.

„Als wir losfuhren, wussten meine Geschwister, dass ich mit Manfred zusammen war. Mit meinen Eltern war das anders. Noch als wir bereits fünf Jahre unter einem Dach lebten, dachten sie: „Wie schön, dass diese beiden katholischen jungen Männer einander gefunden haben und so dicke Freund wurden! Sie wären im Leben nicht darauf gekommen, dass wir schwul sind", erzählt Projektteilnehmer Hans-Joachim.

Die Paare sprachen offen über ihre sexuelle Orientierung und waren sehr überrascht zu erfahren, dass Tatjana Marschanskich und Robert Neu hetero sind. „Du bist nicht lesbisch, du nicht schwul, zuhause lebt ihr in ganz normalen Beziehungen, wie kommt ihr darauf, eine solche Ausstellung zu organisieren?", fragten fast alle Interviewten. Tatjana kann das sehr einfach erklären: „Die Welt ist zu ungerecht. Es ist wirklich traurig, dass einige Gruppen der Gesellschaft, seien es nationale, sexuelle oder beliebige andere Minderheiten, nicht in der Gesellschaft Platz finden sollen."

Mitte Dezember wurde die Ausstellung im Moskauer Sacharow-Zentrum gezeigt. Im Januar werden die Geschichten und Fotos in der Moskauer Galerie „Umlaut" zu sehen sein. „Wenn auch nur ein paar Menschen mehr Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben entwickeln, dann haben wir unser Ziel erreicht", sind sich die Organisatoren des Projektes einig.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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