Gut, dass wir Deutschen keine klischeehaften Vorstellungen über Russland haben. Wir wissen ganz genau, dass in Russland Väterchen Frost den Kindern die Weihnachtsgeschenke bringt. Halt, Russland-Experten, so einfach ist es doch nicht. Eigentlich ist es ja ein Großväterchen, und es kommt auch nicht zu Weihnachten, sondern am Neujahrsabend. In Russland ist Weihnachten nämlich keineswegs das Fest der Feste, auch wenn der Handel versucht, die Kauflust der Konsumenten mit importierter Weihnachtsstimmung zu stimulieren.
Aus christlicher Sicht ist ohnehin Ostern das wichtigste Fest des Kirchenjahres und in Russland ist das auch heute noch so. Es war kein großes Problem für die sowjetischen Parteifunktionäre, Weihnachtsbaum und Geschenke auf den Jahreswechsel zu übertragen, und Weihnachten aus dem Bewusstsein der Menschen zu verdrängen. Ostern hingegen war nicht totzukriegen.
Traditionen und Feiertage sind heute nicht mehr an Grenzen gebunden. Valentinstag, Halloween und amerikanischer Xmas-Kitsch breiten sich
weltweit aus, weil davon bestimmte Branchen profitieren. Die Übernahme fremden Brauchtums ist jedoch nicht neu, gerade auch, wenn es um Weihnachten geht. Der amerikanische Santa Claus, der sich heute so breit macht, ist ein Nachfahre des deutschen Weihnachtsmanns. Den wiederum haben die Protestanten nach der Reformation als Gegengewicht zum heiligen Nikolaus der katholischen Welt ins Rennen geschickt. Auch Santa hat dessen Namen übernommen, vermutlich aus Holland, wo der Bischof als Sinterklaas unterwegs ist.
Väterchen Frost soll bei den Ostslawen schon in alter Zeit als Verkörperung des Winters bekannt gewesen sein. Schon im 19. Jahrhundert scheint es Versuche gegeben haben, ihn zum russischen Geschenkebringer zu machen, in Anlehnung an deutsche Vorbilder. Durchgesetzt hat er sich in dieser Rolle jedoch erst in sowjetischer Zeit, als sich das Neujahrsfest als Ersatz für Weihnachten etablierte.
Diese Tradition hat sich bis heute erhalten. Russisches Neujahr ist wie Sylvester mit Tannenbaum und Geschenken. Nicht still-besinnlich, sondern fröhlich-sinnlich. Und da ist noch ein Brauch zum Jahresausklang, den die weltoffenen Russen in den 1990er Jahren aus dem Ausland übernommen haben. Mal nicht aus Amerika, sondern aus China: den Kalender. Das jeweilige Tier, das dem kommenden chinesischen Mondjahr seinen Namen gibt, wird in Russland viel euphorischer gefeiert, als das im Reich der Mitte je der Fall war. Für neue Kalender können sich die Russen seit jeher begeistern, zuletzt für den der Maya, obwohl der Weltuntergang dann schließlich doch ausgeblieben ist. Macht nichts, die nächste Endzeitprophezeiung kommt bestimmt.
Der Übernahme eines neuen Kalenders ist es auch zu verdanken, daß das russische Weihnachtsfest erst am 7. Januar stattfindet. Bis 1918 galt in Russland nämlich noch der alte, julianische Kalender, während man im Westen schon im 16. Jahrhundert zum modernen gregorianischen Kalender übergegangen war. Dieser Tatsache verdanken die Russen heute eine beeindruckende Möglichkeit, die dunkle Jahreszeit mit Festen zu verschönern: Westliche Weihnacht am 24 (wer will), Neujahr (auf jeden Fall), orthodoxe Weihnacht (wer bis dahin wieder zu Kräften gekommen ist), das „Alte Neue Jahr", also der Jahreswechsel nach dem julianischen Kalender (wer noch nicht genug hat) am 13. Januar, Chinesisches Neujahr am 10. Februar (dieses Jahr im Zeichen der Schlage). Diesem Festreigen kann sich auch jeder Deutsche anschließen, der gute Beziehungen zu Russland hat. In diesem Sinne also, Frohe Weihnachten, Prosit Neujahr, Frohe Weihnachten, Prosit Neujahr, sssssssssss und bis zum nächsten Weltuntergang.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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