Depardieus kurze russische Steuererklärung

Bild: Sergej Jolkin

Bild: Sergej Jolkin

Die Länder Europas streiten sich um ihre Steuerzahler. Jüngst hat Frankreich einen wichtigen und bekannten Steuerzahler an Russland verloren. Der Steuerexperte Kirill Nikitin erklärt, warum Gérard Depardieu dennoch die russische Staatskasse nicht füllen wird.

Die Verleihung der russischen Staatsbürgerschaft an den Filmstar Gérard Depardieu hat eine Woge der Entrüstung ausgelöst, die die steuerliche Realität manchmal verkennt. Es scheint daher an der Zeit, den gesamten, noch lange nicht abgeschlossenen Fall vor dem Hintergrund der Steuergesetzgebung in Frankreich und Russland zu beleuchten.

Bis vor kurzem war Depardieu französischer Staatsbürger und hatte dort seinen steuerlichen Wohnsitz. Er war Eigentümer einer wertvollen Immobilie in Paris und bezog Einkünfte aus unterschiedlichen Quellen in Frankreich und auch im Ausland. Er hat nach eigener Einschätzung als Steuerzahler den französischen Haushalt um rund 150 Millionen Euro bereichert und dabei nicht ein einziges Mal sozialstaatliche Leistungen in Anspruch genommen.

Die seit 2012 in mancher Hinsicht populistisch regierenden Sozialisten unter Führung von François Hollande planen unter anderem einen Steuersatz von 75 Prozent für Jahreseinkommen ab einer Million Euro. Die Steuerlast Depardieus und etwa 1500 weiterer ähnlich einkommensstarker Bürger Frankreichs scheint ihnen zu gering, das Verhältnis von lediglich 150 Millionen Euro Steuern für ein „attraktives" Arbeitslosengeld und eine staatliche Rente nicht gerecht zu sein.

Als erster reagierte der Mehrheitseigner des Unternehmensimperiums LVMH Bernard Arnault auf diese Reform und siedelte ohne großes Aufsehen nach Belgien um, wo er die belgische Staatsbürgerschaft beantragte. Seinem Beispiel folgte Depardieu. Er kehrte Frankreich den Rücken und bot sein Pariser Haus zum Verkauf an. Zudem legte er die französische Staatsbürgerschaft ab und nahm den ihm angebotenen russischen Pass entgegen.

Bedeutet das nun, dass Depardieu, anstatt in Frankreich Steuern zu zahlen, künftig die russische Staatskasse bereichern wird? Wohl kaum. Um in Russland Einkommenssteuer in Höhe von 13 Prozent abführen zu müssen, reicht ein russischer Pass allein nicht aus. Man muss außerdem mindestens 183 Tage im Jahr in der Russischen Förderation leben. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, sind die Einkünfte aus russischen Einkommensquellen zu einem Steuersatz von 30 Prozent zu versteuern. Außerhalb Russlands erzielte Einkommen, wie Depardieus, unterliegen überhaupt keiner Besteuerung.

Depardieu hat bislang keinerlei Absichten gezeigt, in Russland leben zu wollen. Im Gegenteil: Er unternimmt konsequente Schritte, seinen steuerlichen Wohnsitz nach Belgien zu verlegen und gleichzeitig alle Voraussetzungen zu beseitigen, aus denen ein Steuerwohnsitz in Frankreich abzuleiten wäre.

Das ist der Grund, weshalb der Filmstar in Belgien ein Haus erwarb und sein Domizil in Paris zum Verkauf anbot und weshalb er die französische Staatsbürgerschaft ablegte und schließlich die russische annahm. Er hätte freilich ebenso die belgische Staatsbürgerschaft beantragen können, die ihm mit gleicher Wahrscheinlichkeit angeboten worden wäre.

Somit kann der französische Staat mit Jahresbeginn 2013 ausschließlich jene Einkünfte Depardieus besteuern, die in Frankreich selbst erzielt wurden. Einkünfte aus Geschäften in Übersee, aus wirtschaftlicher Tätigkeit in anderen Ländern sowie Tantiemen und Einnahmen aus Lizenzen werden künftig der sozialistischen Regierung Hollande entgehen. Sie werden in Belgien oder in den Ländern, in denen Depardieu sie erwirtschaftet hat, besteuert, jedoch bei Weitem nicht zu solch gleichmacherischen Steuersätzen wie in Frankreich.

Die wichtigste Lektion aus dem Fall Depardieu ist die, dass die einzige Determinante der Selbstbehauptung moderner „demokratischer" Staaten, die für gleiches Stimmrecht für alle Bürger, unabhängig von deren sozialen Status, einstehen, in der zwischenstaatlichen Konkurrenz der Steuerregimes besteht – dort, wo diese einen realen Faktor innerhalb der Grenzen regionaler Märkte darstellen.

Ähnliche, wenngleich weniger auffällige, Prozesse sind in Kalifornien zu beobachten. Wohlhabende Bürger siedeln sich nach der letzten Erhöhung der Einkommensteuer allmählich in anderen Staaten an, zum Beispiel in Nevada und in Florida.

Daher muss Russland unbedingt offensichtliche Vorteile seines Steuersystems wie die flache Einkommensteuer für natürliche Personen von 13 Prozent bewahren. Zugleich darf es seine realen Konkurrenten im Wettbewerb der Steuersysteme nicht aus den Augen verlieren. Während Frankreich heute im „Kampf" um die Steuerzahler mit Belgien, Großbritannien und Deutschland konkurriert, muss Russland in seinem östlichen Nachbarn Kasachstan eine reale Konkurrenz erkennen – hier allerdings auf der Ebene der Körperschaftssteuern und nicht auf der Ebene der Besteuerung natürlicher Personen.

Kasachstan behauptet sich souverän auf Platz 17 des Länder-Ratings der Weltbank gemessen am Indikator „Steuern zahlen", während Russland auch nach seinem Aufstieg um 40 Positionen noch auf Platz 64 verharrt. In diesem Wettbewerb hat der russische Steuersatz von 13 Prozent auf Einkommen natürlicher Personen bei Weitem weniger Gewicht als die enormen Quasisteuern, zu denen beispielsweise die hohen Beiträge zu den Sozialversicherungen zählen.

Kirill Nikitin ist Steuerexperte, Partner von PwC und Kolumnist der „Iswestija".

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Iswestija.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!