Nach den Feiertagen ist vor den Feiertagen oder man muss die Feste feiern, wie sie fallen

Nach dem Feiertagsmarathon zum Jahresausklang und Jahresbeginn gönnt der Kalender den geplagten Mägen und Lebern nur eine kleine Pause. Dann kommen die weitere Feste. Foto: PhotoXPress

Nach dem Feiertagsmarathon zum Jahresausklang und Jahresbeginn gönnt der Kalender den geplagten Mägen und Lebern nur eine kleine Pause. Dann kommen die weitere Feste. Foto: PhotoXPress

Die Russland HEUTE-Kolumnistin Adele Sauer erzählt über die russsiche Feiertage.

Der Aggregatzustand der Gesellschaft teilt sich hier in „vor den Feiertagen" und „nach den Feiertagen", die sich übers ganze Jahr verteilen und immer heftig begangen werden. Hier gibt es bei der ganzen Feiertagsarie noch eine Besonderheit: fällt der Feiertag auf Samstag oder Sonntag, gibt es einen Werktag dazu. Dagegen sehen die einsamen „Brückentage" in Deutschland ganz schön traurig aus.

Nach dem Feiertagsmarathon zum Jahresausklang und Jahresbeginn (Christliche Weihnacht, Silvester, russisch- orthodoxe Weihnacht, altes Neues Jahr, Christi Taufe) gönnt der Kalender den geplagten Mägen und Lebern eine kleine Pause. Am 25.1., am Tag der Heiligen Tatjana, der Schutzgöttin der Studenten und gleichzeitig Namenstag für alle Tatjanas und Feiertag für alle Studenten, wird die verordnete Ruhe fröhlich unterbrochen.

Nun schielt man schon wieder auf den 23.2., den Tag der Vaterlandsverteidiger (früher Tag der Sowjetarmee), der zum roten Tag im Kalender erhoben wurde, um neben dem ebenfalls arbeitsfreien 8. März, dem internationalen Frauentag, nicht abzufallen. Der Valentinstag, ein amerikanisches Gefühlsimportprodukt, der ausschließlich darauf gerichtet ist, allen Schrapel aus den Läden unters Volk zu bringen (wehe, Du schenkst Deiner mehr oder weniger heimlich Geliebten nichts!), wird so quasi nebenbei mit abgefeiert.

Inzwischen gibt es kaum ein Restaurant oder Cafe, wo es keine romantischen Abende zum Valentinstag gibt, mit diversen Spielchen und Preisen. Die Betuchteren lassen ganze Hauswände mit dem Portrait der Angebeteten bemalen, gesäumt von Herzchen und Liebesschwüren.

Aber gleich nach dieser kommerziellen Gehirn- und Geldbeutelwäsche wird es etwas massiver.

Schon zu Sowjetzeiten bekamen vom Hosenmatz bis hin zum Greis alle männlichen Bürger am 23.2. Geschenke. Mit großen weißen Haarschleifen geschmückte Schulmädchen beschenkten mehr oder weniger offen ihre Auserwählten. Familienmitglieder bekamen die üblichen Geschenke nach dem Motto SOS (Schlips, Oberhemd, Socken).

Große Werbetafeln weisen heute auf den so wichtigen Tag hin. Den männlichen Bürgern wird das patriotische Gefühl mit allen Mitteln hoch gefönt, besonders von den Schlager- und Popstars, die ja immer, wo es was zu verdienen gibt, Gewehr bei Fuß stehen und Playback ihre Machwerke in den Saal schleudern. Den Vogel unter ihnen schießt Oleg Gazmanov, der ewig Jungseinwollende ab, der anstatt zu singen Flick-Flacks auf der Bühne zeigt und am Ende seiner Vorstellung den Offizieren das Wasser aus den Augen und die Gänsehaut über den Rücken treibt mit seinem Lied „Meine Herren Offiziere". Schlimmer geht es kaum.

Priorität unter den synthetischen Feiertagen hatte und hat aber zweifelsohne der 8. März, der internationale Frauentag. In der sowjetischen Vergangenheit wurde dieser „schöne und helle Feiertag" aus allen Rohren und Flaschen begangen, obwohl es ein normaler Arbeitstag war, ebenso wie in den anderen Ostblockstaaten.

Davor (damals waren die so genannten „Vorabende" am schönsten) und auch noch etwas danach wurde kräftig auf das Wohl der Frauen getrunken. Die Frauen gingen damals fast alle arbeiten, reihten sich also nach der Arbeit in die langen Schlangen vor den Lebensmittelläden ( auch als sozialistische Wartegemeinschaften bezeichnet) ein, eilten nach Hause, um den Tisch festlich zu decken, die Hausaufgaben der Kinder zu kontrollieren und eventuell die angefallene Wäsche noch per Hand zu waschen (Waschmaschinen waren damals eine Seltenheit).

Vor dem 8. März schoben sie noch einen Friseurtermin dazwischen, um an „ihrem Feiertag" schöner denn je zu sein für die Herren der Schöpfung. Diese zogen dann ein paar schon arg in Mitleidenschaft gezogene rote Nelken, eine Schachtel Konfekt und eine Flasche halbsüßen sowjetischen Sekt aus der Aktentasche (im Volksmund auch Sortiment eines Gentleman genannt, denn es kommt nicht nur am 8. März sondern auch beim „Vorspiel" zum Fremdgehen zum Einsatz), komponierten lange und salbungsvolle Trinksprüche auf die anwesenden Frauen und betranken sich zielstrebig. Den Frauen blieben am Ende Berge von schmutzigem Geschirr und schwer angetrunkene Männer, ein beinahe alltägliches Stillleben.

Im Kreml wurden um den 8. März herum Auszeichnungsorgien veranstaltet, wo tatterige Parteichefs mit zitternden Händen Orden und Ehrenzeichen an Frauenbrüste knipperten, um sich beim anschließenden Bankett ebenso auf das Wohl der Frauenordentlich einen auf die Lampe zu gießen wie ihre gewöhnlichen Geschlechtsgenossen.

Heute, im neuen Russland, wurde der 8. März quasi geadelt und zum Staatsfeiertag erklärt. Das versöhnt ein wenig mit der Farce, die dieser Tag in unseren Breiten darstellt, denn ein zusätzlicher freier Tag ist immer willkommen. Mit Kalenderglück werden es manchmal auch mehr, wie eingangs schon erwähnt.

Im Kreml finden immer noch Auszeichnungsrituale von auserwählten Frauen statt und in allen Firmen, Einrichtungen und Verwaltungen wird dieser Tag zum Anlass genommen, ausgiebig zu feiern.

Die Blumenhändler machen ihren Schnitt, denn die Preise für Schnittblumen erreichen schwindelerregende Höhen. Auch die Schenkerei wird exzessiv betrieben und Frauen schenken sich sogar gegenseitig Kleinigkeiten. Einfach so, um die Stimmung zu verbessern.

Auf dem Weg zur Arbeit machen die Männer eine interessante Metamorphose durch. In der Metro sitzen sie mit geschlossenen Augen, um die dicht gedrängt stehenden Frauen nicht sehen zu müssen, im Betrieb angekommen verwandeln sie sich in aufmerksame Kavaliere, die die Frauen in den höchsten Tönen besingen. Solche Typen zu ignorieren gehört zu den kleinen Freuden des Lebens.

Stark den Traditionen verhaftet, wird der Frauentag aber von den Frauen mehrheitlich geliebt, haben sie doch wenigstens eine Tag im Jahr die volle (im eigentlichen und übertragenen Sinne des Wortes) Aufmerksamkeit der Männer.

Wenn in Deutschland Karneval oder Fasching gefeiert wird, steht in Russland vor der Fastenzeit die Butterwoche (Maslenniza) an, wo geschlemmt und gefeiert werden darf, vor allem leckere Bliny mit verschiedenen Füllungen wie saure Sahne, Kaviar, Konfitüre, Pilze, Hackfleisch, Käse. Am Ende der Butterwoche wird die Maslenniza-Puppe verbrannt als Zeichen der endgültigen Austreibung des Winters. Das ist eher heidnischen Ursprungs und wird von der Kirche nicht so gern gesehen.

Dann folgt bald Ostern, kein synthetischer Festtag, das ebenfalls ordentlich gefeiert wird, denn immerhin liegen vor dem Fest 40 lange Fastentage, die zwar von einer Minderheit eingehalten, aber um so freudiger dann von allen beendet werden.

Fasten bedeutet ja nicht nur Einschränkungen der leiblichen Genüsse, sondern heißt auch zurück gezogen leben und sich geistlichen Schriften zuwenden. Alles andere ist eine Art Diät, die wieder modern geworden ist. „Ich faste" zu sagen will signalisieren, ich gehöre dazu, schwimme im Trend.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion orientierten sich ehemalige Parteifunktionäre und hohe Beamte blitzschnell um und entdeckten die Religion für sich. Für eine ordentliche Karriere verraten sie sogar die eigene Großmutter. Wenn sie dann in der Kirche standen, bescheiden taten, sich ungelenk bekreuzigten und eine Kerze in der Hand hielten, hatten sie schnell im Volksmund den Spitznamen Kerzenständer weg.

Ostern ist für orthodoxe Christen das wichtigste Fest. Darauf bereiten sie sich auch sehr intensiv vor. Osterkuchen, Kulitsch, wird gebacken, Eier gefärbt – alles zusammen wird vor Ostersonntag in die Kirche zum Weihen getragen. In der Nacht vom Ostersonnabend zum Ostersonntag versammeln sich die Gläubigen vor der Kirche, zünden in freudiger Erwartung Kerzen an. Licht ist Leben. Um Mitternacht öffnet sich die Kirchentür und der Pope tritt heraus und verkündet dreimal: „Christus ist auferstanden!" „Er ist in Wahrheit auferstanden!" wiederholt die Menge. Das klingt wie ein dumpfes Grollen und verursacht Gänsehaut.

Danach geht es mit Kirchenfahnen und Ikonen einmal um die Kirche, bevor der Ostergottesdienst beginnt, der bis in die Morgenstunden dauert. Für die, die richtig gefastet haben und die letzte und strengste Woche durch gestanden haben, ist das schon nicht ganz einfach, zumal in russischen Kirchen keine Bänke stehen. Am Morgen nehmen in kleineren Kirchen die Teilnehmer des Gottesdienstes ein gemeinsames leichtes Frühstück ein, um den Magen nicht zu erschrecken.

Viele machen es aber richtig russisch, von einem Extrem ins andere. Fisch, Fleisch, Sülze, Osterkuchen, Wodka – da muss dann der Notarzt doch mal öfter ausrücken.

Die Woche nach Ostern ist geprägt von fröhlichen Festen, zu empfehlen ist ein Besuch in Sergijew Possad, im berühmten Kloster unweit Moskaus, cirka 70 km entfernt. Dort erklingen besonders in der Woche nach Ostern beeindruckende Gesänge des Chores der Hörer des dortigen Priesterseminars.

Über weitere Feiertage erzähle ich Ihnen etwas später, zuviel auf einmal erweckt den Eindruck, wir feiern hier nur und lassen alle Fünfe grade sein.

 

Die Fortsetzung folgt...

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