Depardieus inniges Verhältnis zu Russland

Gérard Depardieu: "Die russische Opposition hat kein Programm, überhaupt keinen Plan". Foto: ITAR-TASS

Gérard Depardieu: "Die russische Opposition hat kein Programm, überhaupt keinen Plan". Foto: ITAR-TASS

Der französische Schauspieler Gérard Depardieu, seit Kurzem russischer Staatsbürger, sprach in einem Interview mit dem Fernsehsender Telekanal Rossija über sein inniges Verhältnis zu Russland und zur russischen Kultur.

Er ist und bleibt ein Franzose, ungeachtet der Geschichten in den Medien um Steuern und gesellschaftliche Skandale. Cyrano von Bergerac, Danton, Balzac – ohne diese Rollen Depardieus sind der französische Film und die französische Kultur nicht denkbar. Die Faszination für Russland ist ein Teil der ganz eigenen Kultur des Schauspielers.

Auf die Frage, was ihn an der russischen Kultur fasziniert, antwortete Depardieu überraschend poetisch: „Was schön ist an der russischen Seele? Russland ist kein gebirgiges Land, der Wind zieht dort frei seine Bahnen. Ich glaube, daher kommt das starke Temperament. Das ist wie bei mir: Dort, wo ich wohne, gibt es auch keine Berge, es ist immer windig. Darin sind wir uns ähnlich. Man muss sehr stark sein, wenn man ein Russe sein will."

Wersti Nedeli: „Mögen Sie die russische Sprache?"

Gérard Depardieu: „Oh ja!"

„Sprechen Sie russisch?"

„Ich verstehe es und hoffe, bald auch russisch zu sprechen. Wenn man gebildet sein will, muss man Sprachen lernen. Sprachkenntnis bedeutet Bildung, man könnte auch sagen: Intelligenz. Die russische Literatur liegt mir sehr am Herzen."

„Was hat Sie an die russische Literatur herangeführt? Wer war der erste Autor, mit dem Sie in Kontakt gekommen sind?"

„Dostojewskij. Danach Tolstoi, dann Puschkin, später Bulgakow."

„Wie alt waren Sie damals?"

„Zwanzig. Diese Literatur wühlte mich auf. Und das tut sie bis heute."

Seine Leidenschaft für russische Literatur lebte Depardieu wiederholt auf der Bühne aus. Mit seiner Beteiligung kamen die „Brüder Karamasow" und der „Idiot" in die französischen Theater. Rasputin und Pugatschow stellen große russische Filmrollen dar. Depardieu träumt von Verfilmungen der Werke Tolstois, Bulgakows und Tschechows.

„Ich vergöttere Tschechows Frauen. Ich liebe Tolstoi. Tolstoi hat wunderbare Sachen geschrieben, zum Beispiel über die Leibeigenen. Die sollten befreit werden, widersetzten sich dem aber. Sie wollten ihre Geschicke weiter in den Händen der Reichen belassen. Das alles hat Europa im Grunde bis heute nicht verstanden."

 

„Warum versteht Europa das nicht?"

„Es kann nicht verstehen, dass Russland und alle anderen Länder der früheren UdSSR eine besondere Schutzherrschaft brauchten. Das waren nämlich alles kleine Länder, die einander häufig bekriegten, beispielsweise in Regionen wie dem Kaukasus oder Turkestan. Hier bedurfte es einer eisernen Hand, um diese Gebiete zu vereinen."

Schon bevor er die russische Staatsbürgerschaft annahm, befasste Depardieu sich intensiv mit aktuellen Fragen der russischen Innenpolitik.

„Die russische Opposition hat kein Programm, überhaupt keinen Plan. Es gibt dort intelligente Leute, zum Beispiel Kasparow, aber nur wenn es um Schach geht. Politik ist nämlich bei Weitem komplizierter", so der Schauspieler. Sie sei so komplex wie die russische Geschichte, aus der er als Außenstehender versuche, das Wesentliche zu erkennen. „Schauen Sie sich die Tänzerinnen des Bolschoi-Theaters oder Waleri Gergijew an, lauschen Sie der Stimme von Olga Borodina und der russischen Oper und lassen Sie sich in den Bann von Nurejews Tanzkünsten ziehen – dann begreifen Sie, worum es geht. Das ist das eigentliche Wesentliche in der russischen Geschichte."

Depardieu ist überzeugt, dass die Weltkultur durch die Massenmedien abflacht. Es gäbe aber auch Grund zur Hoffnung. In der russischen Republik Mordwinien trug man ihm, wie unlängst bekannt wurde, das Amt des Kulturministers an. Doch dieses Angebot, bei dem sich Depardieu mit kulturellen Fragen hätte professionell auseinandersetzen können, schlug er aus.

Über die jüngsten Entwicklungen in Russlands Kulturleben ist er allerdings gut informiert: „Ihr habt eine russische Klassik. Dank des Einsatzes von Präsident Putin sind die russischen Trickfilme wieder zum Zuschauer zurückgekehrt. Putin hat sich für die Rückführung der Rostropowitsch-Sammlung stark gemacht, die verschleppt worden war. Ich kenne viele Russen in Frankreich und in anderen Ländern, die nach Russland zurückgekehrt sind. Sie vermissten im Ausland die russische Herzlichkeit."

Gérard Depardieu fühlt sich der Epoche der Aufklärung sehr nahe. Der Maestro verschweigt nicht, dass ihm die heutigen Normen und Beschränkungen nicht behagen. Der Mann, der in Hunderten von Filmen mitspielte, fühlt sich, und das erstaunt, vor der Kamera befangen.

Für den exklusiven Teil des Interviews, den er im vertrauten Kreis und weit weg von seinen Kritikern – den altbekannten französischen und neuen russischen – gibt, schalten wir unsere Handy-Kameras ein: „Die Franzosen lieben die Krittelei. Nehmen wir das Beispiel Pussy Riot. Stellen Sie sich vor, die Mädchen wären in einer Moschee aufgetreten. Sie wären da nicht mehr lebend herausgekommen. Selbst in katholischen Ländern wäre das furchtbar gewesen. Aber wenn ich das in Frankreich sage, dann hält man mich für einen Idioten. Ich bin von meinem Motorroller gefallen, aber ich bin am Ende ein lebendiger Mann. Leider ist die Masse dumm. Nur eine Persönlichkeit ist toll, vor allem wenn sie furchtlos ist."

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Westi.

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