Vor den Feiertagen ist nach den Feiertagen oder man muss die Feste feiern, wie sie fallen

Manche Leute feiern den 1.Mai auf den Straßen der Stadt. Die andere bevorzugen  auf dem Land sich zu entspannen. Foto: Ricardo Marquina,Russland HEUTE

Manche Leute feiern den 1.Mai auf den Straßen der Stadt. Die andere bevorzugen auf dem Land sich zu entspannen. Foto: Ricardo Marquina,Russland HEUTE

Die Russland HEUTE-Kolumnistin Adele Sauer erzählt über die russsiche Feiertage.

Nach Ostern und der daran anschließenden fröhlichen Woche ist erst einmal ein wenig Ruhe. Wie lange hängt vom Kirchenkalender ab, d.h., wann er Ostern errechnet.

Der 1. Mai ist weltbekannt und wird allerorten begangen. Nur unterschiedlich. Marschierten im Sozialismus alle in langen Kolonnen an den staatlichen und kommunalen Obrigkeiten vorbei, um sich hinterher einen auf die Lampe zu gießen auf das Wohl des Proletariats, zieht es heute die meisten ins Grüne, weiter westlich zu Ausflügen und Radtouren, hier in Russland auf die geliebte Datscha oder in Erholungsheime im Umland, die zu solchen Anlässen gerne Preise aufrufen, die einem das Blut in den Adern gerinnen lassen.

Früher war der 2. Mai noch frei, um den Leuten die Möglichkeit zu geben, den 1. Mai gebührend zu begehen und am 2. in aller Ruhe den Kater mit einem Schlückchen Wodka oder Gurkensud zu bekämpfen. Jetzt will man das wieder einführen und anstatt der sehr langen Neujahrs- und Weihnachtsferien ein paar freie Tage im Mai gewähren. Das ist natürlich viel vernünftiger, denn die meisten können im Januar den vier Wänden nicht entfliehen und zum Skilaufen in die Alpen fahren. Sie hocken zu Hause und ergeben sich den Reizen des Trunkes vorm heimischen Fernseher. Dabei kollidieren oft die Interessen der Ehepartner und es kommt zu schönen handgreiflichen Auseinandersetzungen. Jedes Jahr nach den Januarferien schnellt die ohnehin schon hohe Scheidungsrate nach oben.

Deshalb lieber raus aufs Land und die Datscha aus dem Winterschlaf geholt. Am 9. Mai, dem Tag des Sieges und mit Recht einem der wichtigsten Feiertage des Landes, werden nach dem Verfolgen der Parade im Fernsehen die Kartoffeln gelegt. Ein wichtiges Ritual für die Datschenbesitzer, die schon beim Kartoffeln legen von den mehligen und duftenden Knollen auf ihren Tellern schwärmen, mit ein bisschen Butter und mit frischem Dill bestreut ein königlicher Schmaus.

Viele Datschensiedlungen sind im Winter verwaist und ein Eldorado für Diebe, weil es dort auch oft keine Bewachung gibt oder diese nur aus einem freundlichen Opi besteht.

Deshalb wird im Herbst alles, was für die Diebe interessant sein und zu Schnaps gemacht werden könnte, in die Stadtwohnung gekarrt, um im Frühling den Rückweg auf die Datscha anzutreten. Mit einer dünnen Strippe befestigte Kühlschränke und Fernseher, Sofas und Hocker auf den Autodächern verhindern zu dichtes Auffahren auf diese Fahrzeuge, denn es ist einfach zu gefährlich.

Komposthaufen anlegen, Sickergrube ausheben, umgraben, säen, Datsche gründlich reinigen, das sind alles wichtige Dinge, die während der Maifeierlichkeiten erledigt werden. Nach getaner Arbeit wird auf jedem Grundstück Schaschlyk gegrillt und der Staub der Gartenarbeit hinunter gespült.

Nach den Maifeiertagen haben die Datschenbesitzer entweder Hexenschuß oder Kreuzschmerzen, Muskelkater und sehr raue Hände. Genau daran kann man sie erkennen.

Dann ist erst einmal Ruhe, der nächste Feiertag kommt erst am 12. Juni. Das ist der Tag Russlands. Anfangs hieß dieser Feiertag Tag der Unabhängigkeit Russlands. Alle grübelten angestrengt darüber nach, von was oder wem Russland unabhängig geworden war. Dieser Feiertag war eine Idee Jelzins. Offenbar wollte er damit das Volk bei Laune halten. Und damit gelingt das immer. Versuchen westliche Industrieländer die Feiertage einzuschränken oder zu kürzen, was auch ein schwieriges Unterfangen ist, so bläst sie Russland auf. Klar, bei minimaler Inlandsproduktion fallen arbeitsfreie Tage nicht ins Gewicht, und Gas und Öl fließen immer, egal ob Sonn- oder Feiertag.

Um eine Regelung wird Russland von aussen stark beneidet: fällt ein Feiertag auf einen Samstag oder Sonntag, gibt's einen Werktag dazu. Sollte es ein Dienstag oder ein Donnerstag sein, wird hin und her geschoben, um ein paar zusammenhängende Tage herauszuschinden. Ist auch dringend nötig, denn die Hälfte der kostbaren Zeit verbringen zumindest die Moskowiter im Stau.

Die Feiertage, vor allem die traditionellen, kirchlichen sind im Sommer und im Frühherbst selten gesät, denn da brummte die Feldarbeit. Im Winter und im zeitigen Frühjahr hingegen, kann an schon mal faulenzen oder rettet die schmaler werdenden Vorräte mit ausgedehnten Fastenzeiten.

Am 2. August begeht man den Tag des heiligen Ilja. Ilja beendet den Sommer, es heißt man sollte dann nicht mehr baden gehen. Und nicht nur, weil es Ilja gesagt hat, sondern weil auch ein Rentier ins Wasser gepieselt haben soll. Der Tag des Ilja ist der 241. Tag im Jahr, in Schaltjahren der 215., es sind noch 151 Tage bis zum Jahresende. Ilja, ein Tausendsassa geradezu, gilt auch als der Behüter des Donners. Am 2. August soll man demzufolge vorsichtig bei den Feldarbeiten sein und bei Gewitter sofort flüchten. Sonst trifft einen der Blitz.

Der Blitz trifft an diesem Tag auch ganz andere, denn am 2. August begehen die Luftlandetruppen ihren Feiertag. Sie gelten als elitäre Truppe und feiern auch sehr ausschweifend. Von früh an sind alle Springbrunnen im Gorki-Park, in Sokolniki und an anderen Orten in der Stadt mit Fallschirmjägern in Badelaune belegt. Und das bei jedem Wetter.

Gegen Abend werden die Jungs etwas aggressiver, wollen in Kneipen und Bars kostenlos weiter trinken. Wird ihnen das versagt, stänkern sie gewaltig. Die herbei gerufenen Ordnungshüter haben keine große Lust, sich mit den Fallschirmjägern anzulegen, weil sie eh den Kürzeren ziehen. Auch die Märkte werden nicht verschont und die kaukasischen und asiatischen Marktarbeiter ordentlich vermöbelt. Spricht nicht unbedingt für die Jungs mit dem türkisfarbenen Barett. Abends vereint dann alle rivalisierenden Parteien ein grandioses Feuerwerk. Und die dicken Lippen und geplatzten Augenbrauen können bis zum nächsten Jahr in Ruhe verheilen.

Am 19. August darf der gute schmackhafte und gesunde Apfel brillieren. Jablochnyi spas heißt der Feiertag, was man mit Tag der Apfelweihe übersetzen kann. Äpfel werden in die Kirche zum Weihen getragen, danach dürfen erstmals im Jahr Äpfel der neuen Ernte gegessen werden.

Der einzige Feiertag im Herbst fällt auf den 4. November und heißt Tag der Einigkeit des Volkes, der von selbigem nur zögernd angenommen wird. Hatte man über viele Jahre, ja Jahrzehnte, den 7. November als Tag der großen sozialistischen Oktoberrevolution begangen, wie zu den Maifeiertagen mit Demonstration und anschließendem Gelage, konnte man sich schwer an diesen so gar nicht fröhlichen Feiertag gewöhnen. Aber weil es ja ein freier Tag ist, nimmt man ihn halt so hin.

Ich finde den Tag eher aus der Not geboren und recht unglücklich gewählt. Seit 2004 wird er nun begangen, mit Kranzniederlegungen am Denkmal für Minin und Poscharski, die in den Zeiten der Wirren eine maßgebliche Rolle bei der Befreiung Russlands gespielt hatten und mit Meetings der Einheitsrussen (gemeint ist die Staatspartei Geeintes Russland) oder deren Jugendorganisation. Gewidmet ist er dem Ende der Wirren, dem Rausschmiss der polnischen Invasoren aus Russland im Jahre 1612. Das Volk trägt's mit Fassung und trinkt sich einen.

Damit sind die Feiertage alle. Früher hatte man noch den 7. Oktober und später den 12. Dezember als Tag der Verfassung, ebenfalls ein roter Tag im Kalender. Dieser Feiertag wurde ganz abgeschafft, offensichtlich ist die neue Verfassung einen Feiertag nicht mehr wert.

Und dann schleppt sich die Zeit ohne Feiertage bis zum 31.12. hin, der gleichzeitig Bescherung und Silvesterparty in sich vereinigt. Die Abschaffung des Weihnachtsfestes geht auf die Kappe der Kommunisten. So wurde ein sowjetischer Feiertag geschaffen, das Jolkafest. Jolka heißt Weihnachtsbaum. Zum Jolkafest kommen also Väterchen Frost und Schneewittchen zu den Kindern und bringen ihnen Geschenke. Kurz vor Mitternacht setzen sich dann alle zu Tisch und begleiten mit einem kräftigen Schluck Wodka das alte Jahr hinaus. Mit einem Auge schielt man zum Fernseher, denn dort spricht der Präsident zu seinem Volke, meist ohne Ton, damit er die Trinksprüche aufs scheidende Jahr nicht stört. Sobald die Kremluhr gezeigt wird (an dieser Stelle wird der Ton im Fernseher wieder zugeschaltet), muss geschwind der Sekt geöffnet werden, denn mit dem letzten Schlag wird das neue Glas mit dem prickelnden Getränk und lautem Jubel begrüßt.

Danach wird zu vielen Trinksprüchen getafelt, werden vor der Tür Böller gezündet und häufig macht sich dann die Jugend aus dem Staube und auf in Klubs oder zu Freunden. Bevor es wieder hell wird hört die Party in Russland nicht auf. Sie verlangt Stehvermögen, denn das große Land begeht einen Silvestermarathon. Sobald das neue Jahr im Fernen Osten das Land betritt, wird es begrüßt. Wer das durchhält bis Moskau bzw. bis Kaliningrad ist ein echter Steher!

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