Die Frage „wie hält's Du's mit der Homosexualität" ist die Gretchen-Frage von heute. An ihr scheidet sich gut von böse, fortschrittlich von reaktionär oder, je nach Standpunkt auch gottesfürchtig von verworfen. Das ist eine Meisterleistung des Lobbyismus, aber es ist leider eine gesellschaftliche Katastrophe.
Man kann es schon einen propagandistischen Erfolg erster Güte nennen,
„To Russia with Love": Portraits großer Liebesbeziehungen in Moskauer Fotoausstellung
wenn eine Minderheit der Mehrheit vorschreiben kann, was diese über jene zu denken hat. Wer sich heute als „tolerant" gegenüber Homosexuellen bezeichnet, ist schon als Schlechtmensch entlarvt. Denn wer etwas toleriert, gibt ja zu erkennen, dass da eigentlich etwas nicht in Ordnung ist, er aber großzügig darüber hinwegsieht. Nein, wer nicht homosexuell ist, hat sich dafür zu entschuldigen und muss sein Manko damit wettmachen, das er überall gegen die allgegenwärtige Unterdrückung des liebenswerten „bunten Völkchens" eintritt.
Dies wiederum gibt einer anderen Minderheit Gelegenheit, sich als Retter der Zivilisation aufzuspielen. Diejenigen, die Homosexualität als sündig und lasterhaft sehen, wettern gegen Sittenverfall und gerieren sich als Opfer, wenn die andere Seite über sie herfällt. Erst kürzlich wurde ein Internet-Portal geschlossen, in dem religiöse Fanatiker ihrer schmutzigen Fantasie zu diesem Thema freien Lauf ließen. Alle Anständigen jubelten über diesen Erfolg.
Nun ist Russland dabei, ein Gesetz zu erlassen, das „homosexuelle Propaganda" verbietet. Alle Anständigen sind natürlich entsetzt. Denn auch ausländische Politiker unterliegen dem Homo-Check. So wurde bei der Beurteilung der Kaczynski-Brüder von deutschen Medien weniger die Tatsache thematisiert, dass die beiden mit Hetze gegen Deutsche und Russen bei den Polen Stimmen fingen, sondern ihre negative Haltung zur Homosexualität.
Und damit wären wir bei der gesellschaftlichen Katastrophe. Die Scheindebatte über Homosexualität lenkt von wichtigeren Themen ab. Weil es die Homosexuellen-Lobby geschafft hat, ihr Anliegen ganz oben auf der Tagesordnung zu platzieren, sind Politiker eingeladen, bei diesem Thema Profil zu zeigen, und relevante Fragen zu vernachlässigen. Bisweilen sogar zum Schaden der Homosexuellen.
Das Grundgesetz schützt die Familie. Was tun Politiker um die Familie zu fördern? Schließlich wollen immer weniger Deutsche Kinder haben, da muss was passieren. Und was passiert? Man setzt den Verfassungsauftrag um, indem man homosexuellen Paaren steuerliche Privilegien versagt. Davon profitieren die Familien sicher ungemein und werden ermutigt, noch mehr Kinder in die Welt zu setzten. Hätte das Thema nicht so einen hohen Aufmerksamkeitswert, hätte man die überfällige Reform längst durchwinken können. Derzeit streiten die Franzosen hochemotional und engagiert über Homo-Ehe und Adoptionsrecht. Als ob das Land keine anderen Probleme hätte.
Aber nein, Schwule und Lesben, zumindest ihre Aktivisten, wollen ihren schrillen Lebensstil so lange vor Augen aller zelebrieren, bis diese entweder klein beigeben und Beifall klatschen oder Gottes Zorn auf die Häupter der abartigen Sünder herabflehen. Die Konfrontation ist das Ziel, denn sie dient der Positionierung.
So abwegig ist es daher nicht, von „homosexueller Propaganda" zu sprechen, wie es in dem neuen russischen Gesetz heißt. Immerhin hat diese Propaganda bewirkt, dass die Gesellschaft wichtigere Themen vernachlässigt, um sich über die Frage der sexuellen Orientierung zu ereifern. Auch in Russland gibt es weiß Gott dringlicher Probleme als das Hissen der Regenbogenflagge oder öffentliche Küsse gleichgeschlechtlicher Paare.
Aber es ist nicht zu erwarten, dass das Thema nun niedriger gehängt wird, im Gegenteil. Die Kombination „Russland" und „Homophobie" bietet viele schöne Gelegenheiten für internationale Schulmeister, sich in Szene zu setzen. Und die russische Regierung kann dem Volk wieder mal sagen: „Seht, wie sie versuchen, uns ihren verdorbenen Lebensstil aufzudrängen". Dabei ist doch, mal ehrlich, die Moskauer Elite genauso schwul wie die die in San Francisco oder Berlin.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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