Ein Tag im Leben der Hoftrinker

Die Moskauer Höfe, wie auch die Höfe landesweit sind nicht nur Treffpunkt für Kinder, Mütter und agile Rentnerinnen sondern auch für die Sprittis.

Ist wieder mal typisch, bei uns hält sich der Winter fest, zeigt uns das schönste Kaiserwetter mit blauem Himmel, Frost und viel Schnee, während andernorts schon die Frühlingsblüher Anlauf nehmen. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, denn der Frühling kommt hier dann mit aller Macht und sehr schnell.

Und die Höfe, die im Prinzip nie leer und ohne Leben sind, werden bei warmem Wetter noch belebter. Die Moskauer Höfe, wie auch die Höfe landesweit und in den benachbarten slawischen Republiken, sind nicht nur Treffpunkt für Kinder, Mütter und agile Rentnerinnen, die ich Speznaz getauft habe, weil sie wie gute Spezialeinheiten über alles Bescheid wissen, sondern auch für die Sprittis, die jeden Tag einen auf die Lampe gießen. Das Geld ist bei ihnen knapp, denn sie leben entweder allein und können nichts auf die hohe Kante legen, oder sie werden von den Ehefrauen kurz gehalten, damit nicht alles durch die Kehle rinnt.

In diesem Winter haben sie sich doch glatt selbst übertroffen und einen ordentlichen Wall aus Schnee um ihren Spiel- und Trinktisch geschippt. Und ein paar ausrangierte Weihnachtsbäume als Schmuckelemente aufgestellt. Das schützt sie nicht nur vor eisigen Windböen, sondern auch vor kontrollierenden oder neugierigen Blicken.

Noch bevor die Mütter mit den kleinen Kindern das Terrain entern, sind die Sprittis die hier genialer Weise Mitfläschler heißen, schon auf dem Damm, so zusagen zur rush hour Sie trinken irgend eine Brühe, mal rosa, mal rot, mal grünlich, den billigsten Fusel, den man auch Tschernila, zu deutsch Tinte, nennt. Entweder die Flasche kreist oder es gibt sogar ein Glas, welches ebenfalls kreist. Tja, Alkohol desinfiziert, da kann nix passieren.

Nach der ersten Pulle geht ein Gewusel in der Truppe los, man sinnt auf Möglichkeiten, Nachschub zu holen. Manchmal kommt ein Saufkumpan, ein echter Mitfläschler also, mit einer Flasche vorbei, da kommt Freude auf. Der Zubiss ist abenteuerlich, eine Salzgurke, ein zweifelhafter Fisch oder einfach trocken Brot. Sollte ihnen das große Glück zuteil werden, eine Flasche Wodka aufzutreiben, dann kommt das einem totalen Abschuss gleich. Das ist zu starker Tobak. Danach müssen sich alle auf ein Nickerchen zurückziehen.

Die angesäuselten Gestalten sind dann für ein paar Stunden unsichtbar, erst am späten Nachmittag kommen sie noch einmal zusammen, um einen wohlverdienten Feierabendschluck zu nehmen. Dabei kann es dann schon mal zu lauten Auseinandersetzungen oder ein paar Backpfeifen kommen. Ordentlich debattiert und diskutiert wird natürlich auch, sind ja alles kleine Philosophen und gesuchte Spezialisten.

Dann geht der anstrengende Tag zur Neige, der nächste und übernächste wird genau so ablaufen, keinerlei Veränderung bringen. Und diese tausenden von Mannsbildern, die sich durch das Leben schmarotzen, machen ihren Frauen und Familien das Leben zur Hölle. Und die Frauen haben entweder nicht den Mumm sie rauszuschmeißen oder haben Angst vorm Alleinsein. Sonst würden sie die Kerle doch vor die Tür setzen.

Stattdessen lassen sie sich noch zum 8. März von diesen Typen veräppeln und hören sich die ätzenden Trinksprüche an. Und diese Dauertrinker werden nicht nur von den Frauen geduldet, sie avancieren peu a peu zu bei der Obrigkeit recht beliebten Bürgern, denn sie gehen nicht zu Protestmeetings, meckern nicht wegen der verpfuschten Wahlen herum und lassen den lieben Gott einen frommen Mann sein. Die geschmacklose Fernsehkost konsumieren sie auch ohne Murren, Anspruchslosigkeit ist ihr Credo in allen Lebenslagen.

Welch ein Glück für die korrupten und diebischen Beamten, diese Bürger schauen ihnen nicht auf die Finger, sie kämpfen entweder mit ihrem Kater oder mit ihrem Affen. So kann der zerstörerische Teufel Alkohol sogar zum stabilisierenden Faktor mutieren. Es müssen nur genug Leute ordentlich und regelmäßig bechern. Das müssten die dafür zuständigen Beamten eigentlich wissen und ins Kalkül ziehen, und nicht den Verkauf von Hochprozentigem nach 23 Uhr verbieten. Wo kommen wir denn da hin?! Das führt doch glatt zur Revolution.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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