Die servilen Jungaktivistenaus der Bewegung "Naschi" sind auch bei denjenigen Russen höchst unbeliebt, die nicht zur Opposition zählen. Foto: AP
Die russische Sprache unterscheidet zwischen „Projekt" (gesprochen wie im Deutschen) und „Proshekt", mit stimmhaften „sh" wie „Garage". Während der Gebrauch von „Projekt" im Russischen und im Deutschen so ziemlich übereinstimmt, ist ein „Proshekt" eine unrealistischer, schlecht durchdachter Plan.Verständlicherweise bedient sich der russische Politjargon des Begriffs „Projekt", wenn es um politische Kampagnen geht, obwohl „Proshekt" manchmal treffender wäre.
Wenn Russland HEUTE in einem Bericht über die kremltreue Jugendorganisation „Nashi" immer wieder das Wort „Projekt" verwendet, entspricht das dem russischen Verständnis politischer Organisationen. Sie sind eben Projekte, die man ins Leben ruft und wieder sterben lässt, wenn sie nutzlos geworden sind. Das gilt für Parteien, Bündnisse, Kandidaturen, Medien. Kommt etwas Neues auf den Markt, wird ganz offen darüber diskutiert, was dieses Projekt wohl für einen Zweck hat und welche Zielgruppe es ansprechen soll.
Um „Naschi" wird in Russland sicherlich niemand trauern. Die servilen Jungaktivisten sind auch bei denjenigen Russen höchst unbeliebt, die nicht zur Opposition zählen. Immer wieder kursieren Geschichten über materielle Vorteile, die die Jugendlichen in die Reihen der abfällig „Naschisten" genannten Gruppierung locken. In Interviews geben sie auswendig gelernte Phrasen von sich und offenbaren bei Nachfragen schnell ihr Unwissen. Alles eben nur ein „Projekt", nichts dahinter.
Eine pummelige Naschistin wurde als „Sweta aus Iwanowo" im Internet berühmt und wegen ihrer einfältigen Lobeshymnen auf Putin auch verhöhnt. Der Sinn dieses Projekts könnte darin bestanden haben, die Menschen in der Provinz für Putin zu mobilisieren. Wenn eine von uns von den arroganten Großstädtern verspottet wird, so die Logik, dann sind wir eben auch alle für Putin, so wie sie. Das Landei Swetlana Kuryzina jedenfalls startete danach eine zweifelhafte Fernsehkarriere. Auch wenn ihre unbeholfenen Auftritte nicht von „Oben" arrangiert gewesen sein sollten: Es fällt den Russen schwer, zu glauben, dass sich Dinge auch von selbst entwickeln können. Hinter allem steht entweder der Kreml oder der Westen. Alles ist ein Projekt, nichts ist real.
Auch im Westen läuft aus russischer Sicht alles nach diesem Schema ab. Es ist sehr schwer, einem russischen „Polittechnologen" glaubhaft zu machen, dass es auch Bewegungen gibt, die nicht auf dem Reißbrett der Macht entworfen wurden. Jede Manifestation des Volkswillen muss doch irgendeine geheime Ursache haben.
Diese Sichtweise erschwert den Dialog zwischen Russland und seinen westlichen Partnern. Die einen können oder wollen nicht sehen, dass nicht alles ganz spontan und ungeplant ist, was sich auf der politischen Bühne entwickelt. Die anderen halten alles für Intrige und Verschwörung. Natürlich ist man auch im Westen bisweilen bereit, an politische Manipulation zu glauben, vor allem dort, wo die eigenen Positionen in Frage gestellt werden. Und auch russische Politiker erkennen den Volkswillen bisweilen als solchen an, wenn er in ihre Richtung läuft. Aber auch hier kommt es wieder zu fundamentalen Gegensätzen: Wenn die einen Lüge wittern, sehen die anderen Wahrheit und umgekehrt.
Die russische Sichtweise verleitet zu offenem Zynismus und Desinteresse. Wenn alles nur gespielt ist, warum soll man sich dann überhaupt noch engagieren? Andererseits kommt es damit auch schneller zu dem Punkt, wo das Volk bereit ist, das ganze System kurz und klein zu schlagen. So wird aus vielen, vielen Projekten dann zum Schluss ein großes „Proshekt".
Und im Westen? Auch hier gibt es bekanntlich Politikverdrossenheit. Vielleicht sehen auch bei uns immer mehr Menschen Projekte statt Politik? Auch wenn die Verantwortlichen, anders als in Russland, nicht so offen darüber reden, wie sie da herumprojektieren.
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