Wem es in den Fingern juckt...

Die Staattsduma will dem öffentlichen Fluchen einen Riegel vorschieben. Bis zu 5000 Euro Strafe soll es für verbale Kraftakte geben. Unser Kolumnist Der Ulenspiegel erzählt über die russiche Mutterflüche.

Der verstorbene russischer Ex-Premier Viktor Tschernomyrdin wird in Russland noch heute für seine unkonventionellen Sprachschöpfungen gerühmt. Sein Meisterstück, „Wir wollten es besser machen, aber dann wurde es doch wie immer" ist längst zu einem geflügelten Wort geworden – im Russischen, klingt es prägnanter und resignierter als in der Übersetzung. Leichter zu übertragen ist sein Ratschlag an ambitionierte Nachwuchspolitiker „wem es in den Fingern juckt, der soll sich woanders kratzen".

Menschen, die Tschernomyrdin persönlich kannten, haben eine Vermutung darüber, warum er sich so seltsam ausgedrückt hat. Angeblich war es für ihn sehr schmerzhaft, einen Satz zu vollenden, ohne darin auch nur einen der berühmten russischen Mutterflüche unterzubringen. Die Qualen, die Tschernomyrdin nach dieser Theorie bei seinem verbalen Seiltanz empfand, teilt er mit vielen Russen. Mutterflüche, russisch „Mat" sind integraler Bestandteil der Alltagssprache. Jetzt will die russische Duma dem öffentlichen Fluchen einen Riegel vorschieben. Bis zu 5000 Euro Strafe soll es für verbale Kraftakte geben.

Um eines gleich klarzustellen: es geht hier nicht um die russischen Äquivalente von „Döskopp" oder „Narr". Die Mutterflüche betreffen den Sexualbereich, und mit ihnen lässt sich eine faszinierend große Anzahl von Sachverhalten ausdrücken. Leider muss der Kolumnist hier auf konkrete Beispiele verzichten, aber es sei nur so viel gesagt, dass mit (besonders vulgären) Ausdrücken für "Geschlechtsverkehr ausüben", den dabei beteiligten Körperteilen sowie eventuell involvierten Personen nicht nur Bewertungen von „sehr gut" bis „sehr schlecht" in allen Schattierungen wiedergegeben werden können, sondern sich auch neue Verben, Adjektive und Substantive mit völlig anderer Bedeutung bilden lassen sowie inhaltslose Füllwörter, die man des Kolorits wegen in einen Satz einschiebt. Mat-Vokabular läßt sich nach dem Baukastenprinzip kombinieren, um damit Flüche mit mehreren „Stockwerken" zu basteln. Der (schmutzigen) Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Das Verhältnis der Russen zu ihren Mutterflüchen ist gespalten. Einerseits ist man stolz darauf, dass keine andere Sprache so ordinäre Ausdrücke kennt. Ob das wirklich so ist, sei dahingestellt, die Aufladung eines Wortes mit Kraft und Saft ist ein subjektiver Prozess unter Muttersprachlern, der von Außenstehenden nur schwer nachvollzogen werden kann. Das Russische ist jedenfalls nicht die einzige Sprache, in der die Mutter im Dienste des Fluchens in obszönen Zusammenhang gebracht wird. Die Italiener ziehen zu diesem Zweck sogar Heilige, ja selbst die Jungfrau Maria heran.

Andererseits ist russisches Mat auch viel stärker tabuisiert als Flüche anderer Kulturen. Es ist allgegenwärtig (ich habe ein solches Wort an einer Wand in der Russischen Akademie der Wissenschaften erblickt) und unaussprechlich zugleich. Schon in der Sowjetunion gab es für öffentliches Fluchen 15 Tage „gemeinnützige Arbeit", also liegt die Duma auch hier wieder voll im Retro-Trend.

Nur Spott haben die Russen übrig für die Kraftausdrücke der deutschen Sprache. Von „dummer Kuh" und „Sau" bis hin zu den klassischen Fäkalinjurien – alles aus russischer Sicht kindisch, lasch, und unappetitlich. Hier bin ich nicht einverstanden, hier bin ich deutscher Fluch-Patriot. Um zu schimpfen, verwendet man ja normalerweise negativ belegte Begriffe. Etwas Gutes kann nicht dazu dienen, etwas Schlechtes auszudrücken. Demnach fänden Deutsche Exkremente besonders eklig, Russen aber die Sexualität. Was soll daran besser sein? Mat wäre demnach kein Zeichen extremer Coolness, sondern eher das Gegenteil, ein Symptom tiefsitzender Verklemmung. Ob der neue Gesetzentwurf der Duma daran etwas ändern kann, sei dahingestellt.

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