Foto: Lori / Legion Media
Der Trödelmarkt der sich auf neu-russisch Vernissage nennt, befindet sich gleich neben der Hotelanlage Ismailowo, die vor der Olympiade 1980 errichtet wurde. An der vor kurzem umbenannten Metrostation „Partisanskaja", an der blauen Metrolinie, breitet die sich Vernissage immer weiter aus, die in den frühen 90ern als ganz kleiner und einfacher Flohmarkt angefangen hatte. Die Verkäufer breiteten damals ihre Habseligkeiten auf der Erde aus. Da konnte man schon mal ein paar echte Schnäppchen machen. Wer auf Meißner Porzellan stand, wurde da unbedingt fündig.
Heute strömen an den Wochenenden und an Feiertagen Touristen und Einheimische auf eine Vernissage, die sich mächtig gemausert hat und immer weiter ausgebaut wird. Bunte Kremltürme und Festungsmauern sind schon von weitem zu sehen. Hier hat der Kitsch die Macht, es sieht aus wie eine Kulisse für einen Märchenfilm.
Wer von den Händlern die Standmiete nicht aufbringen kann, versucht vor dem eigentlichen Gelände seine Ware an den Mann zu bringen. Das vermiesen den Unentwegten aber die Ordnungshüter der Vernissage. Eine Unmenge von Matrjoschkas und bemalten Schmuckdöschen finden jedes Wochenende wieder ihre Abnehmer, auch Militärklamotten und Ausrüstungsteile. Pelzmützen werden zu allen Jahreszeiten gern gekauft, ebenso wie Teppiche, Gemälde, alte Samoware, Patchworkdecken, Schmuck, Uhren, besonders Poljot-Uhren und vieles andere mehr.
Es bereitet Vergnügen, da einzukaufen, weil man so schön mit den Händlern schwatzen und handeln kann. Das beflügelt und hebt die Laune ungemein. Es stehen schon wahre Originale in den Verkaufsständen, mit viel Humor und Menschenkenntnis ausgestattet. Lustig, wenn sie Worte aus mehreren Sprachen zu einem Angebot formulieren.
Im Winter haben sie dann am Nachmittag öfters einen Schwips, weil sie sich mit Hochprozentigem von innen zu wärmen versuchen.
Als in den wilden 90ern der Markt von Schutzgelderpressern belästigt wurde, wandten sich die Händler an die Kosaken, die dann mit ihren langen Lederpeitschen, den Nagajkas und ihren Säbeln tags und nachts durch die Gänge patroullierten. Damit hatte das fröhliche Räuberleben ein Ende und es herrschte Ruhe.
Viele Kunsthandwerker arbeiten auf Bestellung, sie haben schon ihre Stammkundschaft. In Zukunft sollen sich ja direkt auf dem Gelände der Vernissage Kunsthandwerker ansiedeln und dem staunenden Besucher zeigen, wie sie ihre kunsthandwerklichen Produkte herstellen. Das könnte wirklich interessant werden.
Wenn auch die Preise klettern, der Eintritt von 10 Rubeln (25 Cent) pro Person bleibt schon über viele Jahre stabil, von netten rundlichen Frauen wird am Eingang kassiert. Besonders im Eingangsbereich sind die Veränderungen offensichtlich, denn anstelle der Stände präsentieren sich schon richtige Läden, meistens Juweliere und Uhrengeschäfte.
Und dann riecht man es schon: ein angenehmer Duft von Gegrilltem steigt einem in die Nase. Vier große Holzkohlengrills, voll bestückt mit saftigen Fleisch- und Fischspießen, laden zu einem Imbiß. Die Grilleure, wie ich sie gerne scherzhaft nenne, gehören auch zu den Originalen von Ismailowo. Sie stehen dort schon seit Beginn der 90er Jahre, als die Ausstattung noch recht provisorisch war. Die Besucher saßen nicht wie heute in gemütlichen Klausen und an normalen Tischen, sondern hockten auf leeren Bierkästen oder mussten gar im Stehen essen. Die paar wackligen Hocker und Stühle, die es gab, wurden im Winter mit auf dem Grill gewärmten Pappen sitzbar gemacht. So nebenbei beim Verzehr des Schaschlyks wurde mir eine Schlange angeboten, eine ausgewachsene Boa. Habe dankend abgelehnt.
Die meisten der inzwischen sehr bekannten Grilleure waren zu Sowjetzeiten Offiziere. Als dann nach dem Umbruch monatelang kein Sold gezahlt wurde und die gesamte Situation in den Streitkräften wenig anziehend war, verließen sie die Armee und versuchten sich als Kleinunternehmer. Mit Erfolg, wie man heute sieht. Nicht alle haben durchgehalten, aber die Ausdauerndsten können jetzt die Früchte ihrer Arbeit ernten.
Einer von ihnen, Alexej, versorgte meinen Biergarten im Art Hotel Mitte der 90er Jahre mit der schwer zu ergatternden Holzkohle und brachte in seinem alten Wolga Moldawischen Wein zu sehr moderaten Preisen. Manchmal hat er auch zum Frühschoppen im Biergarten selbst gegrillt.
Anfangs mussten die halbwüchsigen Kinder und die Ehefrau an den Wochenenden mit arbeiten, heute kann er sich 2 Angestellte leisten. Die Händler wissen, dass die deutschen Touristen und die Expats am härtesten verhandeln. Das nötigt ihnen aber Achtung ab, denn Handeln ist die Würze des Verkaufens.
Kurz vor Weihnachten aber kommen zur großen Freude der Händler die Amerikaner mit großen Reisetaschen und kaufen Unmengen an Geschenken und Souvenirs, ohne auch nur den Versuch zu machen, den Preis runterzuhandeln. Da rollt der Rubel und alle sind regelrecht ausgelassen. Da kann man hinterher so manches Schnäppchen machen, denn die Händler zeigen nach dem warmen Regen Großmut und Nachsicht.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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