Der Mai ist gekommen, die Worte schlagen aus

Teilnehmer des Subbotniks. Foto: Pressebild

Teilnehmer des Subbotniks. Foto: Pressebild

Losungen haben etwas Befreiendes und Positives. In Zeiten fortschreitender Zensur erfreut sie alle durch lebenspralle Realsatire.

Der Mai ist in Russland einer von den beiden so genannten besoffenen Monaten, weil da im Prinzip in der ersten Hälfte keiner auch nur einen Finger rührt, es sei denn, um sich und anderen einen einzuschenken. Damit jeder merkt, dass wir auf wichtige Ereignisse zusteuern, werden hilfreiche Losungen aufgehängt.

Da kommen mir ja glatt Erinnerungen an die DDR-Zeit, wo es auch ohne Losungen nicht abging. Immer dem „großen Bruder" aufs Maul geschaut

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und nachgeäfft! Als die Bauern in den 50er und 60er Jahren überzeugt werden sollten, ihr Hab und Gut in die LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) einzubringen, gab es eine besonders pikante Losung: „Bauer, auch deine Eier gehören dem Staat".

Als 1969 zum 20. Geburtstag der DDR der Berliner Fernsehturm eröffnet wurde, hieß es „Es lebe der Berliner Fernsehturm mit Walter Ulbricht an der Spitze". Zum 30. Jahrestag, der mit dem Geburtstag des Staatszirkusses zusammenfiel, verkündeten besonders Eifrige „30 Jahre DDR-30 Jahre Staatszirkus". Hier nun witterte man von oben böse Satire und suchte den Erfinder dieser Losung, um ihn zu bestrafen.

Zur obligatorischen Demo am 1.Mai wollten immer wenige Werktätige freiwillig gehen, so gab man als Lockmittel in den Betrieben, wo die gefürchteten Winkelemente (Fähnchen, Fahnen, Spruchbänder) ausgeteilt wurden, den „Freiwilligen" eine Bockwurst und 5 Mark der DDR aus. Der Preis war von Betrieb zu Betrieb verschieden. Und auch hier munterten Losungen das Volk auf, an der Maidemonstration teilzunehmen. „Alle heraus zum 1. Mai!" Gut und schön, nur hing das Spruchband an einer Friedhofsmauer.

Neben den hier üblichen Sprüchen wie „Moskau beglückwünscht die Stahlkocher zu ihrem Ehrentage" hängen auch zutiefst patriotische, besonders im Mai. Da tut man den Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges alle Ehre an, zeigt ihre Fotos in ordensgeschmückten Uniformjacken, verspricht, dass niemand und nichts vergessen sei. Aber wie sieht es denn wirklich aus? Die noch lebenden Veteranen werden mit großen pathetischen Reden und neuen Orden und Medaillen (leider ohne einen gefüllten Briefumschlag) abgespeist. In ihren ehemaligen Betrieben deckt man für sie den Tisch, hält patriotische Reden und trinkt anschließend auf den Sieg. Eine würdige Rente entspräche wohl eher ihrer großen historischen Leistung. Und noch immer, so viele Jahrzehnte nach dem großen Sieg, werden den Veteranen Wohnungen versprochen.

Ich habe im Jahre 1995, als der 50. Jahrestag des Sieges mit großem Brimborium gefeiert wurde, für einen meiner Mitarbeiter (damals war ich Hotel Direktor), von dem ich wusste, dass er für die Front zu jung gewesen war, aber dafür als Zwölfjähriger in einem Rüstungsbetrieb gearbeitet und gleich neben der Werkbank geschlafen hatte, um Kraft und Weg zu sparen, eine Festtafel decken lassen und ihm eine Uhr mit eingraviertem Namen geschenkt. Etwas irritiert bemerkte ich, dass er verwirrt war und mit den Tränen kämpfte. Er konnte es einfach nicht fassen, dass ein Vertreter der besiegten Macht am 9. Mai ihm sehr persönlich zu seinem großen Tag gratulierte. Die Eigenen, wie er sich ausdrückte, hatten eine in Packpapier gewickelte Medaille ohne Anschreiben in seinen kleinen Briefkasten gewürgt. Dazu erübrigt sich ja wohl jeder Kommentar.

„Friede, Arbeit – Mai!" lautete eine viel bemühte Losung aus sowjetischer Zeit. Sie wurde und wird oft im Munde geführt, wenn man auf eine bevorstehende größere Fete hinweisen will oder soll ein relativ Ideologie freies Füllsel sein.

Trotz wahrer Armeen von asiatischen Gastarbeitern hat die Stadt Moskau einen Frühjahrsputz dringend nötig. Da greift man auf Bewährtes zurück und veranstaltet Subbotniks, eine Erfindung der Kommunisten. Viele können sich bestimmt noch an das Foto von einem Subbotnik erinnern, wo Lenin einen Baustamm auf der Schulter trägt. Nach seinem Tode hießen die Subbotniks dann auch gleich noch Leninsche und wurden gern an seinem Geburtstag am 22. April veranstaltet.

Ein Subbotnik ist ein unentgeltlicher freiwilliger Arbeitseinsatz an einem Sonnabend (Russ.: Subbota). In anderen Ostblockländern fanden ohne Rücksicht auf die Übersetzung Subbotniks an allen möglichen Tagen statt. Im benachbarten Weißrussland findet der Frühlingssubbotnik in diesem Jahr an Hitlers Geburtstag statt. Und nicht genug, dass die Leute „freiwillig" arbeiten gehen, sie müssen auch noch Geld dafür bezahlen, für das dann etwas sehr Notwendiges für den jeweiligen Betrieb oder die Einrichtung angeschafft werden soll. Na, das riecht ja ganz schön nach Oberkannte Unterlippe!

In Russland und in Weißrussland kann man auch noch meterhohe Losungen auf den Dächern von Wohnhäusern sehen. „Ruhm der Arbeit!", Ewiger Ruhm dem Siegervolk" oder einfach „Ruhm dem sowjetischen Volke". Ganz schön dick aufgetragen war das damals, aber man redet ja bekanntlich immer am lautesten von dem, was man nicht hat.

Die Fünfjahrpläne, die das Land kontinuierlich vorwärts bringen sollten, waren auch oft Gegenstand von Losungen, die auf die Tube drückten. „Den Fünfjahrplan in drei Jahren schaffen" und ähnlicher Nonsens rann auf die Menschen herab. Für vorzeitige Erfüllung der Phantompläne regnete es dann Orden und Medaillen. Putin hat übrigens den Titel „Held der Arbeit" wieder eingeführt. Karrikaturisten und Comedians versuchen sich in der Durchdringung der nostalgischen Anordnung. „Held der kapitalistischen Arbeit", „Held nicht vorhandener Arbeit" und ähnliches fällt ihnen dazu ein. Bald wird man dann auch wieder Losungen zu diesem Thema finden, wenn zum Beispiel in einer Telefonzelle der Allrussische Kongress der Helden der Arbeit stattfinden wird.

An der Fernverkehrsstraße Moskau-Smolensk liegt die Heimatstadt Juri Gagarins, die zu seinen Ehren aus Gschatsk in Gagarin umbenannt wurde. Der Abzweig nach Gschatsk ist mit einem Riesenplakat bestückt, welches das Portrait von Gagarin im Raumanzug und sein unvergleichliches Lächeln zeigt. „Gagarin kommt aus dem Smolensker Gebiet. Er ist einer von uns!" Ja, und weiter? Der Straße bis in die Stadt und die Wege in der Stadt sind so schlecht, dass einem Gagarin, das Weltall und überhaupt alles egal ist. Hauptsache das Auto hält durch.

Losungen haben etwas Befreiendes und Positives. In Zeiten fortschreitender Zensur erfreut sie alle durch lebenspralle Realsatire.

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