Moderne Kunst auf dem Vormarsch

Das Zentrum für moderne Kunst Winsawod in Moskau. Foto: RIA Novosti

Das Zentrum für moderne Kunst Winsawod in Moskau. Foto: RIA Novosti

Gute Tipps, wie man sich in Moskauer Galerien die Zeit vertreiben kann.

Der Feiertagsmarathon im Mai hat vielen ein paar überflüssige Pfunde beschert, anderen einen Hexenschuss von der ungewohnten Gartenarbeit.

Wer in der Stadt geblieben war, um die Leere der sonst hoffnungslos überfüllten Straßen zu genießen, konnte sich dem Schönen und der Kunst widmen, ohne lange Schlangen an den Kassen der Museen und Galerien in Kauf nehmen zu müssen.

Da hat man in Moskau natürlich eine große Auswahl, und die Tretjakow-Galerie und das Puschkin-Museum kennt ja jeder. Aber es gibt noch viele andere gute Tipps, wie man sich in Moskauer Galerien die Zeit vertreiben kann. Nehmen wir zum Beispiel die Galerie für moderne Kunst art4ru.

Der Galerist Igor Markin gehört zur Generation der pfiffigen und sehr geschickten Jungunternehmer, die zur Umbruchszeit noch blutjung waren. Er produziert Türen, Fenster und vieles andere aus Plaste, wurde sogar der Plastekönig von Moskau genannt.

Igor Markin stammt aus bescheidenen Verhältnissen und genoss seinen ersten Reichtum in vollen Zügen verschwenderisch, glücklich und stolz auf das Erreichte. Rolex, dicke Schlitten, teure Klamotten – genau so wie wir die neuen Russen kennen und lieben.

Mit dem Erwerb der ersten Eigentumswohnung stellte sich die Frage, was soll an die vielen leeren Wände. Kunst! Unbeleckt in diesen Fragen ließ sich Markin anfangs beraten, nahm dann aber sehr schnell selbst Kontakt zu Künstlern auf und ließ sich von ihnen regelrecht ausbilden. Inzwischen ist er so bewandert, dass er bei der Auswahl von Werken für seine Galerie sehr treffsicher entscheidet und nicht auf Hilfe von Kunstwissenschaftlern angewiesen ist.

Markin geht in seiner Galerie neue Wege, um das Publikum zur Rezeption moderner Kunst zu bewegen. Die Besucher können mit einem Skateboard an den Bildern entlang fahren, eine Zeit lang durfte man sogar beim Betrachten der Bilder  Sonnenblumenkerne kauen und die Schalen ungeniert auf den Boden spucken.

Dann wieder leistete ein weißes Kaninchen den Gästen Gesellschaft. Aber nur für kurze Zeit, denn der grüne Kunstrasen und ein paar Installationen hatte es ihm gar zu sehr angetan. An kleinen Kaffeehaustischchen können die Besucher Mitgebrachtes verzehren.

Von Semion Faibisovich mit seinen Arbeiten aus dem Endstadium der Sowjetzeit bis hin zu provokativen und subversiven Arbeiten Kuliks, Sokovs, Savadovs, Kosolapovs und den Tryptichen Purygins findet sich garantiert für jeden Geschmack etwas.

Markins Lieblingsbild , „die Stille“ oder „das Schweigen“ von Oleg Vassilev, kann man sogar in zwei Ausführungen betrachten.

In der Galerie gibt es natürlich auch ein Gästebuch, aber ein ganz besonderes. Auf den Fliesen in der Toilette und im Vorraum verewigen sich die Besucher und hinterlassen ihre Botschaften. An einigen Stellen sind es schon mehrere Schichten an Mitteilungen. Total interaktiv, meint Igor Markin.

Wer geballte moderne Kunst erleben möchte, kann sich im Winsavod, der alten Weinfabrik, gut austoben. Wirklich gute moderne Kunst, nur zu empfehlen. Besonders möchte ich den Besuchern die Galerie Marat Gelmans ans Herz legen. Philosophische, subversive Kunst kann man da erleben. Gelman hat inzwischen auch in der Uralstadt Perm ein Museum für moderne Kunst gegründet und bringt frischen Wind in die Region. Immerhin hat sich diese Stadt das Ziel, Kulturhauptstadt Russlands zu werden, auf die Fahnen geschrieben.

In unmittelbarer Nähe der Lubjanka, der viel gescholtenen Geheimdienstzentrale, findet man noch ein Kleinod, die Ekaterina-Foundation. Hier hat ein junger und sehr erfolgreicher Bauunternehmer eine Galerie für moderne Kunst eröffnet. Herr Seminichin lädt nicht nur in- und ausländische moderne Künstler ein, sondern ist auch ein besessener Sammler moderner Kunst. Neben seinen eigenen Ausstellungen sponsert er auch Projekte der Tretjakow-Galerie und steuert Leihgaben seiner Sammlungen bei. Das letzte große Projekt war die Ausstellung zum 100. Geburtstag des Ballets Russe Djagilevs. Die Ausstellung fand zuerst in Monaco statt und dann in Moskau, an beiden Orten mit riesigem Erfolg.

Auch dieser junge Mann stammt aus einfachen Verhältnissen und hat in der Auf- und Umbruchszeit Umsicht und Unternehmergeist bewiesen. Inzwischen besitzt er ein Imperium und kennt sich vortrefflich in moderner Kunst aus. Anfangs sammelte er alte Meister, sehr bald erkennend, dass da der Rahmen für Sammler recht eng gesteckt ist. Und viele Plagiate unterwegs sind. Also orientierte er sich um auf die moderne Kunst, die er nicht nur sammelt und einlagert, sondern mit der er sich täglich umgibt, in seinem Büro gleich neben der Galerie und in seinen Wohnsitzen.

Die Liste könnte ich noch eine Weile fortführen, denn es gibt inzwischen eine Menge zu Wohlstand gekommener Russen, die Kunst sammeln und Galerien eröffnen. Mancherlei ist dabei auch etwas kurios, so lassen sich die Ehefrauen der Reichen neuerdings gerne Galerien finanzieren. Waren es vorher Schönheitssalons und Fitnesstempel, so ist jetzt Kunstsammeln in. Sie kaufen hochkarätige Kuratoren und Kunstwissenschaftler ein und schon schwimmen sie mit im Strom der Künste.

Einer der im Westen berühmtesten Oligarchen, Roman Abramovich, macht da keine Ausnahme. Er mietete für seine neue Freundin die Garage, einen Avantgardebau von Melnikow, und feiert rauschende Vernissagen. Leider darf die Presse da selten dabei sein. Die Garage ist aber einen Besuch unbedingt wert.

Aber auch den berühmten Wermutstropfen will ich nicht auslassen. Ganz gleich, wie reich die Sammler sind, wie groß ihre Sammlungen und Galerien auch ausfallen, alle klagen uni sono über das zweifelhafte Verhalten der Behörden. Sie schaffen Stätten der Kunst für die Menschen, stecken dort ihr Geld hinein, das im Lande bleibt und nicht westwärts fließt und werden geschuriegelt nach Strich und Faden. Und schon bin ich wieder bei meinem Lieblingsthema, der äußerst schädlichen Beamtenschaft, die nur verhindert, die Klein- und Großunternehmern das Geld aus der Tasche zieht und keinen echten Markt im Lande zulässt. Man hat das Gefühl, dass es immer schlimmer wird und kann wenig dagegen tun. Dieses Gefühl der Ohnmacht reibt die Nerven auf. Dass sich hier positive Veränderungen einstellen, steht ganz oben auf der Wunschliste, und nicht nur auf meiner.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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