Heute ist das anders. Es gibt – trotz EU – Grenzen in Europa und das Thema Beutekunst ist auch fast 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs noch sehr aktuell. Um die Eröffnung der besagten Ausstellung in Petersburg, in der auch aus deutschen Museen geraubte Exponate zu sehen sind, gab es ein diplomatisches Hickhack zwischen Präsident Putin und Kanzlerin Merkel. Eiszeit-Wortspiele machten die Runde. Letztlich besuchten beide die Eröffnung und Merkel fordert, die Gespräche über eine Rückgabe wieder aufzunehmen. Auswirkungen wird dieser Apell vermutlich nicht haben.
Der Streit um die Beutekunst ist einer der heikelsten Konfliktpunkte im ohnehin nicht einfachen deutsch-russischen Verhältnis. Hier verschwimmen auch die in Deutschland sonst recht klaren Linien zwischen
Russlandkritikern und -verstehern. Was die deutsche Seite besonders umtreibt, ist die Tatsache, dass wertvolle Kunstwerke für die Weltöffentlichkeit verloren sind, weil sie in Archiven lagern.
Für die überwiegende Mehrheit der Russen wiederum ist die Sache klar: Die Beutekunst ist eine legitime Entschädigung für die Verwüstungen, die deutsche Truppen in der Sowjetunion angerichtet haben, gerade auch für die Zerstörung und den Raub von Kunstgegenständen. Das geheimnisumwitterte Bernsteinzimmer ist hier nur das prominenteste Beispiel. Dass die Haager Konvention von 1907 Kunstraub verbietet, beeindruckt in Russland niemanden, obwohl man sich auch an der Moskwa ansonsten gerne auf internationales Recht beruft, wenn es passt. „Die Frage der Trophäenkunst aber ist", so die Museumsdirektorin Irina Antonowa im Spiegel-Interview „vor allem ethischer Natur. Es geht um eine moralische, weniger um eine finanzielle Kompensation gegenüber Russland." Das Kunstraub-Verbot hält die über 90jährige für „veraltet". Ihr Vorschlag für eine zeitgemäße Änderung: „Ein Land haftet mit seinen eigenen Kulturschätzen für den Schaden, den es dem Kulturerbe einer anderen Nation zufügt." Das ist keine Einzelmeinung, sondern gesellschaftlicher Konsens in Russland.
Ich habe in dieser Kolumne schon mehrfach erwähnt, dass es für mich als Deutschen sehr aufschlussreich war, mit eigenen Augen zu erleben, wie man in Russland mit dem Thema II. Weltkrieg umgeht. Einerseits wird man in Russland als Deutscher persönlich nicht in die Ecke gedrängt. Andererseits nehmen die Menschen das Thema sehr ernst und sehen es nicht gerne, wenn jemand ihre Sicht der Dinge in Zweifel zieht. Das liegt nicht nur daran, dass alle Regierungen seit Stalin das Thema für ihre Zwecke ausbeuten und in den patriotischen Kanon überführt haben. Auch im Gedächtnis der gewöhnlichen Menschen sind der Krieg und die Opfer, die er gefordert hat, noch sehr präsent.
Aus russischer Sicht hat der Sieger dem Besiegten – Deutschland – ohnehin schon viele Zugeständnisse gemacht: Das russische „Ja" zur Wiedervereinigung und der Abzug der Truppen aus Ostdeutschland wurde, so sieht man es nicht nur im Kreml, mit nichts als Feindseligkeit honoriert.
Was können die Russen von einer Rückgabe der Beutekunst erwarten, außer weiteren Lektionen in Sachen Menschenrechte? Hätte sich Deutschland gegenüber Russland in den letzten Jahren weniger oberlehrerhaft gezeigt, sähe die Sache vielleicht anders aus.
Die pathetische Rhetorik um „mit russischem Blut" erworbene Schätze und „ethische Kompensation" mal außen vor, gibt es wohl keinen vernünftigen Grund für die Regierung, das Gut zurückzugeben. Das Volk ist dagegen, ernsthafte politische Gegenleistungen Deutschlands sind nicht zu erwarten. Was soll es also? Niemand gibt ohne Not Positionen auf, ohne etwas dafür zu bekommen. Das wusste man schon in der Bronzezeit.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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