Vom echten Skandal im falschen

Foto: Reuters

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Der Westen ist hinterhältig. Mit miesen Tricks versuchen die Propaganda-Spezialisten der „freien Welt", Russland in die Schurkenstaaten-Ecke zu drängen. Dabei scheuen sie auch vor Fälschungen, Druck und Bestechung nicht zurück. Davon jedenfalls sind viele Russen überzeugt, die Gelegenheit haben, westliche Medien zu konsumieren. Damit dies auch diejenigen Landsleute mitbekommen, die keinen Zugang zu Westmedien haben, berichten die Auslandskorrespondenten russischer Fernsehsender immer wieder gerne über besonders haarsträubende Beispiele westlicher Desinformationskampagnen. Schließlich soll das Volk wissen, mit welchen Methoden der Gegner operiert.

So berichtete der russische Sender RTR kürzlich darüber, dass die deutsche Schauspielerin Anna Thalbach vor laufender Kamera zugeben habe, vom ZDF „viel Geld" dafür erhalten zu haben, damit sie in der Sendung „aspekte" das Vorgehen gegen „Pussy Riot" verurteilt. Ein Video zu diesem schon länger zurückliegenden „Skandal" ist auch auf YouTube zu sehen.

Nun bin ich der letzte, der seine Hand dafür ins Feuer legt, dass westliche Medien immer fair und ausgewogen über Russland berichten. In diesem Falle sind jedoch die Kämpfer der ideologischen Front über das Ziel

hinausgeschossen. Warum sollte jemand viel Geld dafür erhalten, damit er im Fernsehen ein Statement abgeben darf, das genau dem entspricht, was der Mainstream erwartet? Man mag vielleicht Geld dafür bekommen, wenn man vor der Kamera etwas Abartiges oder Unpopuläres tun oder sagen soll. Aber eine wohlfeile Gelegenheit, sich als aufrechter Kämpfer für Demokratie in anderen Teilen der Welt zu profilieren, ist schon fast ein geldwerter Vorteil.

Von Bedeutung ist auch, wo das angebliche Geständnis gemacht wurde: Bei „Roche & Böhmermann" nämlich, eigentlich keine Talkshow, sondern eine Talkshow-Parodie. In dieser Sendung gab es rote Knöpfe für die Gäste, die diese drücken können, um sich selbst zu zensieren. Von dieser Möglichkeit machte auch Thalbach Gebrauch, als sie die Summe nannte, die sie angeblich für ihre russlandfeindliche Propaganda-Dienstleistung erhalten habe. Die Zuschauer hörten nur einen Piep-Ton. Ein Muttersprachler schließlich konnte schon an Tonfall und Mimik der Schauspielerin erkennen, dass sie bei ihrer Beichte das Stilmittel die Ironie einsetzte. Fazit: Das Ganze war ein schräger Scherz, nicht mehr.

Ob es der RTR-Korrespondent wirklich nicht besser wusste, oder ob er hier absichtlich die Fakten zurechtbastelte, entzieht sich meiner Kenntnis. Das Problem hinter dieser journalistischen Fehlleistung ist, dass sich Russen Propaganda nur so vorstellen können: Leute werden mit Geld oder mit Druck dazu gebracht, öffentlich in bestimmter Weise Stellung zu nehmen. Das macht man selber so und natürlich muss auch Geld im Spiel sein, wenn sich jemand kritisch über Russland äußert. So aber läuft es im Westen nicht. Die Belohnung für systemkonformes Verhalten erfolgt indirekt. Wer richtig denkt und spricht, erfährt Wohlwollen, ihm eröffnen sich bessere Entfaltungschancen als den Abweichlern.

An der genannten „aspekte"-Sendung über Pussy Riot gäbe es auch ohne

den albernen Bezahl-Vorwurf genug zu kritisieren. Was können Aussagen prominenter Nichtwisser à la „ich finde das schrecklich" Erhellendes zum Thema beitragen, außer dass die Zuschauer sich einmal mehr darüber vergewissern, was anständige Menschen über das Thema zu denken haben? Also doch Propaganda, aber keine plumpe russische sondern (relativ) fein gestrickte westliche. Diese zu erkennen und zu entlarven sind die Holzhammerpropagandisten des Kremls jedoch nicht in der Lage. Also folgen sie der Spur des Geldes. Auch wenn das in solchen Fällen oftmals ein falsche Fährte ist.

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