Es gibt ja im Prinzip nichts, was es in Moskau nicht gibt. Außer Service natürlich, mein Lieblingskind. Ich bekam neulich eine Einladung in den Klub der Unternehmerinnen. O, dachte ich, Frauennetzwerk, eine gute Sache. Und ging hin. Durch verwinkelte Gassen an den Tschistye Prudy fand ich letztendlich das gesuchte Haus mit Stahltür und Klingel.
Eine freundliche Dame ließ mich ein und ich befand mich in einer völlig anderen Welt. Räume mit antiquarischen Möbeln, Leuchtern und vielen Gemälden, gedeckten Kaffeetischen und erwartungsvollen Frauen aller Altersklassen. Eine zierliche junge Frau stellte sich als Gastgeberin vor. Sie will dieses Haus zum Treffpunkt für Geschäftsfrauen machen, ihnen interessante Veranstaltungen und Diskussionsthemen vorschlagen.
Sie selbst gehört einer Unternehmerfamilie an, die eine renommierte Firma für Sicherheitstechnik und Wachschutz betreibt. Dieses Haus haben sie ihr geschenkt, um ihr den Start in ein selbständiges Business zu ermöglichen. Sie hat sich für ein kommunikatives Zentrum entschieden, führt nicht nur die Frauenabende durch, sondern vermietet auch die verschieden gestalteten Räume für Geschäftsverhandlungen, die weitab vom Trubel und unerwünschten Ohren stilvoll über die Bühne gehen können.
Das ist schon etwas anderes als die Einrichtungen, die gewöhnlich reiche Männer ihren Geliebten schenken, damit sie beschäftigt sind. Anfangs waren das Beautyfarmen, Nagelstudios, später schenkte man Fitnessclubs. Das war aber alles nicht für die Kunden, sondern nur als Spielzeug für die willigen Damen, die sich dann in den Nachtclubs als Unternehmerinnen im falschen Ruhme sonnten, gedacht. Wehe dem Kunden, der sich in ihre Etablissements verirrte.
In diesem aber Klub treffen sich sozial engagierte Frauen, die im Dschungel des Geschäftslebens ihren Mann stehen. Da kämpft zum Beispiel eine Unternehmerin um das Überleben ihrer Porzellanmanufaktur, Übersetzungsbüros und Anwaltskanzleien sind dort vertreten wie Modellagenturen.
Die nächste Einladung erreichte mich mit der Bemerkung, dass ein Film gezeigt würde mit anschließender Diskussion. Da war ich gespannt und auf alles gefasst. Ich hätte eher überheblicherweise an eine Lovestory gedacht, aber sie zeigten den Film von Konrad Wolf „Ich war 19". Da war ich sehr überrascht. Konrad Wolf, Sohn des deutschen Dramaturgen und Schriftstellers Friedrich Wolf, der nach seiner Emigration nach Frankreich zwangsläufig mit der ganzen Familie in die Sowjetunion übersiedelte, ging dort zur Schule und kehrte als Oberleutnant der Roten Armee nach Deutschland zurück. Dieses Land empfand er nicht als seine Heimat. Sein Bruder Markus Mischa Wolf erlangte später internationale Berühmtheit als der Mann ohne Gesicht, weil er die Auslandsaufklärung der DDR leitete.
Der Film trägt stark autobiografische Züge. Konrad Wolf drehte einen sehr poetischen und sehr inhaltsreichen Film. Mit sehr guten Schauspielern aus beiden Ländern besetzt. Interessant ist, dass sein Kameramann Werner Bergmann im Krieg auf der deutschen Seite gekämpft und einen Arm verloren hatte. Die beiden hatten starke inhaltliche und ideologische Auseinandersetzungen und schufen doch gemeinsam unvergessliche Kunstwerke.
Die anschließende Diskussion im Frauenklub war sehr emotional und aufschlussreich. Es gab keine Grenze zwischen den Deutschen und den Russen, alle Anwesenden sind nach dem Krieg geboren. Und alle Frauen
gelobten, einander im Business zu helfen. Viele russische Unternehmerinnen wussten nicht, was bei Kriegsende und danach in Deutschland passiert war, deshalb finde ich, dass genau dieser Film die anwesenden Frauen verschiedener Nationen einander näher gebracht hat. Genau so wäre es in Deutschland gewesen, wo keiner mehr so richtig über die Vergangenheit Bescheid weiß.
Ich würde mir wünschen, dass sich viele Gruppen in dieser großen Stadt zusammen finden und unter Überwindung der hier übermächtigen Vergangenheit gemeinsame Wege gehen. Besonders deutsche und russische Frauen, denn nur sie können dem aufkeimenden Nationalismus und Chauvinismus effektiv entgegen wirken. Das haben sie den Männern voraus!
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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