Die falsche Frage

Anstatt sich darüber zu streiten, wer der NSA die Tür nach Deutschland geöffnet hat, könnten die Politiker heute mal darüber nachdenken, wie die Bespitzelung beendet werden kann.

Natürlich, es ist Wahlkampf. Darum streiten Koalition und Opposition darüber, wer denn nun der bösen NSA die Tür nach Deutschland geöffnet hat. Gaben SPD und Grüne anfangs die empörten Aufklärer, hat die Regierung inzwischen gekontert: das Kooperationsabkommen mit den Amerikanern wurde von Rot-Grün abgeschlossen. Stimmt, und stimmt auch wieder nicht.

Es ist albern, wenn die Politiker so tun, als ob die Kungelei mit den USA nur von bestimmten Personen oder politischen Richtungen gepflegt würde. Die Wahrheit ist: Deutschland ist auch heute, 23 Jahre nach der Wiedervereinigung, nur ein begrenzt souveränes Land. Und begrenzt ist auch der Handlungsspielraum unserer Politiker. Die Frage, welcher Kanzleramtschef es den Amerikanern erlaubt hat, uns zu bespitzeln, ist irrelevant. Die Amerikaner brauchen keine Erlaubnis, sie tun es einfach. Gibt es dazu Abkommen, dann dienen diese nur dazu, den Anschein der Gleichrangigkeit herzustellen.

Nach Kriegsende wurden die Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland als Filiale der US-Agenturen installiert. Reinhard Gehlen, der Gründer des Bundesnachrichtendienstes, ging schon 1944 davon aus, dass nach dem verlorenen Krieg die Amerikaner gerne auf Experten zurückgreifen würden, die über fundierte Kenntnisse über die Sowjetunion verfügen. Gehlen besaß solche Informationen. Er hatte sie als Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost" des deutschen Generalstabes zusammengetragen, unter anderem mit Hilfe sehr handfester Verhöre sowjetischer Kriegsgefangener.

Seine Unterlagen versteckte der Wehrmachts-General, um sie und sich selbst nach der Kapitulation den Amerikanern andienen zu können. Diese erkannten schnell den Wert dieses Angebots und installierten 1946 die „Organisation Gehlen" als deutschen Geheimdienst unter ihrer Führung, noch bevor es eine deutsche Regierung gab. Die Aufgabe: Aufklärung nach Osten.

Konrad Adenauer hatte kein Vetorecht, als die Organisation später offiziell zum deutschen Geheimdienst gemacht wurde. Frank-Walter Steinmeier kam damals gerade auf die Welt. Ronald Pofalla war noch gar nicht geboren. Also Schluss mit den Schuldzuweisungen. Das gilt auch, bis zu einem gewissen Grade, für die Politiker der alten Bundesrepublik. Sie waren ebenso wenig frei in der Bündniswahl wie ihre Kollegen in der DDR.

Die Bedingungen diktierten andere. Eines muss man ihnen allerdings vorwerfen. Sie haben die Sprachregelung von der Freundschaft und den gemeinsamen Werten, die uns mit dem Großen Bruder verbinden, dermaßen zum politischen Axiom gemacht, dass ihre Nachfolger heute selbst nicht mehr wissen, ob sie freiwillig kooperieren oder weil sie es müssen. Die Sowjetunion hat diesen Grad der Unterwerfung in ihrem Teil Deutschlands trotz aller Propaganda niemals herzustellen vermocht.

Anstatt sich darüber zu streiten, wer angefangen hat, könnten die Politiker heute mal darüber nachdenken, wie wir aufhören. Das ist allerdings keine einfache Frage. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken. Den Amerikanern einfach ein Kündigungsschreiben schicken, so leicht ist die Sache nicht. Zunächst müssten sich unsere Politiker wohl einmal Gedanken machen, wie viel Eigenständigkeit sie überhaupt wollen, wie realistisch das ist und was dafür zu tun wäre. Aber das ist natürlich nichts für den Wahlkampf.

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