Hühnchen Kiew: Die Wiederauferstehung eines klassischen Gerichts

In den letzten Jahren ist Hühnchen Kiew zum Synonym für die schlechte Zubereitung von Geflügel geworden – schuld daran war der Trend zur Fritteuse. Gebacken ist es aber unwiderstehlich.


Quelle : Youtube/Aussie Griller

Wenn es um das Gericht Hühnchen Kiew geht, dann betrachte ich mich als so etwas wie eine Expertin auf dem Gebiet, da ich lange Jahre als Reiseleiterin in der ehemaligen Sowjetunion tätig war.

Ganz egal, wo wir hinfuhren, unsere Ausflüge endeten immer mit einem „Abschiedsdinner" in einem großen Hotel. Meine Aufgabe bestand darin, mich beim Chefkoch einzuschmeicheln, um ihn irgendwie davon zu überzeugen, Hühnchen Kiew auf die Speisekarte zu setzen. Kein Tourist würde Russland jemals verlassen, ohne dabei mindestens einmal das leckere Gericht probiert zu haben.

Entgegen meinen ernsten Warnungen gab es in jeder Gruppe immer einen Gast, der in das panierte Schnitzel zu energisch hineinschnitt und sich dabei einer Dusche von schmieriger Butter aussetzte, die sein letztes sauberes Hemd ruinierte. Und dennoch war die Speise für jeden Touristen ein Muss. Ich hatte auch stets Erfolg dabei, den Chefkoch zu überzeugen, außer, natürlich, in Kiew, wo dieser Gefallen schlichtweg verweigert wurde. Das habe ich meiner Gruppe im Nachhinein mit großer Mühe versucht, beizubringen – doch es war zwecklos, ihnen erklären zu wollen, dass Hühnchen Kiew nichts mit der traditionellen ukrainischen Küche zu tun hat.

Dabei habe ich sie nicht belogen: Genau wie Boeuf Stroganoff ist Hühnchen Kiew weder ein ukrainisches noch ein russisches Gericht. Es ist eine ursprünglich französische Speise, die im 18. Jahrhundert nach Russland kam und als „Poulet Supreme" bekannt wurde. Dabei handelt es sich um ein Hühnerfilet, das mit Kräuterbutter gefüllt und mit einer vom französischen Chefkoch Nicolas Francois Appert (1749–1841) entworfenen Panade überzogen ist.

Es war niemals ein typisches Gericht auf den Speisekarten des vorrevolutionären Russlands – es findet auch keine Erwähnung im Kanon der Küche „Podarok molodym chosjajkam" (zu Deutsch: „Ein Geschenk an junge Hausfrauen") der Autorin Jelena Molochowez. Es waren die US-Amerikaner, die dem Gericht in den 1950er-Jahren den heutigen Beinamen „Kiew" verliehen, um, so sagt man, die russischen Emigranten darauf aufmerksam zu machen.

Doch nachdem in den US-amerikanischen Haushalten der Trend einzog, technischen Schnickschnack zu besitzen, wurde das Hühnchen Kiew dazu verdammt, in der Fritteuse gebacken zu werden. Somit stieg das Gericht zunächst zu einem populären Festessen auf, wurde schließlich aber zu einem gefrorenen Fertiggericht degradiert, das zum Synonym für die schlechteste Art von Hühnchen wurde: Die Schnitzel wurden vorab zubereitet, danach gefroren und dann in die Fritteuse geschmissen, sodass aus dem Fleisch eine gummiartige Masse wurde, die von einem fettigen, übermäßig gesalzenen Mantel umhüllt war.

Mich freute es daher sehr, als sich damals die gefürchtete TV-Show „America's Test Kitchen" der Aufgabe annahm, das Gericht vor seinem Untergang zu bewahren, ja sogar der Speise ein wenig von ihrer damaligen französischen Eleganz und ihrem Elan zurückzugeben: Das panierte Hühnchen wurde nicht in der Fritteuse zubereitet, sondern gebacken. Dadurch löste man nicht nur das ewige Problem der übermäßig fettigen Kruste und des zu zähen Fleisches. Besser noch: Man schuf eine knusprige Kruste, durch die man sich den Weg zu einem saftigen Hühnerfilet mit delikater Kräuterbutter bahnen konnte. Das Bekleckern der Hemden allerdings blieb ein Problem.

 

Hühnchen Kiew à la „America's Test Kitchen"

Zutaten:

-  2 Hühnerbrüste

- 113 g weiche Butter

-  Schalotten nach Augenmaß

- 1 EL gehackte Petersilie

- ½ TL gehackter Estragon

- 1 EL (15 ml) frisch gepresster Zitronensaft

- ½ TL Salz

- ½ TL Pfeffer

- Zutaten für die Panade (Eier, Mehl, Senf, Brot)

 

Zubereitung:

1. Butter mit Schalotten, Kräuter, Zitronensaft, Salz und Pfeffer in einer Rührschüssel mit einem Holzkochlöffel zu einer homogenen Masse

verrühren und daraus einen Quader formen. Diesen in Frischhaltefolie einwickeln und für mindestens eine Stunde im Kühlschrank stehen lassen.

2. Den Ofen auf 150° C vorheizen und den Backofenrost auf der mittleren Schiene positionieren.

3. Brotwürfel in einer Küchenmaschine mit scharfen Stahlmessern zu Brösel zerkleinern. Salz und Pfeffer beigeben und vermengen. Pflanzenöl hinzufügen und die Brotbrösel damit vermischen. Die Brösel nun auf ein Backblech geben und im Ofen so lange backen, bis sie goldgelb und komplett ausgetrocknet sind (etwa 25 bis 30 Minuten). Während des Backens einige Male wenden, damit die Brotbrösel gleichmäßig rösten. Anschließend beiseite stellen.

4. Hühnerfilet sowie Sehnen und kleinere Fettablagerungen von der Hühnerbrust entfernen. Hühnerbrust anschließend in der Mitte der Länge nach, beginnend beim hinteren, dünneren Ende, einschneiden, ohne die Brust dabei komplett durchzuschneiden. Die Hühnerbrust dann öffnen und wie ein Schnitzel auflegen.

5. Hühnerschnitzel mit etwas Wasser auf beiden Seiten beträufeln, dann flach in einen Gefrierbeutel legen. Mit der glatten Seite des Fleischklopfers dünn ausklopfen (6 mm). Die Ränder der Schnitzel vorsichtig auf 3 mm ausklopfen.

6. Kräuterbutter in vier rechteckige Stücke schneiden. Hühnerschnitzel mit der Brustseite nach oben auf die Arbeitsfläche legen und mit Salz und Pfeffer würzen. Ein Butterstück in die Mitte der unteren Hälfte des Hühnerschnitzels legen. Butter in Hühnerfleisch einmal einrollen und Seiten des Fleisches nach innen einschlagen. Dann die Butter weiter einrollen, sodass sie komplett vom Fleisch umschlossen ist. Vorgang mit den anderen Hühnerschnitzeln wiederholen. Das Hühnerfleisch anschließend für eine Stunde unbedeckt im Kühlschrank lagern, sodass sich die Enden des Hühnerfleisches verschließen.

7. Ofen auf 180° C vorheizen und Backofenrost auf der mittleren Schiene

positionieren. Mehl, Eier und Brotbrösel in unterschiedlichen Behältnissen zum Panieren vorbereiten. Mehl und Brotbrösel mit Salz und Pfeffer würzen. Senf zu den Eiern hinzugeben und mit einer Gabel verquirlen.

8. Hühnerfleisch zunächst in Mehl wälzen, dann in Eier eintauchen und Rückstände abtropfen lassen. Danach das Fleisch in den Brotbröseln wenden, sodass es komplett mit Bröseln bedeckt ist.

9. Paniertes Hühnerfleisch auf einem Rost über dem Backblech für 45 Minuten im Ofen backen. Danach fünf Minuten ruhen lassen und anschließend servieren.

10. Das Hühnchen Kiew wird traditionell mit Reis oder Kartoffelstroh serviert, womit sich die köstliche Butterfülle perfekt aufsaugen lässt. Weitere beliebte Beilagen sind frische Fisolen, Erbsen und Brokkoli.

Guten Appetit und achten Sie auf Ihr Hemd!

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