Rockmusik in der UdSSR: Geboren in der Illegalität

Konzert der Band „Akwarium“. Foto: RIA Novosti

Konzert der Band „Akwarium“. Foto: RIA Novosti

Die russische Rockmusik entwickelte sich in der UdSSR nur dank mutiger Manager, die illegale Konzerte veranstalteten, und einer starken Gemeinschaft, die im Härtefall Solidarität bewies.

Hätte Leo Fender nicht die E-Gitarre Stratocaster erfunden, gäbe es wohl den Inbegriff des Rocks Jimmy Hendrix nicht. Ähnliches lässt sich auch für den russischen Rock behaupten: Hätte es keine enthusiastischen und risikofreudigen Manager gegeben, die im Untergrund und damit illegal Konzerte organisierten, würde es diesen heute nicht geben.

 

Geburtsort der Rockmusik: der Untergrund

Als die Stagnation in Russland in den 1970ern zu Zeiten Breschnews ihren Höhepunkt erreichte, schlossen sich Studierende des Maurice-Thorez-Instituts für Internationale Beziehungen und Fremdsprachen in Moskau zusammen und organisierten Konzerte, deren Veranstaltungen ein gehütetes Geheimnis waren.

Als Eintrittskarten dienten ihnen halbe Postkarten, die mit einem selbstgemachten Stempel in Form eines Vogels oder anderen Tieres bedruckt waren und zwischen drei und fünf Rubel kosteten. Mit den uns heute bekannten Tickets hatten diese aber wenig gemeinsam, da auf ihnen das Datum und der Ort der Veranstaltungen sowie der Eintrittspreis fehlten. Diese Informationen wurden nur über Mundpropaganda weitergegeben.

Wer das erste Underground-Rockkonzert veranstaltet hat, ist ungewiss. Biografen schreiben das jedoch gerne Juri Eisenspieß (1945-2005) zu, der 1970 wegen illegaler Devisengeschäfte verhaftet und zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde.

Generell war das Showbusiness im Untergrund ein gefährliches Metier, stellte es doch in der UdSSR den strafrechtlichen Tatbestand des privaten Unternehmertums und eine Reihe anderer Rechtsübertretungen dar. Diese reichten von Urkundenfälschung, Herstellung und Verkauf von illegalen Eintrittskarten über die Wiedergabe unzensierter Lieder, bis hin zu Verstößen gegen das Versammlungsrecht und gegen das Alkoholverbot an öffentlichen Plätzen. Die Strafen für diese Vergehen waren ebenso weitreichend – von Exmatrikulationen bis hin zu Gefängnisstrafen.

 

Eine starke Bewegung organisiert sich

Im Gegensatz zu jenen, die illegal Antiquitäten, Ikonen oder Valuten verkauften sowie Jeans und andere Mangelwaren herstellten, ging es den Rockmanagern nicht ums Geld, sondern um die Idee. Sie widmeten sich ganz der Musik und kannten sich hervorragend mit allen Strömungen aus.

Rock war damals für viele junge Menschen beinahe schon so etwas wie eine Religion. Nicht umsonst fertigte man aus John-Lennon-Fotos, die auf Covern von Beatles-Schallplatten abgebildet waren, Ikonen an. Ebendies war auch der Grund dafür, warum das System nur schwer gegen dieses Phänomen ankämpfen konnte, handelte es sich doch dabei nicht um eigentliche Kriminelle oder Systemkritiker, sondern um eine mächtige Jugendbewegung, die mit anderen Werten aufgewachsen und westlich eingestellt war.

Bereits zu dieser Zeit gab es in Russland viele Rocker, die alle eines gemeinsam hatten: Sie waren Meister der Selbstorganisation. Innerhalb weniger Jahre entstand so im ganzen Land eine eigene Untergrundindustrie. Es wurden handgemachte E-Gitarren und Verstärker für Rockbands hergestellt und illegale Tonstudios eingerichtet, wo die Musiker ihre Songs aufnahmen. Die Tonträger mit ihren Liedern verbreiteten sich dann blitzschnell über ein Netz von illegalen „Überspielern" in der ganzen UdSSR. Diese Bewegung erhielt schlussendlich die Bezeichnung „russischer Rock".

 

Das lukrative Geschäft mit der illegalen Rockmusik

Gegen Ende der 1970er gab es bereits Dutzende Rockmanager in Moskau, die über ganze Netzwerke an Helfern verfügten, die für die Verbreitung von Eintrittskarten sowie Werbematerialien zuständig waren. Eine der bekanntesten dieser Manager war Tonja Krylowa, eine Medizinstudentin und später Notfallärztin, die zig illegale Konzerte in Moskau und den Vorstädten organisierte. Zu den Rockbands, die auf Tonjas Konzerten auftraten, gehörten fast alle Moskauer Gruppen, wie beispielsweise „Maschina vremeni", „Woskresenje", „Wisokosnoe leto", „Araks" und „Rubinowaja ataka".

Ein Konzert von „Maschina vremeni", 1977.

Als ich noch ein Schüler war, hatte ich das Glück, auf einem ihrer Konzerte zu sein. Die Halle, die 700 Personen aufnehmen konnte, platzte vor Studenten aus allen Nähten. Die besondere Stimmung, die dort herrschte, war mit jener, die man auf offiziell genehmigten Konzerten sowjetischer WIAs (Bezeichnung für die offiziell vom Staat genehmigten Rockbands von 1960 bis 1980, Anm. d. Red.) erleben konnte, nicht zu vergleichen: Es gab weder Aushänge noch Milizeinheiten noch alte Damen, die dort als Platzanweiserinnen arbeiteten. Am Eingang standen lediglich Tonja und einige Leute aus ihrem Team. Hatten die Besucher einmal die einfache Absperrung passiert, waren sie sich selbst überlassen – man konnte tun und lassen, was man wollte. Dabei gab es weder Raufereien noch betrunkene Besucher. Und all das war aus eigener Kraft organisiert worden.

Das Geschäft mit der Rockmusik war äußerst lukrativ. Die Einnahmen erreichten Rekordsummen in Höhe von 69 bis 115 Euro, was für damalige Verhältnisse sehr viel Geld war. Jedoch bargen diese Konzerte auch hohe Risiken in sich, da sowohl die Organisatoren und Musiker als auch die Besucher dafür hinter Gittern landen konnten. Solche Fälle waren keine Seltenheit. Deswegen wurden alle Rockkonzerte ohne Papiere, Rechnungsbelege oder Verträge veranstaltet – auf diese Weise hinterließ man keine Spuren.

Konzert der Band „Akwarium“, 1982.

Kam es zu Ermittlungen wegen Veranstaltung illegaler Konzerte, so wiederholten alle stets dieselben Worte: „Ich habe weder irgendetwas dafür bezahlt, noch kenne ich die Veranstalter. Ich war unterwegs und habe von der Straße aus Gitarrenklänge gehört. Ich bin zufällig hier gelandet. Tonja Krylowa? Habe nie von ihr gehört." Wenn also Konzertbesucher gefasst wurden und Solidarität zeigten – und das taten sie –, dann blieb dem Staat nichts anderes übrig, als alle frei zu lassen.

 

Auch die Rockmusik hatte einen Anteil am Ende der Sowjetunion

Die Rockkonzerte, die man in Moskau veranstaltete, wurden bald auch in anderen Städten organisiert. In den 1980ern wurden die Rockevents noch

um eine Nuance reicher, da Rockbands nun auch Gastauftritte in anderen Städten erhielten.

Zu Beginn der Perestrojka, in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, wurden zudem die Rahmenbedingungen gelockert: Einerseits war es nun nicht mehr illegal, Rockkonzerte zu veranstalten, andererseits wurde das private Unternehmertum erlaubt. Dadurch begann der Rock in der UdSSR mehr dem des Westens zu ähneln.

1991 zerfiel dann das totalitäre System, das mehr als 70 Jahre lang die sowjetischen Bürger im Unternehmertum einschränkte. Der Zerfall der Sowjetunion war zu einem gewissen Teil sowohl der Rockmusik als auch den Managern im Untergrund zu verdanken.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!