Lachsküchlein auf Hipsterart

Viele Russen haben von Telnoje Kindheitstraumata davongetragen. Mit den richtigen Zutaten und ein wenig Mut zur Veränderung kann das klassische sowjetische Gericht aber in einen echten Genuss verwandelt werden.

Eine Ausländerin fragte mich kürzlich, was ich an meinem Leben in Russland besonders spannend fände. Sie erwartete förmlich, dass ich vom Besuch des „Nussknackers“ im Bolschoi-Theater, die bevorstehenden Olympischen Spiele oder die rätselhafte russische Seele erzählen würde. Natürlich enttäuschte ich sie. Meine wichtigsten Erfahrungen sind alle kulinarischer Natur. Ich antwortete prompt: „Unendliche Mengen von erschwinglichem Lachs.“

Mein reizender russischer Ehemann rümpfte die Nase, als ich vorschlug, aus Resten pochierten Lachses sogenannte „Telnoje“ oder Fisch-Küchlein zuzubereiten. Diese kleinen Klumpen aus Fisch und altem, in Milch eingeweichtem Brot schienen ein regelmäßiger und etwas fader Bestandteil seiner sowjetischen Kindheit gewesen zu sein. Was er mit diesem Gericht in Verbindung brachte, war langweilig und geschmacklos und bestand hauptsächlich aus gefrorenen Heilbutt- und Kabeljaubrocken mit synthetischer Mayonnaise. Er konnte sich keine wohlschmeckende Variante vorstellen.

Zutaten:

3 Tassen altes Sauerteigbrot oder Weißbrot, in Würfel geschnitten*

1½ Tassen Vollmilch oder 10 Prozent Sahne oder eine Kombination von Beidem behutsam in einem Topf erwärmen. Nicht überkochen.

½ Teelöffel Muskatnuss

750 Gramm frischer Lachs, pochierte Lachsreste, konservierter Lachs ohne Gräten, ohne Haut

1 Tasse Räucherlachs, in Würfel geschnitten

2 Esslöffel Kapern, zerdrückt

½ Tasse fein gewürfelter Lauch

½ Tasse Zucchini, entkernt und gewürfelt

½ Tasse gelbe Zwiebeln, gewürfelt

3-4 Spritzer Tabasco, je nach Geschmack

1 Zitrone, geschält, dann gepresst

2 Teelöffel grobkörniges Meersalz

5 Prisen frischer schwarzer Pfeffer, je nach Geschmack mehr

1 Esslöffel geräucherter Paprika, alternativ normales Paprikapulver und Cayennepfeffer

1 Esslöffel Mehl, sowie eine kleine Menge mehr zum Bestäuben

1 Ei

1 Eigelb

4 Esslöffel zerhackter Dill

4 Esslöffel zerhackte Petersilie

1/3 Tasse qualitativ hochwertiges Olivenöl

Ich liebe es, meinen Ehemann aus der Reserve zu locken, und so kramte ich meinen Stoß russischer Kochbücher hervor, um mich inspirieren zu lassen. In jedem von ihnen gab es ein Telnoje-Rezept, aber sie beruhten alle auf den gleichen öden und eindeutig nicht anregenden Zutaten: Fisch, Eier, Mehl und altes Brot.

Okay, der reichlich überbewertete Möchtegern-Jamie-Oliver und Autor von „Real Russian Food“ mit dem hübschen Namen Maxim Syrnikow – wörtlich „Käsekuchen“, wohl kaum sein echter Name – schlägt vor, Zwiebel und Dill hinzuzufügen. Aber das kann man wohl kaum als Grenzen sprengendes Denken bezeichnen. Kurzum, die sowjetischen Ausgangsprodukte der russischen Küche sind etwas problematisch.

Die Kochbücher hätten eine Aktualisierung dringend nötig. Man bekommt heute in Russland alles, von Anissamen bis Zatar. Aber wenn ich mich erdreiste, auch nur eine einzige neue Zutat in ein Rezept einzuführen, ist eine Flut bissiger Hassbriefe von russischen Lesern gewiss, insbesondere solcher, die seit etwa 20 Jahren nicht mehr in Russland leben. Eine Sünde sei es, schimpfen sie, Chili-Pfeffer hier und Granatapfelsirup dort einzurühren, und fast alles mit Sumach zu bestäuben, selbst Vanille-Eiscreme. Das habe mit „unseren traditionellen ‚russischen‘ Gerichten nichts mehr zu tun“, tönt es gedehnt aus Richtung Brighton Beach.  

Meine Antwort an diese Leute: „Nu, i schto?“ – „Ja, und?“. Angesichts der Tatsache, dass selbst Herr Käsekuchen ein Fläschchen Tabasco in seinem Kühlschrank versteckt hält, machte ich mich daran, Telnoje mit ein paar sehr russischen Zutaten aufzupeppen, zum Beispiel Meerrettich und schwarzem Pfeffer, sowie mit einigen Importen wie Paprika und Kapern. Zusätzlich zu den gehackten weißen Zwiebeln dünstete ich Lauch mit ein wenig Zucchini, um eine Kontrastfarbe und eine andere Konsistenz einzuführen. Ich ergänzte die Telnoje um meinen geliebten russischen Räucherlachs und verwandelte das Gericht so von einem Mittwochabend-Allerweltsgericht in den Eröffnungsgang für einen eleganten Samstagabend. Ich frittierte einen ersten Schwung und freute mich diebisch, meinen reizenden russischen Ehemann zu sehen, wie er heimlich noch ein paar Telnoje aus dem Kühlschrank holte, als er dachte, er sei unbemerkt.

Sei also mutig und mach Dich auf zu neuen Ufern, ob am Baikalsee oder Brighton Beach. Das Leben hat mehr zu bieten als Dill!   

Lachs Telnoje

Zubereitung:

1.     Das Brot, Muskatnuss und die Milch-Sahnemischung in einer Schüssel aus nicht-reaktivem Material mischen und mindestens 30 Minuten ruhen lassen.

2.     Den Lachs durch Entfernen der Haut, Sehnen und Gräten vorbereiten. Am Besten den Lachs davor dünsten oder pochieren.

3.     Eine kleine Bratpfanne mit Olivenöl bestreichen. Den Lauch bei schwacher Hitze sautieren, bis er weich ist. Für die letzte Minute die Zucchini hinzufügen.

4.     Lachs, Zwiebeln, Lauch, Zucchini, Zitronenschale, Zitronensaft, Ei, Eigelb, Räucherlachs, Kapern, Dill. Petersilie, Tabasco, 1 Esslöffel Mehl und Paprika in einen Standmixer füllen und gut zerkleinern. Vorsicht: Nicht zu lange in der Maschine bearbeiten!

5.     Das Brot in einem feinmaschigen Sieb abtropfen lassen, danach sanft in das Sieb drücken, sodass die Flüssigkeit abläuft.

6.     Die Brotmischung zu der Masse in der Küchenmaschine hinzufügen und weiter zerhacken. Wenn keine Küchenmaschine vorhanden ist, alle Zutaten sorgfältig in sehr kleine Stücke zerschneiden. Ei und Eigelb vor dem Unterheben in die Mischung schlagen und alles mit einem großen Löffel kräftig verrühren.

7.     Eine saubere Arbeitsfläche mit Mehl bestreuen und ein Tablett mit einer größeren Menge Mehl vorbereiten. Hände mit kaltem Wasser befeuchten und die Lachsmischung zu etwa handtellergroßen Scheiben formen. Die Küchlein in dem Mehl wenden und auf dem Tablett anordnen. Bei mehr als einer Schicht Backpapier verwenden und Mehl zwischen die Schichten streuen. Ein Zusatztipp: So lassen sich die Telnoje zwischen den Backpapier-Schichten auch in einer Gefriertüte einfrieren.

8.     Einige Esslöffel Olivenöl in einer großen Pfanne auf mittlerer Flamme erhitzen. Wenn das Öl anfängt zu brutzeln, die Telnoje vorsichtig in das Öl legen. Vier Minuten lang auf einer Seite braten, dann mit einem Pfannenwender sachte auf die andere Seite drehen. Weitere vier Minuten braten, danach für eine letzte Minute auf die erste Seite wenden, damit sie schön knusprig werden.

9.     Sofort servieren.  

* Dieses Rezept entfernt sich weit von der Urform der Telnoje, aber man kann eine Anregung aus der irischen Küche aufnehmen und das Brot-Milch-Gemisch durch 3 Tassen Kartoffelbrei ersetzen. Eine wunderbare Möglichkeit, Kartoffelbreireste zu verwerten – mit einem ebenso schmackhaften Ergebnis.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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