„Muschi“ und „Kuh“: Die Frau in der Umgangssprache

Bild: Niyaz Karim

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Wächst in Russland ein Mädchen (Russisch: „djewotschka“) heran, nennt man es Fräulein („djewuschka“). Ist es verheiratet, wird es zur „Frau“ („schenschtschina“), hat diese Kinder zur Welt gebracht, zur Mutter („matj“). Die russischen Wörter haben in der Umgangssprache häufig einen neuen Sinn erworben.

Das doppeldeutigste Wort ist wahrscheinlich „Mädchen“. Wenn junge Männer zu einer Party „Mädchen“ einladen, bedeutet das nicht, dass sie pädophil sind: Unter „Mädchen“ versteht man in diesem Zusammenhang attraktive – und wohl auch freizügige – junge Frauen. Andererseits können Frauen reiferen Alters, wenn sie zusammen etwas unternehmen, sich durchaus gegenseitig als „Mädchen“ bezeichnen. Wenn dagegen ein Mann seine Freundin als „mein Mädchen“ bezeichnet, ist das eher als intimes Kompliment aufzufassen.

In der Jugendsprache ist eine andere Erscheinung zu beobachten: Wenn eine junge Frau angesprochen wird, ist der ironische Gebrauch der Begriffe „Mutter“ oder „Alte“ („starucha“) üblich – wie zum Beispiel in einem Lied von Boris Grebenschtschikow : „A nu-ka, matj, begi ko mne w krowatj“ („He, Mutter, komm’ zu mir ins Bett“). Mit „Fräulein“ werden – im Gegensatz zum Deutschen – alle Frauen angesprochen, doch höchstens bis zu einem Alter, in dem das als Sarkasmus aufgefasst werden könnte.

In den Sechzigerjahren entwickelte der Slang sich vor allem dank englischsprachiger Ausdrücke und es verwundert deshalb wohl auch nicht, dass zu eben dieser Zeit das Wort „Gerla“ (die russische Version des englischen Worts „Girl“) an Popularität gewann. „Girl“ klang wohl auch deshalb so vertraut, weil es ständig im gleichnamigen Lied der Beatles zu hören war – nebenbei bemerkt, war das der einzige Song der Band, der damals offiziell auf einer sowjetischen Schallplatte veröffentlicht wurde. Allerdings war unter dem Titel, der ins Russische übersetzt wurde („Djewuschka“), zu lesen: „Musik und Text: volkstümlich; gespielt von der Vokal- und Instrumentalgruppe: unbekannt“.

Gleichzeitig mit „Gerla“ fand auch ein anderer Ausdruck Einzug in den russischen Slang: das einheimische Wort „Tjolka“. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Kälbchen“, in der Umgangssprache dagegen „Tussi“. Für eine junge Frau ist die Bezeichnung „Kälbchen“ nicht gerade sehr schmeichelhaft, zumal in Russland eine korpulente Frau als „korowa“, also als „Kuh“ bezeichnet wird, aber die phonetische Ähnlichkeit mit dem Wort „Tjelo“ („Körper“) wirkt hierbei wohl eher positiv. Und bezeichnend dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass der Autor Sergej Minjajew für einen der populärsten Romane der vergangenen Jahre dieses Slang-Wort in Verbindung mit einem englischen Artikel verwendete: „The Tjolki“.

Wird eine junge Frau als „Tjolka“ bezeichnet, ist dies jedoch in der Regel herabwürdigend gemeint; als Kompliment oder Kosename finden in der Regel andere Tiernamen Verwendung, zum Beispiel „Sajka“ („Häschen“) oder „Kiska“ („Muschi“ bzw. „Mieze“). Interessant dabei ist, dass das Wort „kiska“ in der russischen Sprache nicht so eine delikate Doppeldeutigkeit besitzt wie das deutsche Wort „Muschi“ oder das englische Wort „pussy“. Wenn also Gegner der Skandal-Gruppe Pussy Riot behaupten, der Bandname klinge auf Russisch unanständig, entgegnen deren Anhänger, es handle sich doch nur um Katzen.

Den Vergleich mit Hunden (oder besser: Hündinnen) dagegen sollte man in Russland tunlichst vermeiden. Das Wort „Suka“ („Hündin“, vergleichbar mit dem englischen „Bitch“) ist ein ordinäres Schimpfwort und gehört fast schon in die Kategorie der Wörter, die in Fernsehsendungen mit einem Piepton überdeckt werden. Zur Illustration soll diese Anekdote zum Thema „weibliche Logik“ dienen:

Ehemann (zur Ehefrau): „Schatz, sprich doch bitte etwas leiser.“

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