Gesundheitstest mit Weltpolitik-Beilage

Foto: ITAR-TASS

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Ein aggressives Gezerre um die Ukraine birgt viele Gefahren im Herzen Europas, meint die Bloggerin von Russland HEUTE Adele Sauer.

Heute war es wieder so weit, ein Jahr ist um und der von mir oft beschriebene Gesundheitstest wurde fällig. Ich habe diese Prozedur schon mehrfach mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors beschrieben. Die Ärzte auf den verschiedenen Stationen, es ist da so ähnlich wie beim Kreistraining, kannten mich schon. Kunststück, besuche ich sie doch mit schöner Regelmäßigkeit jedes Jahr. Dieses Jahr wurde mir sogar eine Discontkarte angeboten, ich habe jetzt dort also Rabatt. Na, wenn das nichts ist! Sie sind sich also sicher, dass ich in einem jahr wieder auf der Matte stehe.

Die Stimmung in dieser Einrichtung, die für Ausländer die unabdingbaren medizinischen Tests durchführt, damit sie eine Arbeitserlaubnis bekommen können, die notwendige Vorraussetzung für ein Arbeitsvisum, war heute aber etwas anders als sonst. Alle guckten beim Anstehen vor den verschiedenen Behandlungszimmern andauernd auf die im Korridor hängenden Monitore. Dort liefen nicht wie in den Jahren vorher Musikvideos oder Modenschauen, der russische Nachrichtenkanal Rossija 24 sendete seine Nachrichten. Vor allem zeigte er die Massendemonstrationen in der Ukraine. Die Ukrainer wollen sich nicht damit zufrieden geben, dass ihr Präsident Janukowitsch das Papierchen über die EU-Integration erst einmal nicht unterzeichnen will.

 Die zahlreichen ukrainischen Staatsbürger, die in Russland um eine Arbeitserlaubnis nachsuchen, waren regelrecht euphorisch. Und ausgesucht höflich, sie ließen sogar jungen hübschen Kirgisinnen und Tadschikinnen den Vortritt. Sie gaben allen deutlich zu verstehen, dass sie bald nicht mehr hier anstehen werden, sondern ganz woanders.

Das entlockte mir zwar ein Lächeln, machte mich aber auch traurig. Denn ich glaube, dass sie ein bißchen an der Wirklichkeit vorbei träumen. Die jungen Männer sahen sich schon in den begehrten deutschen Autos durch Europa fahren und dort ihr täglich Brot verdienen.

 Die tiefe Krise der EU ist offensichtlich nicht bis an ihr Ohr gedrungen. Politische Motive spielten bei ihnen auch keine Rolle. Das ist bedauerlich, denn ihre Euphorie kann schnell ins Gegenteil umschlagen. Sie ahnen ja nicht einmal, dass dem Werben um die Ukraine geopolitische Interessen zugrunde liegen, dass Russlands Flanke entblößt werden soll und dass neue Absatzmärkte sich öffnen mögen. Im Gegenzug wird die Ukraine kaum ihre Produkte in Europa platzieren können. Russland und die Ukraine zu entzweien ist überhaupt schädlich, zu eng sind die Beziehungen der beiden Länder. Wenn plötzlich die lange durchlässige Grenze zwischen beiden Ländern geschlossen wird, leiden sehr viel Menschen ganz persönlich darunter. Aber daran denken sie im Moment nicht.

 Sie wollen sich vom postsowjetischen Stil verabschieden, der ihnen durch die Regierung ohne Weitsicht aufgezwungen wird. Schade, dass Russland es nicht verstanden hat, die Ukraine als einen gleichberechtigten Partner zu sehen und dass  die Ukraine ihrerseits andauernd pokert. Die Menschen zeigen mit ihrer Präsenz auf den Straßen und Plätzen des Landes, dass sie endlich, über zwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion, zu neuen

Ufern aufbrechen wollen. Sie hatten es ja schon einmal versucht, wurden aber von geldgierigen und zum Regieren unfähigen selbst ernannten Politikern hinters Licht geführt. Ich glaube, man sollte ihnen mehr Vertrauen schenken und  sie weniger bevormunden. Und nicht alles an Gas und Öl festmachen. Das Wichtigstel sind die Menschen, genau wie in jedem Betrieb, wo motivierte und ausgebildete Mitarbeiter das größte Potential darstellen. Bis vor kurzem wußten das die Kapitalisten noch.

Die Ukainer schauen auf Europa, zu ihren nächsten Nachbarn nach Polen und ins Baltikum. Dort sind die Probleme weiß Gott nicht klein, aber der Ansatz ist ein anderer. Und diesen Ansatz wollen sie erzwingen. Sie wollen auf gar keinen Fall Russland als Partner verlieren und als Nachbarn verärgern, scheint mir. Nun sind die Politiker gefragt, aufzuklären und die Karten auf den Tisch zu legen. Mit repressiven Maßnahmen und offenen Drohungen wird dieses Problem nicht zu lösen sein. Es ist ein sehr sensibler und gleichzeitig explosiver Moment in der Geschichte der Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine. Ein aggressives Gezerre um die Ukraine birgt viele Gefahren im Herzen Europas. Erinnern wir uns an Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“. Vielleicht hilft das.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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