Ein etwas anderes deja vu

Foto: RIA Novosti

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Adele erlebt eine Woche voller deja vus.

Letzten Sonntag, als ich in schöner vorweihnachtlicher Tradition nach Ismailowo auf die so genannte Vernissage zog, die eher die Bezeichnung Touristenfalle für Jäger sowohl herkömmlicher als auch untypischer Souvernirs verdient, hatte ich einige direkte und abgewandelte deja vus.

Das Gewirbel der Händler um die Kunden war wie immer, auch die Feilscherei. Auch wie immer riefen sie natürlich Höchstpreise auf. Was war anders? Die Käuferscharen blieben aus. Nachklang der alten und Sendboten der neuen Krise? Haben etwa alle die Tausenden von Matrjoschkas und bemalten Schatullen satt? Oder gibt es inzwischen gar weniger kauflustige Expats?

Ich vermisse die Horden Amerikaner und Asiaten, die in der Vorweihnachtszeit mit Koffern und Taschen massenhaft Geschenke kauften, ohne auf die Preise zu achten. Das war ein Fest für die Händler, belohnte sie für das stundenlange Stehen in der Kälte. Und machte sie spendabler, man konnte nach den abgeebbten Kaufräuschen der Expats richtige Schnäpchen machen.

Es ist verwunderlich, dass so wenige kommen. Sind doch in der Stadt viele Souvernirstände der bürgermeisterlichen Abrißbirne zum Opfer gefallen, ohne ersichtlichen Grund übrigens. Aber vielleicht sind wirklich die überzogenen Preise schuld, die fehlende Käuferschaft kompensieren sollen? Denn es kosten die Souvernirs auf dem teuren Arbat neuerdings auch nicht mehr als im neuerdings teuren Ismailowo, wo sich die Großhändler mit ihren Waren eindecken.

Am geliebten Schaschlykstand hingen nur die Fotos der angestammten Grilleure, ihren Platz nahmen junge Männer ein, die in fließendem Englisch

die paar Besucher zum Essen und Trinken einluden, was angesichts der hohen Preise für die Schaschlyks auch keine leichte Aufgabe war. Auch ihr schmackhafter Glühwein fand wenig Abnehmer. Die immer zu einem Scherz aufgelegten Händler aus allen angrenzenden Republiken und selbst die Einheimischen waren auch nicht in der Nähe der mobilen Destillenzu sehen. Eine absolut komische Stimmung. Nur eines war über viele Jahre gleich geblieben – der symbolische Eintrittspreis von 10 Rubeln. Das will man bei dem derzeitigen Kurs von 1:45 gar nicht so richtig umrechnen.

Nicht in der gewohnten Hochstimmung zog ich von dannen. In der Metro hatte ich ein erneutes deja vu. Die an Wochenenden verstärkt durch die Wagen ziehenden Bettler aller Schattierungen waren aufdringlich wie immer. Ich würdigte sie keines Blickes, bis ich eine bekannte Stimme hörte. Eine korpulente Frau im sehr reifen Alter bettelte mit verschleiertem Blick um Geld für die Operationes ihres imaginären Enkels. Diese Frau hatte in den 90ern und Anfang des neuen Jahrtausends im Flughafen Scheremetjewo in der Abflughalle täglich mit verheultem Gesicht um Geld für ein Ticket nach Hause, wo immer das auch gewesen sein mag, gebettelt. Selbst dass sie von Vielfliegern erkannt wurde, störte sie nicht.

Zum Abschluss des Tages lief mir noch einer meiner ehemaligen Wachleute aus dem Art Hotel übern Weg, der als Sandwich Werbung für eine neu eröffnete Bar machte. Sandwich heißt von vorn und hinten mit Werbetafeln behängt. Na, wenn das kein Zufall ist!

Der allergrößte Hammer kam allerdings am ersten Tag der neuen Woche geflogen. Ein deja vu der beosnders ätzenden Art. In alt gewohnter Sowjetmanier wurde der Propagandaapparat mit voller Kraft wieder angeworfen und die Rückkehr zur Vergangenheit proklamiert. Die führende russische Nachrichtenagentur RIA Novosti wurde mit einem Federstrich des Präsidenten liquidiert. Von nun an wird wieder Agitation und Propaganda in alt bewährter Manier betrieben. Nicht nur dass mehrere Tausend Mitarbeiter ihre Arbeit verlieren, die Medienlandschaft wird rigoros umgepflügt und einer rückwärtigen Sichtweise angepaßt.

Die ins Ausland sendende „Stimme Russlands" wird zusammen mit den Resten von RIA Novosti in ein Konstrukt gequetscht, welches sich "Rossija Segodnja" nennt und offensichtlich das Pendant zum englischsprachigen Fernsehsender Russia today vom Ansatz her werden soll. Da darf man gespannt sein, wie das aussehen wird. Oder auch nicht, denn die jahrzehntelange Erfahrung sowjetischer Agitpropkultur ist allen noch recht gegenwärtig. Und manche ewig Gestrige können es gar nicht erwarten, ein paar Aufmüpfige in die Wüste zu schicken. Eiszeit in Sicht, nicht nur vom Wetter her.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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