Eins, Zwei, Drei, Vier, Fünf – mehr als nur Zahlen

Bild: Nijas Karim

Bild: Nijas Karim

Von der zwei bis zur fünf: Dwojka, trojka, tschetwjorka, pjatjorka sind die Schulnoten nach dem in Russland üblichen 5-Punkte-System. Diese und weitere Ziffern haben aber in der russischen Sprache auch noch andere Bedeutungen.

1. Obwohl die „Eins" formal die niedrigste Note „ungenügend" ist, wird sie in der Praxis doch lediglich in Ausnahmefällen vergeben und zwar normalerweise nicht für eine mangelnde Leistung, sondern für ein ungenügendes Verhalten. Als „odnuschka" (Einser) bezeichnet man auch eine Einzimmerwohnung mit einem Zimmer plus Küche und Bad.

2. "Dwojka", die Zwei, ist die Schulnote „mangelhaft", aber das Wort hat noch weitere Bedeutungen. Vor ungefähr zwanzig Jahren nannte man ein TV-Kombigerät, das aus einem Fernsehgerät mit eingebautem Videorekorder bestand, als „videodwojka". Und eine Zweizimmerwohnung bezeichnet man als „dwuschka" (Zweier). Aber wenn man jemanden fragt, der die Sowjetzeit noch aktiv miterlebt hat, so denkt er bei „dwuschka" wahrscheinlich noch eher an eine Zweikopekenmünze, die seinerzeit dazu verwendet wurde, von einem öffentlichen Telefon zu telefonieren.

3. Die „trojka" (Dreier) ist die umgangssprachliche Bezeichnung für die Note „befriedigend". Als „trjoschka" bezeichnet man folgerichtig eine Dreizimmerwohnung. In Sowjetzeiten nannten man so zudem eine Drei-Rubel-Banknote. In den Fünfziger- bis Siebzigerjahren, als eine Flasche Wodka ungefähr drei Rubel kostete, war das Ritual unter der Bezeichnungen „sobratj na troich" (zu dritt zusammenlegen) ein beliebter Zeitvertreib unter Männern: Drei in der Regel einander unbekannte Männer steuerten jeder einen Rubel bei, um in einem Spirituosenladen eine

Halbliterflasche Wodka zu kaufen und sie zu dritt zu leeren. Sie tranken der Reihe nach aus einem Glas und führten dabei angeregte Gespräche.

4. „Tschetwjorka" (Vierer) ist die Schulnote „gut". Als „tschetwertj" (Viertel) bezeichnet man jeden der vier Teile des Schuljahres, die von einander durch die Ferienzeit geteilt sind.

5. Die „pjatjorka" (Fünfer) ist die Schulnote „sehr gut". In Sowjetzeiten nannte man so auch die Fünf-Rubel-Banknote. Die Fünf-Kopeken-Münze dagegen nannte man in seinerzeit „pjatak". Sie war sehr gefragt, da man sie – über Jahrzehnte hinweg bis zum Untergang der Sowjetunion – für die Durchlasssperren in den U-Bahn-Stationen benötigte: Für fünf Kopeken konnte man zeitlich unbegrenzt mit der Metro fahren – solange man nicht wieder durch eine solche Sperre das U-Bahn-Netz wieder verließ. Die Verkleinerungsform „pjatatschok" war der Kosename für eine Schweinenase, an die diese größte aller Kopeken-Münzen erinnerte. Damals bereits hielt der Begriff „pjatak" Einzug in die Umgangssprache, in der der Ausdruck „datj w pjaták", zu Deutsch „einen auf den Fünfer geben" am besten mit „einen auf den Putz hauen" übersetzt werden kann. Eine Hand bezeichnet man aufgrund der fünf Finger als „pjaternja", der Ausdruck „Daj pjatj!" ist die russische Variante des international bekannten „High five!".

6. „Schestjorka", der Sechser, ist die niedrigste Karte des in Russland üblicherweise aus 36 Bildern bestehenden Kartenspiels. Eben deshalb bezeichnet man in Gangsterkreisen denjenigen, der in der kriminellen

Hierarchie auf der niedrigsten Ebene steht, abwertend als „Schestjorka". Der Otto-Normal-Verbraucher dahingegen assoziierte Jahrzehnte lang mit „Schestjorka" das beliebteste Modell des einheimischen Automobils Schigulij, den 6er Lada.

7. Bei „semjorka" dachte man früher in erster Linie an den beliebten amerikanischen Western aus den Sechzigerjahren, der im sowjetischen Verleih unter der Bezeichnung „Welikolepnaja semjorka" gezeigt wurde – in Deutschland reiten hierbei Helden als die „Die glorreichen Sieben" gegen die Schurken ins Feld.

8. Eine „wosmjorka" weist wie auch in der deutschen Sprache als Acht auf einen hoffnungslos verbogenen Fahrradreifen hin.

9. Die „dewjatka", der Neuner, ist die obere Ecke eines Fußballtors, in die zu treffen als größte Meisterleistung gilt. Außerdem bezeichnet man mit „dewjatka" auch das beliebte 9er Modell des Ladas sowie die alkoholhaltigste Sorte des Kultbiers „Baltika", die die Nummer 9 auf dem Etikett trägt und über einen Alkoholgehalt von 9% verfügt, womit es zu einem Lieblingsgetränk eingefleischter Trinker geworden ist.

10. Die „desjatka", der Zehner, ist der Mittelpunkt einer Zielscheibe. Der Ausdruck „popastj w desjatku", den Zehner treffen, bedeutet, etwas sehr genau zu machen, sozusagen eine Punktlandung hinzulegen. In der Sowjetunion bezeichnete „desjatka" zudem die Zehn-Rubel-Banknote, der heutzutage aber kaum mehr verwendet wird, da die zehn Rubel nur noch als Münze im Umlauf sind.

50. Die Fünfzig-Rubel-Banknote bezeichnet man als „poltinnik", wörtlich die Hälfte von einhundert – die Deutschen sagen dazu salopp auch schon einmal „einen Fuffi". In der Sowjetzeit wurde mit „poltinnik" die Fünfzig-Kopeken-Münze bezeichnet. Bemerkenswert dabei ist, dass diese

„poltinniki" der verschiedenen Epochen nach Inflationen und Abwertungen über nahezu die gleiche Kaufkraft verfügen!

100. Eine Einhundert-Rubel-Banknote ist eine „sotnja" (Hunderter) oder im Slangvokabular auch „stolnik" genannt, also einen „Hunni". Eine „sotka" dagegen ist eine Flächeneinheit, die einhundert Quadratmetern entspricht. In der Umgangssprache ist am häufigsten die Variante „schestj sotok", also sechshundert Quadratmeter anzutreffen. Denn dies war die Größe eines Grundstücksstückes, das von den Bürgern zum privaten Obst- und Gemüseanbau genutzt werden konnte. Heutzutage stellen diese „schestj sotok" einen „bescheidenen Schrebergarten der Standardgröße" dar. Das Wort „sto" in verschiedensten Ausdrücken wird häufig in der Bedeutungen der „besten Variante von etwas" verwendet: So bedeutet zum Beispiel „Stópudówo!" eine garantierte Zusage, wohingegen „wygljadetj na wsje sto" so viel bedeutet wie „Das sieht super aus".

Dwojka, trojka, tschetwjorka und so weiter nannte man früher die Linien der städtischen Busse. In Kleinstädten ist das auch noch heute so, aber in Moskau, wo die Nummern der Buslinien dreistellig sind, ist das selten der Fall.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!